Angst

Bild von Zolotarov
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Du wirst geboren – alles gut. Die schöne Frau, die dich umsorgt,
dir Wärme, Liebe, Nahrung borgt. Die Welt ist groß und wunderbar
und selbst wenn heut was Blödes war. Schon morgen ist's vorbei.
Du lebst und liebst so unbeschwert, ein Kind, das seine Welt erfährt,
erfühlt und glücklich ist …

Und dann komm ich.
Ich bin das Zögern vor der Tür, das fremder werdende Gefühl.
Je länger du mein Flüstern hörst, desto lauter werden Zweifeln groß.
Der große Hund, der böse bellt. Dank ihm gehst du nicht raus.
Die Decke schützt dich wärmend schwer, und heut` bleibst du zu Haus.
Ich lasse dich die Stille spürn, du bist allein und schwach.
Und keiner holt dich aus dem Griff der Krallen meiner Macht.

Weißt du noch damals, in der Schule, beim Referat, ich war dabei.
Wie alle schauen und warten und der Moment geht nie vorbei.
Das Schwitzen, Stottern, wie sie lachen … Sie lachten nicht, aber sie hätten lachen können.
Ich malte dir im tiefsten Grau, die Zwangsjacke, die schöne.
Ich blieb bei dir, du sagtest nichts und ich verstand dich stumm.
Ich saß bei dir und tat dir leid. Und werd es immer tun.
Ich sage dir: Du bist allein und wirst es immer sein.
Mit jedem Tag, der still vergeht, errichtest du den Schrein,
der mir gebührt, mich ehrt und nährt – was wissen die denn schon?
Ich bin dein Freund, allein dein Freund. Dein Schweigen ist mein Lohn.
Ich nahm dir deine erste Liebe, dank mir hast du kein Wort gesagt.
Wir waren uns doch immer einig. Du warst es, wo der Fehler lag.
Und immer noch bist du der Fehler. Deswegen läuft dein Leben schief.
Deswegen lebst du lieber sicher. Ich war es, die die Geister rief.
Das Abitur hab ich erlaubt, doch dann wurd's wieder Zeit
für meinen Rat, für Sicherheit, wenn keine Freiheit bleibt.
Dein Studium, der Job; es quält dich, ja? Genau so muss es sein.
Was bist du wert? Nicht mehr als Angst um deinen nächsten Schein.
Sie erwarten es von dir, Eltern, Freunde, deine Lieben.
Du musst immer funktionieren, die Mundwinkel nach oben schieben.
Und schön lächeln, und nicht jammern, denn die Hölle sind die andren.
In deinem kleinen Lebenslauf schieb ich die Lücken breit.
Bewirb dich, sei flexibel, fleißig, friss die Phrasen, bück dich hoch!
Und dann feuern sich dich doch.

Ich häng an Geld und Arbeitsplatz. Ich bin der Status quo.
Ich änder nichts, ich bin konstant, und es bleibt immer so.
Dein ganzes Leben ist ein Witz, sie lachen über dich.
Du bist der Fehler, ja nur du, vertrau und hör auf mich.

Ich steige in dir langsam auf und schäle dich von innen aus.
Die Decke schützt dich wärmend schwer, und heut` bleibst du zu Haus.
Ich lasse dich die Stille spürn, du bist allein und schwach.
Und keiner holt dich aus dem Griff, der Krallen meiner Macht.

Ich schreibe Nachrichten, die News. Der Terror ist mein Werk.
Milliarden Seele fürchten mich, denn ich bin das, was zählt.
Ich bin Instinkt, Erfahrung, Last. Ich schaffe Depression.
Guck wie sie siechen, psychisch lahm, dem Grabe näher schon
als jeder Regung von Gefühl, sie wandeln Zombies gleich,
betäuben sich und leugnen mich – ich bin es, die verzeiht.
Wer braucht schon Freiheit? Sie ist Last, Entscheidungen verwirren.
Ich hänge Schlösser an die Tür, die Handschellen, die klirren.
Die Überwachung lückenlos, sie denken, dass ich so verschwinde.
Doch ich komm nicht von außerhalb. Ich bin in dir, ich bleib in dir.
Du, das vernunftbegabte Tier, beißt in die Stäbe deines Käfigs,
ich steige in dir auf und quäl dich von innen aus.
Die Decke schützt dich wärmend schwer, und heut bleibst du zu Haus.
Ich lasse dich die Stille spürn, du bist allein und schwach.
Und keiner holt dich aus dem Griff, der Krallen meiner Macht.

Erzähle niemandem von mir, nur so bleib ich bei dir.
Ich schütze dich, ich halte dich, egal, was auch passiert.
Vertraue mir, ich bin dein Freund.Was wissen die denn schon?
Ich bin die Angst, nur deine Angst. Dein Schweigen ist mein Lohn.

Poetry Slam Text zum Thema Angst

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