Alles klar, Frau Ka?

Bild von Susanna Ka
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Beim Doc gab es die monatliche Aufbauspritze. Normalerweise fahre ich nach diesen Arztterminen mit der Taxe nach Hause, aber heute – heute habe ich eine Verabredung. Heute will ich mit meinem Liebsten Kaffeetrinken gehen, seine Hand halten und dabei Erdbeerkuchen essen.
Mit zitternden Knien taste ich mich durch die Fußgängerpassage. Der Betonboden bewegt sich und ich breite die Arme aus, um nicht zu fallen. Die Leute um mich herum lachen und laufen mich fast um. Auch sie scheinen Schwierigkeiten mit dem schwankenden Boden zu haben. Ich schwitze, ringe nach Luft, doch gerade, als mich die Panik zu überrollen droht, sehe ich das Schild „Café Engel“. Eine Glastür und zwei hohe Fenster zwischen Schuhgeschäft und Schuhgeschäft. Aufatmend stolpere ich durch die Tür, wusele mich durch den grünen Vorhang und werde von einer fürsorglichen Kellnerin in Empfang genommen.
„Hallo Frau Ka, nicht so stürmisch…“
Sie geleitet mich an einem Tisch am Fenster und zieht den Stuhl für mich zurück.
„Ein Stück Erdbeerkuchen, wie immer?“
„Ja, danke, und einen Schümlikaffee.“
„Schümli haben wir diese Woche nicht, dafür aber Grünen Tee. Schattentee, etwas ganz Besonderes.“
Sie erzählt mir eine abenteuerliche Geschichte von dem „Edlen Tautropfen“ aus Indien. Von Bambusmatten, die über die Felder gespannt werden, um die Sonneneinstrahlung zu verhindern. So bilde sich der feine Geschmack heraus, der Koffeingehalt wäre besonders hoch und die gesundheitsfördernden Stoffe….
Erschöpft schließe ich die Augen und sehe endlos weite Teeplantagen vor mir. Bambusmatten, die den Himmel verdunkeln, Arbeiterinnen mit Körben voll Erdbeeren, die sie auf riesigen Tortenböden verteilen.
Geschirr klappert und ein blumig-erdiger Hauch streift mein Gesicht. Leuchtend grüner Tee lächelt mir aus einer breiten Tasse entgegen. Dieser Duft - einfach betörend.
„Die erste Tasse geht aufs Haus,“
strahlt die Kellnerin.
Eine zweite Dame in einem schwarzen Kleid und mit einem weißen Spitzenhäubchen stellt einen Teller mit Erdbeerkuchen vor mir auf den Tisch.
An dieser Stelle möchte ich einflechten, dass der Erdbeerkuchen im Café Engel etwas ganz Besonderes ist. Ein knuspriger Mürbeteigboden, darauf kommt eine Schicht Vanillepudding, dann folgt eine Schicht Sahne mit Schokosplittern und dort hinein, zwischen diese Zartbitterschokoladensplitter werden die köstlichsten aller Erdbeeren gebettet.
Doch zurück zu meinem Tee. Schon nach dem ersten Schluck fühle ich mich glücklich und leicht. Der Tee dampft und ein feiner Nebel erfüllt den Raum. Ich atme tief ein.
„Alles in Ordnung, Frau Ka?“
Die Kellnerin lächelt. Der grüne Lippenstift steht ihr wirklich gut, besser, als das dunkle Rot, das sie vorher trug. Auch das Spitzenhäubchen in einem hellen Grün – heller als der Lippenstift – sieht sehr apart aus.
„Vergessen Sie Ihren Kuchen nicht.“
Das grüne Lächeln entschwebt. Ich nehme noch einem Schluck von dem Tee, dann greife ich zur Kuchengabel. Die Erdbeeren leuchten in einem satten Grün, die Sahne glitzert in allen Farben. Fruchtige Süße prickelt auf meiner Zunge und vermischt sich mit dem leicht bitteren Nachgeschmack des Tees. Ich gebe mich ganz dem Genuss hin.
Zwischen Kuchen und Tee lasse ich meine Blicke durch das Café schweifen. Auch die anderen Gäste scheinen von ihrem gewohnten Schümlikaffee auf Grünen Tee umgestiegen zu sein. Das Pärchen am Nebentisch trinkt ihn kalt, aus hohen Gläsern und durch grün-weiß geringelte Strohhalme. Der junge Mann, grünpomadig gescheitelt, hält die Hand seiner Partnerin und zählt die grüngolden gepunkteten Fingernägel. Er haucht auf jeden einem Kuss, was der jungen Dame ein schrilles Lachen entlockt. Sie wirft ihren Kopf zurück und schüttelt eine blaugrüne Lockenpracht. Schlangen züngeln ihren Rücken hinunter. Ehe ich unter Medusas Blicken zu Stein erstarre, widme ich mich wieder dem „edlen Tautropfen“. Eine Inderin in einem schillernden Sari und einem neongrünen Punkt zwischen den Augenbrauen stellt bereits eine neue Schale auf den Tisch.
„Die zweite Tasse geht aufs Haus.“
Sie legt die Hände zum Namaste zusammen und senkt den Kopf.
Da sitze ich nun. Gebadet in den Duft dieses eigenartigen Getränks, den Blicken der Medusa preisgegeben. Um den türkisfarbenen Augen nicht zu begegnen, lasse ich meinen Blick weiter durchs Café schweifen. Hinten links am Stammtisch wippen drei Karnevalshütchen auf blonden Locken. Hellgrüner Filz zu einem Spitzhut gerollt, zusammengebunden mit einem goldenen Satinband, ein Sonnenhut aus Gras, geschmückt mit Gänseblümchen und ein dunkles Käppi mit einer Pfauenfeder. Drei Dekolletés tanzen beim Lachen, Glitzerpuder hüllt sie ein und eine giftig-grüne Flüssigkeit perlt in den Champagnergläsern.
Das Licht wird gedämpft. Bambusmatten rollen, wie von Zauberhand gezogen, vor den hohen Fenstern hinunter. Die Getränke in den Gläsern und Schalen beginnen zu leuchten und verbreiten ein gespenstisches Licht im Raum. Sphärenklänge aus unsichtbaren Lautsprechern. Gespräche verstummen. Die drei jungen Männer, die sonst hinter dem Kuchenbüffet stehen, schieben einen runden Tisch in die Mitte des Cafés. Sexy sehen diese Burschen aus, grünseidene Puffärmel bis zum Handgelenk, die Hemden offen bis zur Taille. Die Kellnerin in dem schwarzen Kleid und mit dem hellgrünen Spitzenhäubchen steigt graziös zuerst auf einen Stuhl, dann auf den Tisch. Sie beginnt, sich in den Hüften zu wiegen.
„You can leave your hat on…“
Joe Cocker singt mit rauer Stimme.
Das schwarze Kleid gleitet an ihrem Körper hinab und umschmeichelt ihn, als wäre es ein lebendiges Wesen. Satin, blassgrün. Die Träger des Unterrocks rutschen fast von selbst von den Schultern der jungen Frau.
Was für ein Nachmittag! Ich lehne mich zurück genieße die Rolle als stille Beobachterin. Meinen Liebsten? Den habe ich längst vergessen.

Interne Verweise

Kommentare

23. Sep 2018

Ich habe diese Geschichte mindestens ebenso sehr genossen, wie Du jenen edlen Tautropfen und den Striptease der Kellnerin, liebe Susanna. Es ist eine gute Geschichte, hervorragend geschrieben - ich habe mir alles bildlich vorgestellt: Ein interessantes Café, darin das Grün eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Danke für diese wirklich fantastisch gute Kurzgeschichte.

Liebe Grüße,
Annelie

23. Sep 2018

Liebe Annelie, es freut mich, dass Du Dir alles bildlich vorstellen konntest, denn genau daran habe ich gearbeitet. Ein Bild zu schreiben. Dein Kommentar war die ganze Mühe wert.

Herzlichen Dank und liebe Grüße, Susanna

23. Sep 2018

So lebendig geschildert, ich bin begeistert, liebe Susanna, und gratuliere herzlich zu Deinem Mut.

Sei lieb gegrüßt!
Marie

23. Sep 2018

Nicht zum Vergessen ist Dein Text -
Der (s)ein Gemälde lebend hext!

LG Axel

23. Sep 2018

Eine Reise ins Grüne
Exotische Welten genossen
mit einer Tasse dampfendem
(Jasmin- ;) )Tee begonnen

so herrlich verträumt :)

LG Yvonne

24. Sep 2018

Überall um dich, die Farbe der Hoffnung, in allen Variationen, Formen und Lichtschimmern... eine Szene wie gemalt. Dazu tanzt in Café ein Engel und lässt dich die Welt vergessen …

Gerne war ich Gast hier.
Herzliche Grüße
Soléa

26. Sep 2018

Habt herzlichen Dank für Eure Anmerkungen und Klicks.

Susanna