Wenn aus den Löchern und aus den Kaschemmen
Gesichter steigen, die man niemals sah –
wenn Spezialisten ganze Schränke klemmen,
wenn aus dem Skatvereine kommt Papa –
wenn jene Mädchen mit dem falschen Busen
von einem Gulasch zu zwölf fuffzig schmusen,
wenn brav und treu die Schließgesellschaft wacht –:
dann ist es Nacht, die Neu-Berliner Nacht …
Der Asphalt glitscht. Die Bogenlampen funkeln.
Der Regen rinnt. Die Nebelschwaden ziehn.
Die Tugend wackelt – bis sie fällt – im Dunkeln …
Wie hast du dich verändert, mein Berlin!
Wenn man für eine Fahrt vom Leipziger Platze
im Ommnibus zwei lumpige Märker zahlt –
wenn Meta mit dem Portokassenschatze
sich in der (doch noch offnen) Bar beim Whisky aalt –
wenn Ludewiche an den Ecken raufen,
wo feine Leute billige Seife kaufen,
wenn das Roulette noch schnell Geschäfte macht –:
dann ist es Nacht, die Neu-Berliner Nacht …
Der Asphalt glitscht. Die Bogenlampen funkeln.
Der Regen rinnt. Die Nebelschwaden ziehn.
Die Tugend wackelt – bis sie fällt – im Dunkeln …
Wie hast du dich verändert, mein Berlin!
Wenn knackend voll und zischend durch die Hallen
der letzte Untergrundbahnzug mit Pfeifen saust –
wenn du den Mädchen, die dir sehr gefallen,
von wegen morgen früh nicht gerne traust –
wenn sie diskret dich in die Bar verschleppen
und dich dort neppen, neppen, neppen, neppen –
bis ihr am Alexanderplatz erwacht –:
dann ist es Nacht, die Neu-Berliner Nacht …
Der Asphalt glitscht. Die Bogenlampen funkeln.
Der Regen rinnt. Die Nebelschwaden ziehn.
Die Tugend wackelt – bis sie fällt – im Dunkeln …
Und schöner bist du nicht, du mein Berlin –!
Theobald Tiger (Anmerkung Redaktion: Pseudonym von Kurt Tucholsky)