Brummschädelweisheiten (künstliche „Betrachtungen“ eines Mitläufers)

Bild von Alf Glocker
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Immer wenn mir grade elend langweilig ist, oder ich das Gefühl habe, mein Selbstwertgefühl ein wenig aufbessern zu müssen, dann setze ich mich hin und schreibe. Eine Geschichte soll‘s schon werden, vielleicht kann ich aber sogar ein Gedicht konstruieren. Ich muss also nach-denken! Dabei sehe ich aus wie der Denker von Rodin, nur selbstverständlich nicht nackt, das ist unmoralisch! Woher ich das nun weiß? Nun, ich weiß doch, was grade so verlangt wird. Und die Zeiten, als Nackte natürlich schön genannt werden durften, sind vorbei – heutzutage geht man bedeckt … Das ist, so wird gesagt: „modern“.

Jetzt muss ich mich aber auf einen Text konzentrieren! Was kann denn derzeit geschrieben werden? Mit „kann“ meine ich 1., worüber darf gesprochen werden, 2., wann werde ich weswegen angefeindet und 3., gibt’s da schon einige Aussagen, an denen ich mich ausrichten könnte? Falls es ein Gedicht werden soll, heißt es „aufpassen“ – niemals einen eigenen Gedanken einfließen lassen! Das könnte einen Eklat auslösen, oder schlimmer noch: Desinteresse … Also könnte ich über Pferde schreiben … einen vom Pferd erzählen. Was ist das eigentlich, ein Pferd? Man sagt doch auch Fuchs, wenn es rötlich gefärbt ist …

Zu schwarzen Pferden sagt man entweder „Springer“ (beim Schach) oder „Rappe“. Auf Schusters Rappen, sagt man ja auch, wenn man zu Fuß geht. Das passt also. Damit bin ich niemandem auf den Schlips getreten, damit habe ich nicht philosophiert, denn die Philosophien gibt es ja schon alle und die wirklichen Philosophen sind längst tot, wie natürlich auch die guten Dichter. Man könnte höchstens dem Club der toten Dichter beitreten. Nein, dann schon lieber „fuck you Goethe“, das macht weniger Arbeit und ich muss mir nicht extra was Eigenes einfallen lassen. Wie ich weiß, und nun wir wissen, provoziert man damit nur. Man ist quasi unhöflich!

Dann doch lieber eine Geschichte … wie wär’s mit einer über die armen Menschen, oder eine über Menschen, die man früher mal verfolgt hat, wenn man damals richtig und heute falsch orientiert war. Das geht immer! Da ist vielleicht sogar ein Preis drin. Aber ich kenne keinen, dessen Urgroßmutter mal verfolgt worden ist und womöglich auch noch ermordet wurde. Was mach ich jetzt? Schon wieder dieses Nachdenken. So langsam beginne ich, Rodin zu hassen. Wusste der denn überhaupt, was er angerichtet hat, als er den „Denker“ schuf – und dann auch noch nackt?! Kann ich mich dem eventuell doch annähern, wenn ich mich ausziehe? Das sieht doch hier, in meiner Wohnung keiner.

Keiner, außer mir! Ich darf mich einfach nicht ausziehen! Weder körperlich noch geistig … Ich muss verbergen, was meine Seele fühlt, ich muss mich ausrichten an dem, was eine Seele in unserer Zeit zu fühlen hat! So springe ich über meinen Schatten – hic Rhodos, hic salta – darauf kommt’s an. Schließlich will ich später einmal mein Maul ganz weit aufreißen und behaupten, ich hätte das alles, ganz ohne fremde Hilfe gebastelt. Ich höre! Nein, natürlich nicht in mich hinein, sondern mich um. Was sagt was zu welchen Themen, und wofür werden X oder Y schief angeschaut. Davor habe ich Angst – ich komme schon bei völlig geraden Blicken auf mich durcheinander. Ich will beachtet, aber nicht be-ob-achtet werden!

Schließlich kommt mir der rettende Gedanke: ich schau mir die Nachrichten an! Wer ist heute „in“ und wer „out“. So werde ich vorgehen: Ich stoße in möglichst oft gehörte Hörner und stelle mich auf die Seite derer, die als die späteren Sieger aus dem Zeitgeschehen hervorgehen werden. Dann schlage ich zu. Mein Stift huscht über das Papier, das sich langsam mit einem tatsächlich nicht unbeschreiblichen, sondern wirklich weit verbreiteten Irrsinn füllt. Manches kann ich direkt abschreiben. Dadurch erscheine ich up to date und wirke keineswegs abgedroschen. Mein Gewissen habe ich künstlich beruhigt, indem ich einfach behaupte: „Alles was brav ist, ist auch rein."

Dann gehe ich in medias res und zeige vor, was ich Geniales erschaffen habe. Sofort finde ich eine Menge Bundesgenossen, die auch alle meiner Meinung sind, die ich genau genommen nie gehabt habe und trotzdem davon überzeugt war, sie bevorzugen zu müssen. Sollte da zufällig einer sein, der begabter ist als ich, kann ich immer noch sagen: „Ja, das vielleicht schon, aber warum ist er so dumm, sein Herz auszuschütten?“ Dann lachen wir ihn alle aus und bestimmen den Tagessieger! Tagessieger wird der größte Schleimer, der momentan zur Verfügung steht … was habe ich gesagt?? Das war ein dramatischer Versprecher. Tagessieger wird natürlich der, der am raffiniertesten nichts gesagt hat und dabei wie ein Professor aussah …

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Kommentare

25. Aug 2018

Dies Nacktschreiben scheint ja keine Option!
(Beim Nacktlesen erwischte mich Krause schon ...)

LG Axel

03. Sep 2018

Da gibt es wirklich anspruchsvolle Lektüre...
:o)))

LG Alf