Ruth - Page 17

Bild von Lou Andreas-Salomé
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das heißt, wenn dir Stimmung und Laune zufällig danach stehn. Hier hingegen, wo du freiwillig hergekommen bist, kann es doch nicht ganz so bleiben. Hier wird dich notwendigerweise etwas fest Bestimmtes erwarten, was vom Augenblick und seinen Stimmungen unabhängig ist. Also auch etwas, wovon du manchmal denken wirst: ›ganz so möcht ich's nicht, – ganz so meint ich's nicht, – dies da soll anders sein, – das da soll heute nicht da sein‹. Ist es nicht so?«

Sie schwieg hartnäckig und machte ein verschlossenes Gesicht. Es war ihr wirklich ungefähr das durch den Kopf gegangen, was er da sagte. Aber daß er das wissen konnte, kam ihr sehr unangenehm vor.

Er blieb bei ihr stehen und nahm ihr die Wollmütze, die sie aufbehalten hatte, vom Haar.

»Nun Ruth, gestern hast du mich nicht ansehen wollen, und heute willst du mich nicht anreden. Hältst du so unsern Vertrag? Und ich hoffte bestimmt, daß du mir viel erzählen würdest. Viel – alles. Alle deine schönsten Geschichten.«

»Nein,« erklärte Ruth, »nie und nimmer. Ich will nichts erzählen. Ich will alles für mich allein behalten.«

»Du Geizhals!« sagte er und lachte, »das ist sehr schlimm. Ist es nicht schlimm, wenn man einen zu Gaste geladen hat, und dann die Haustür vor ihm zuschlägt? Aber zum Glück kannst du das gar nicht mehr, Ruth. Hast du mir nicht deine Geschichten geschenkt? Hast du das vergessen? Nun sind sie mein Eigentum. Ich kann damit machen, was ich will. Ich kann sie dir aus Kopf heraus nehmen und für mich ganz allein behalten.«

»Ach nein!« fiel sie etwas lebhafter ein und griff unwillkürlich nach ihrem Kopf, »das geht ja gar nicht. Es geht nicht, wenn ich nicht will.«

»Du sprichst so viel von deinem Willen, Ruth. Und daß du nur hier bist, weil du grade willst. Aber weißt du denn eigentlich auch, wozu du es willst?«

Sie stutzte und blickte auf. Als sie nicht gleich eine Antwort fand, fügte er hinzu: »Ich weiß es für dich: du wolltest eben diesen Willen klären und erziehen lassen von jemand, der dich lieb genug dazu hat. Alles Lernen ist nur ein Mittel dazu.«

Ruth legte ihre Hände an die Seitenlehnen des Sessels, und ihr Gesicht wurde noch ablehnender. »Wie wenn sie ein Visier vorgelegt hätte!« dachte Erik, sie betrachtend. Aber hinter diesem Visier arbeitete eine steigende Erregung in ihr. Die passive Stimmung, in der sie heute hergekommen war, hielt unter Eriks Andrängen nicht stand, aber noch weniger vermochte sie den Traum und das seltsame Glück des ersten Abends wiederzuerhaschen. Sie verschloß und verbarg sich daher instinktiv vor ihm, wie vor einer Macht, die man sich erst genau ansehen muß, ehe man sich mit ihr einläßt.

»Alles ist heute anders!« murmelte sie.

»Es wird immer anders sein, als du dir's willkürlich ausmalst,« entgegnete er in ruhigem Ton, »und das soll es auch, Ruth! Es soll zu ernst sein für ein bloßes Spiel der Phantasie. Siehst du, auch ich habe mir etwas Schönes ersonnen und geträumt, was ich in dir verwirklicht sehen möchte. Ich versprach dir doch: für die Geschichten, die du mir erzählen wolltest, solltest du eine durch mich erleben. Die Allerschönste, – sagtest du nicht so? Mit dem Erzählen mußt du's nun halten, wie du willst, aber mit dem Erleben wirst du's halten, wie ich will. Es war mein Geschenk für dich. Und wenn du heute auch nichts davon wissen willst, so wirst du es doch annehmen müssen.«

Ruth wurde unruhig. Sie kannte nur zwei Sorten Menschen, und daß sie Erik in keiner von beiden unterbringen konnte, ängstigte sie. Die eine Sorte bestand aus ihrer jeweiligen täglichen Umgebung, die ihr meistens störend oder gleichgültig war und wirkungslos an ihr abglitt; die andre bestand aus den fremden Menschen, die sie, wie Schattenbilder, aus der Ferne betrachtete und denen sie die äußre Anregung zu ihren Phantastereien entnahm. Zu diesen konnte Erik nicht gehören, denn die taten nur, was sie wollte, – sie waren ja nur, was sie wollte. Er hingegen war eine Wirklichkeit, die auf sie eindrang. Sie konnte ihn aber auch nicht abwehren, wie sie die Ihrigen von sich abwehrte, denn es war etwas da, was sie mächtiger reizte und anregte, als es alle Schattenbilder zusammen getan hatten.

Sie sah ihn scheu an.

»Ich will lieber ein anderes Mal kommen,« bat sie leise, »ich kann heute nicht lernen. Ich kann's nicht.«

»Doch, doch!« entgegnete er beschwichtigend, »du kannst es. Und im Grunde willst du's auch. Aber wir können nicht in jedem Augenblick den Kampf darum von neuem aufnehmen. Der muß ein für allemal entschieden werden. Du oder ich, Ruth! Einer von uns beiden muß gehorchen.«

Da sprang Ruth plötzlich auf und sagte undeutlich: »Dann kann ich auch fortbleiben.«

Es war ihr ganz spontan, wider alle Überlegung, entfahren. Aber nun half es nichts. Nun war es heraus.

Erik sah, daß sie ganz blaß und über sich selbst erschrocken dastand, und ein heftiges Mitleid mit ihr erfaßte ihn. Ihm kam es vor, als habe er sie mißhandelt, und sein Blick wurde sehr weich.

Aber er dachte nicht daran, dieser weichen Regung nachzugeben. Er wünschte, die entscheidende Situation so scharf als möglich zum Austrag zu bringen. Am Gelingen zweifelte er nicht. Und voll Freude fühlte er: war's erst überstanden, so konnte er alle Strenge in die Rumpelkammer werfen. Dann war er Ruths für alle – alle Zeit sicher.

»Gewiß kannst du fortbleiben,« bestätigte er ruhig, »wenn sich's für dich wirklich nicht um mehr gehandelt hat als um einen solchen Zeitvertreib, wie ihr ihn unter euch im Schulhof treibt. Weißt du noch, was du von dem Fremden gesagt hast, den ihr in euer kindisches Spiel hereinzogt? ›Wenn er mir nicht gepaßt hätte, wenn er aus der Rolle gefallen wäre, die ich ihm zugewiesen habe, dann hätt' ich mir einfach einen andern suchen müssen, – ich hätte die Augen zugemacht und wäre fortgelaufen.‹ Ist es hiermit ebenso oder auch nur annähernd so – – dann lauf nur fort.«

Während er sprach, fühlte er beständig das große Mitleid. Sie sah nur ein einziges Mal auf, und wie sie seinem weichen Blick begegnete, da war es, als ginge ihre passive Abwehr in eine Art von Angriff über, – als

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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