Der Krieg und die Kinder

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Im großen Weltkrieg kannten sie sich aus mit heulenden Sirenen mitten in der Nacht. Dann rannten sie mit Rucksäckchen auf dem Rücken um ihr Leben, während die ersten Bomben fielen. Die kleine Schwester an der Hand. Sie hockten furchtsam und doch neugierig in Schutzbunkern. Hörten es krachen und zischen. Und erzählten sich trotzdem Witze. Sie spielten in Kellern und in den Trümmern zerstörter Häuser. Mit ihren Spielzeugautos und Puppen, die sie fest im Arm hielten. Sie spielten Schwarzer Peter oder Viereckenraten. Ich sehe was, was du nicht siehst. Oder Mutter und Kind. Sie hofften sehnsüchtig auf den langen Ton der Entwarnung. Und darauf, dass die Katze den Angriff überlebt hat. Sie sammelten Granatsplitter statt Fußballerbilder. Die glitzerten und waren scharf und spitz. Sie wussten nicht, wo ihre Väter waren. Sie wurden ungeduldig, wenn ihre Mutter weinte. Um den großen Bruder, der gefallen war. Sie wussten nicht, warum Bomben fielen. Warum Krieg war. Warum ihr Haus verschont blieb, während das des Nachbarn zerstört wurde. Sie wussten nicht, warum sie abends nur ein Stück Brot bekamen und hungrig ins Bett gingen. Sie wussten nicht, wie Schokolade schmeckt. Sie trugen keine Markenklamotten. Sondern das, was da war. Geerbt von den Geschwistern. Geflickt und gestopft und meistens zu groß oder zu klein. Nicht warm genug für den harten Winter. Sie konnten manchmal nicht zur Schule gehen. Weil die Lehrer Soldaten waren. Oder weil die Schule einen Volltreffer abbekommen hatte. Sie wurden ungefragt von ihren Familien getrennt. Mussten mitten im Winter aus der Heimat flüchten. Auf Pferdewagen oder zu Fuß. Sie fürchteten sich oft. Und wurden nur selten getröstet. Sie haben ihr Leben nicht als schlecht empfunden. Denn sie kannten es nicht anders.
Nach dem Krieg haben sie das Land wieder aufgebaut. Manche von ihnen leben noch. Sie sind die letzten Zeugen dieser Zeit. Sucht das Gespräch mit ihnen. Sie werden euch sagen, bitte nie wieder Krieg. Dabei ist es nur siebzig Jahre her, dass unser Land der ganzen Welt den Krieg erklärt hat. Und vor allem die Kinder darunter gelitten haben. Viele Hunderttausende waren es in Deutschland und noch viel mehr in den Ländern, die wir in diesen schrecklichen Krieg gezwungen haben. Kinder leiden am meisten in Kriegen. Sie sind das schwächste Glied in der Kette - und nicht zuständig für die Schuld ihrer Eltern.
Kriege gibt es immer noch. Sie finden in anderen Ländern statt. Wir beobachten sie mit Abstand in der Tagesschau. Die Kriegskinder von heute leiden die gleiche Not wie damals eure Großmütter und Großväter. Immer noch werden ganze Straßenzüge kaputt gebombt, Menschen getötet. Immer noch mit Waffen made in Germany. Immer noch verstehen Kinder nicht, warum Krieg ist. Viele Kinder aus Kriegsgebieten sind in unser Land geflüchtet. Weil ihre Häuser zerstört, Verwandte getötet wurden. Wir wissen aus Erfahrung, was Krieg für Kinder bedeutet. Und müssen ihnen helfen. Sie schützen. Dafür sorgen, dass sie gute Schulen besuchen. Und den Krieg vergessen können.

Der erste Winter nach dem Ende des 2. Weltkrieges zwischen November 1946 und März 1947 gilt als einer der kältesten des 20. Jahrhunderts und traf die Menschen in Deutschland besonders hart, da viele von ihnen ausgebombt oder geflüchtet waren und in ungeheizten Notunterkünften hausten. Der Winter wird wegen der mangelhaften Nahrungsversorgung auch Hungerwinter genannt. Alleine in Deutschland erforderte er hunderttausende Todesopfer, sehr viele davon Alte, Kranke und besonders Kinder.

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Kommentare

Detmar Roberts
13. Sep 2016

Hautnah, gut geschrieben. Ohne Jammern. Es geht hier um die Kinder und nicht um die zweifellos große Schuld der Eltern. Gut auch der Bezug zu den Kriegskindern von heute. Ich war selbst ein Kriegskind.
Liebe Grüße! D.R.

13. Sep 2016

Danke für die positive Zuschrift, Detmar.
Liebe Grüße Marie

14. Sep 2016

Sehr eindrucksvoll beschrieben. Die Perspektive der Kinder sehr gut getroffen. Gratuliere.
LG Monika

14. Sep 2016

Deine Zustimmung ist mir wichtig. Danke, Monika.
LG Marie

20. Feb 2017

Ja immer noch... ein wichtiger Beitrag!

LG Eva

20. Feb 2017

Danke, Eva. Nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges hätten eigentlich alle Waffen für immer und ewig eingemottet werden müssen. Aber es ging immer weiter, überall auf der Welt. Wir sehen von ferne das total zerstörte Aleppo - auch mit deutschen Waffen wird da geschossen - und wieder leiden vor allem die Kinder.
LG Marie

21. Feb 2017

- ich denke wie du ... vielleicht denken viele Menschen so ?
sagte nicht Einstein: Den übernächsten Krieg führen wir wieder mit Pfeil und Bogen !?
Ich denke: Wir führen andauernd Krieg auf alle erdenklichen Arten und auf allen Ebenen, Waffengewalt macht es deutlicher, sichtbarer, grausamer.
... und die Kinder, die Kinder dieser Welt ?

Einen hoffnungsvollen Gruß ( ich kann nicht anders)
Eva

Marie Mehrfeld
21. Feb 2017

Danke, Eva. Wer können nichts Besseres tun als - hoffen, auch weiterhin ..
LG Marie

27. Mär 2017

Meine Mutter ist mit zwei kleinen Kindern aus Stettin geflüchtet, um den Russen zu entkommen. Sie geriet unterwegs in polnische Gefangenschaft. Es soll furchtbar gewesen sein - kein Wunder, die Polen wollten sich rächen. Sie hat sich zwei Zöpfe geflochten und sah wie ein Kind aus; meine Mutter war gerade mal 1.49 m groß, ging so als die etwas größere Schwester ihrer Kinder durch und hatte Ruhe vor den Russen, die sie - trotz alledem - immer als kinderlieb bezeichnet hat, weil die Russen offenbar Mitleid mit den hungrigen Kindern hatten und ihnen Lebensmittel und Schokolade schenkten - damals, in Polen. Ein sehr guter und wichtiger Beitrag von dir, liebe Marie.

Liebe Grüße
Annelie

27. Mär 2017

Was du über deine Mutter erzählst, berührt mich. Es gibt so viele schlimme Schicksale im Zusammenhang mit Kriegen. Jedes einzelne davon ist es wert, aufgeschrieben zu werden, Annelie. Kinder erleben es auf besondere Wiese - oft mit lebenslänglichen Folgen. Trotzdem wird immer wieder aufgerüstet - das verstehe ich nicht. In uns Menschen steckt wohl ein eingebauter Selbstzerstörungstrieb.
Liebe Grüße, Marie

27. Mär 2017

Sehr gut geschrieben Marie. du hast nur einmal den 1. mit dem 2. Weltkrieg verwechselt, aber das macht nichts, denn alle Kriege sind grausam und unmenschlich. Mein Schwiegervater lebt noch, er wird nun 92 Jahre alt. er wurde als 17 jähriger junger Knabe noch eingezogen als geplanter Bordfunker. Ein deutsches Flugzeug betrat er jedoch niemals mehr, da alle bereits zerstört waren bzw. die Start- und Landebahnen kaputt waren. Statt dessen kämpfte er bald in Gefangenschaft der berüchtigten Rheinlager ums Überleben.

Viele Grüße Ekki

27. Mär 2017

Danke, Ekki, ich hatte es im Anhang falsch hingeschrieben und nun mit deiner Hilfe korrigiert. Dein Schwiegervater hat das Erlebte nie vergessen können, sonst könnte er es nicht erzählen. So ging es vielen Männern und auch Frauen, Kindern.
Liebe Grüße, Marie

27. Mär 2017

- in uns Menschen steckt wohl ein eingebauter Selbstzerstörungungstrieb - Nein.
Wir wollen ein möglichst "gutes" Leben führen, dafür nehmen wir fast Alles in Kauf, drücken wir gerne beide Augen zu. Wir haben jedoch nie genug - ich glaube das ist das Thema. Wir sind unersättlich ?
Und letztlich haben wir nicht einmal das wichtigste und nötigste um ein freier Mensch zu sein. Kein Recht auf freien Zugang zu den lebensnotwendigen Dingen die eine menschliche Existenz nun mal erfordert, so bleibt eine endlose Abhängigkeit - die sich noch dazu vervielfacht ...

Wir werden uns selbst zerstören oder eben dazu lernen.
Zwischenzeitlich liebe Grüße
Eva

20. Okt 2017

Meine Hoffnung, dass die Menschheit dazu lernt, was Kriege, (aber auch Umwelt) betrifft, hält sich in Grenzen. Wenn wir es damit ernst meinen würden, ich meine, wir hier im reichen Deutschland, dann hätten wir längst damit aufgehört, Waffen zu produzieren und in alle Welt zu verkaufen - damit der Rubel rollt und "Arbeitsplätze gesichert werden".
Liebe verspätete Grüße - Marie

30. Jul 2017

Geschichten dieser Art sollten Pflichtlektüre an vor allem deutschen Schulen sein, sehr gut geschrieben.
VlG Ralf

20. Okt 2017

Danke, Ralf. Vielleicht sollten Schulen die wenigen noch lebenden Zeitzeugen bitten, darüber zu berichten.
LG - Marie