Fenitschka - Page 4

Bild von Lou Andreas-Salomé
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die Stühle standen noch friedlich auf die Tische gestülpt da, wie während der Nachtzeit.

»Ich glaube, es ist noch weit nach meinem Hotel,« meinte Fenia bedenklich, — »ist nicht jetzt ein Fiaker —«

»Nach Ihrem Hotel ist es freilich ein wenig weit,« fiel er ihr schnell in die Rede, »aber wenn Sie — — —, ich kann es gar nicht ertragen, daß Sie um den ersehnten Kaffee kommen. Sie müssen jetzt ja noch viel durstiger sein. Ich weiß einen Ort, wo Sie selbst um diese frühe Stunde ganz vorzüglichen bekommen.«

»Wo denn? Ganz nah?«

»Ganz nah. Keine zehn Häuser weit. Denn wir sind hier zwar etwas entfernt von Ihrem Hotel, aber desto näher bei dem meinen. Und meine Hotelwirte sind auf die merkwürdigsten Kaffeestunden eingerichtet. Gehen wir hin. Ich lasse dann von dort einen Fiaker besorgen.«

»Bei mir wird, glaub ich, der Speisesaal nicht so früh aufgemacht,« meinte Fenia etwas verwundert, »aber wenn es so ist — gehen wir meinetwegen.«

Ihre einfache Bereitwilligkeit irritierte ihn beinahe. Die mit ihr durchwachte Nacht hatte seine verliebte Neugier bis zu nervöser Erregung aufgereizt. Wie, wenn er sie gar nicht in den allgemeinen Speisesaal führte? konnte sie denn das wissen? Höchst wahrscheinlich war dieser wirklich noch nicht auf. Aber seine eignen Zimmer lagen daneben.

Eine Art von stiller Wut kam in ihn, seine Unklarheit über dieses Mädchen quälte ihn. War es wohl möglich, daß sie einem wildfremden jungen Menschen so weit entgegenkam, sich ihm so arglos anvertraute, wenn das alles nicht bloßes Raffinement war? Lachte sie etwa im stillen über ihn? Oder von welchem fernen Stern war sie auf das Pariser Pflaster gefallen?

Ach, er war noch sehr jung damals! Die Weiber taxierte er ganz besonders deshalb noch ziemlich falsch, weil er Angst hatte, für einen leichtgläubigen Dummkopf gehalten zu werden. Und was die studierenden Frauen anbetraf, gegen die er eine solche Abneigung besaß, so mußte er sich gestehen, daß er sie eigentlich noch nicht kannte, denn die Frauen seiner intimeren Bekanntschaft gehörten ganz und gar nicht zu dieser Rasse.

Er führte Fenia in das Hotel garni, wo er wohnte, ließ sie einige Stufen hinaufsteigen und öffnete im breiten Korridor die Thür zu einem Zimmer neben dem Speisesaal.

Es war nicht sein Zimmer, sondern eine momentan unbesetzte große, helle Hinterstube mit Saloneinrichtung, die er zu benutzen pflegte, wenn bei ihm aufgeräumt wurde. Als sie eintraten, kratzte jedoch nebenan sein kleiner weißer Spitz, den er einer alten Straßenverkäuferin abgehandelt hatte, aufgeregt über die lang erwartete Rückkunft seines Herrn, unter leisem Gewinsel an der Thür. Max Werner ließ ihn herein, und er schoß unter freudigstem Wedeln und Bellen auf Fenia und ihn zu, als gehörten sie zusammen.

Fenia war zaudernd stehn geblieben, nicht recht begreifend, wo sie sich hier befand. Sie bückte sich unwillkürlich zu dem Hund nieder, der sich indessen zwischen ihnen hingesetzt hatte und sie befriedigt ansah, richtete sich aber ebenso rasch wieder auf und wollte etwas sagen, als ihr Blick Max Werners Gesicht traf.

Er hatte sie ohne irgend eine klare Absicht hier hereingeführt. Wie sie jedoch nun wirklich dastand, in diesem Zimmer, in dieser völligen Abgeschlossenheit mit ihm allein, in diesem schlafenden Hotel, auf dessen Gängen es noch so totenstill war, daß man hinter den halbgeschlossenen Fensterjalousien das vergnügte Zwitschern eines Spatzen im Hofe hörte, — da, — ja, als Fenia da aufschaute, sah sie ihn zitternd vor Erregung über sie geneigt, ganz nahe über ihrem Gesicht, und im Begriff, sie mit beiden Armen zu umfassen.

Sie schrie nicht auf. Sie zuckte nur zurück, bückte sich schnell, um den Schirm aufzunehmen, der ihr bei der Begrüßung des Hundes entglitten war, und wandte sich zur Thür.

»Wie schade!«sagte sie dabei.

Es entfuhr ihr fast bedauernd, zugleich im Ton außerordentlichen Erstaunens.

Er stand einen Augenblick verdutzt da.

Dann schwoll eine plötzliche Raserei in ihm auf, — ein blinder wütender Drang, ihr nur ja nicht den Willen zu thun, und ohne noch selbst recht zu wissen, was er eigentlich damit bezweckte, stürzte er an ihr vorbei zur Thür, riß den Schlüssel heraus, drehte ihn von innen im Schloß herum und steckte ihn darauf in seine Tasche.

Fenia war wie eine Salzsäule stehn geblieben. Sie war furchtbar erblaßt. Ihre Blicke irrten durch das Zimmer, durch das Fenster in den Hof, wo der Spatz schrie, und blieben dann am hellen Klingelknopf der elektrischen Glocke haften.

Aber konnte sie den Garçon herbeiläuten und sich von ihm zu dieser Stunde in dieser Stube mit dem Fremden finden lassen? — Und in den Hof hinunterspringen konnte sie ja doch auch nicht. —

Sie richtete ihre Augen, tief erschrocken, groß und fragend, auf ihn, grade als frage sie ihn danach, was nun zu thun sei. Einen Augenblick lang war etwas Hilfloses und Hilfeheischendes über ihrer ganzen Gestalt, wie über einem im Wald verirrten Kind. — Aber nur einen Augenblick. Dann siegte ein andres Gefühl. Ihr Blick lief an ihm hinab, und ihre Lippen wölbten sich in einem unaussprechlich beredten Ausdruck des Ekels, — der Verachtung —.

Seine Hand fuhr, ohne daß er es ihr im geringsten anbefohlen hätte, in seine Tasche und zog, ohne sich um den Lümmel zu kümmern, der dumm, rot und wie ein Schulknabe dastand, den Schlüssel heraus. Als aber die Hand Fenia den Schlüssel reichte, begleitete er diese unfreiwillige Gebärde mit einem Gemurmel:

»Ich — vorhin, als ich die Thür zusperrte, da mißverstanden Sie mich, — ich wollte doch nicht etwa, — nein, überhaupt nichts, — ich wollte ja nur, daß Sie nicht in dieser Stimmung fortgehen sollten, — nicht aufgebracht und zornig gegen mich.«

Die seltsame Logik dieser Worte schien ihr nicht einzuleuchten. Ihr Gesicht trug noch immer denselben Ausdruck, der es fast verzerrte, — als säße ihr eine Raupe am Halse und kröche langsam weiter.

Sie ergriff den Schlüssel und ging sehr schnell, ohne ein Wort, aus der Thür.

Er hinterdrein. Hinter ihm der Spitz.

Einen Hut hatte er nicht aufgesetzt, sie wäre ihm entwischt, während er ihn vom Tisch holte. Und er fühlte sich gänzlich unfähig, sie so gehen zu lassen, — auf immer, — ohne ein Wort, — lieber wollte er ihr nachlaufen, — ja das wollte er, — wie ein verliebter Pudel, — verliebt in diesem Augenblick zum

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