Ruth - Page 24

Bild von Lou Andreas-Salomé
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dich. Was zum Raten.«

»Sie ist ein scheuer Vogel,« sagte er mit einem Lächeln, »und es ist noch nicht gewiß, ob ich sie eingefangen habe. Eine falsche Bewegung, – und sie fliegt mir fort.«

»Ja, Erik, das denk ich mir nun wieder ungeheuer angreifend. Es macht doch unsicher. Förmlich schwindlig würd' es mich machen. Wie ein konfuses Stickmuster.«

»Unsicher? Nein, Bel, im Gegenteil. Man wird sich dessen wieder bewußt, was man vermag, – ob man's vermag. Man sammelt die Kraft, – die vergessne, eingerostete. Und so kommt man endlich wieder zur großen Sicherheit des Lebens und zum alten Glauben an sich selbst.«

»Ja ja, Erik. Wenn nur alles gut geht.«

Er stand auf und legte herzlich seinen Arm um ihre Schultern: »Sorgenmütterchen! nur ein einziges Mal: laß die Sorgen, die grauen! Mir ist froh! Du sollst es noch sehen: an dem Mädel wächst mir mein Meisterstück!«

Sie seufzte und gab ihm im stillen ganz recht. Daß er Ruth zu sich nahm, das war ungefähr so, wie wenn ein Gelehrter irgendwo eine recht unentzifferbare Handschrift ausgräbt, – meinte sie; an der liest er dann lieber und eifriger herum als am bestgeschriebenen Buch. Es war nun einmal nicht anders: da steckte sein Talent und sein Beruf.

Erik ging fort, er wollte noch nach dem Bahnhof, um Ruths Gepäckstücke durch einen Bauernwagen herüberschaffen zu lassen; der Onkel hatte sie bereits herausgeschickt.

Klare-Bel lag und dachte nach. Sie zwang sich dazu, an die Zeit zu denken, die sie sonst immer in ihrer Erinnerung zurückschob. Es war doch schön, daß Erik wieder so froh sein konnte und so voll von sanguinischen Hoffnungen. Das war doch besser und natürlicher für ihn, als diese langen, langen Leidensjahre, wo ihn nur der eine Gedanke erfüllte: wie seine Frau wieder gesund zu machen sei.

Ein einziger jahrelanger Kampf, – ein schmerzensreicher, gräßlicher.

Namenloses hatte Klare-Bel aushalten müssen um seiner Hoffnungszähigkeit willen, die nicht nachließ, nichts unversucht ließ, die noch ans Unmögliche anrannte und mit unermüdlichem Trotz den alten Kampf immer wieder aufnahm. Es war nicht leicht, denn bei Klare-Bel durfte Narkose wegen einer geringen Herzschwäche nicht angewendet werden. Aber immer wieder wußte er sie zu neuem Wagnis, neuer Qual zu überreden und mit seinem unbegrenzten Einfluß zu zwingen. Er war in diesem Kampfe zum Arzt geworden; was er früher aus Lust und natürlicher Begabung nebenher betrieben hatte, wurde ihm Beruf. Seine ganze, ungeteilte Kraft warf er hinein: er wollte es nicht glauben, nicht dulden, daß ein einziger blöder und blinder Zufall auf Lebenszeit das Glück verschütten könne.

Und nun, da er's glauben und dulden mußte, war es doch hart, alles das vergebens geopfert zu haben, woran seine Hoffnungen sonst noch gehangen hatten. Und wenn ihm Ruth nur eine davon zurückgab, wollte Klare-Bel sie lieben. Es war ja nicht mehr als eine kleine, späte und unscheinbare Blume für einen ganzen Strauß, den ihm das Leben schuldig geblieben war.

Noch nie war das Klare-Bel so klar geworden, wie heute, seit dem Gespräch mit Ruth am Springbrunnen im Garten.

Jonas kam herein und setzte sich an das Fußende ihres Ruhebetts. Er griff nach einem Bund Garn, das Klare-Bel abzuwickeln begonnen hatte, und hielt es ihr auf den Fingern.

»Wird Ruth nun bei uns bleiben, Mama?« fragte er.

»Jawohl. Du hörtest es doch. Freut es dich nicht?«

»Über alles freut es mich. Nur werd ich mich jetzt so ganz umsonst anstrengen.«

»Wie meinst du das, mein Kind?«

»Ich meine: Papa wird Ruth ganz gewiß viel lieber haben als mich. Ganz gewiß. Sie ist klug, – meinst du nicht?«

»Das kann ich unmöglich wissen. Aber was ist das für ein Unsinn, Jonas. Weil dich Papa lieb hat, will er ja, daß du dich mehr anstrengst und besser vorwärts kommst.«

»Ach, Mama, ich strenge mich schon an, so sehr ich kann. Ich komme ja auch vorwärts. Aber Papa ist so schwer zufrieden zu stellen. Er ist der strengste Lehrer bei uns. Sie fürchten ihn alle. Aber ich am meisten. Von mir verlangt er am meisten.«

»Darüber solltest du froh sein. – Mach nur jetzt keine Eifersüchteleien, Jonas, hörst du?«

Da lachte er über das ganze Gesicht, scheinbar völlig unmotiviert, so daß er wirklich einfältig aussah.

»Nein, Mama, das tu ich gewiß nicht. Wenigstens nicht so, wie du's meinst. Aber wenn es Ruth einfallen sollte, – Papa lieber zu haben als mich – –«

»Aber Jonas –!!«

Er ließ das Garn vom Finger gleiten, so daß es fast in Verwirrung geriet.

»Verzeih, Mama. Ich bring es gleich wie der in Ordnung. – Weißt du, du hattest eben ganz recht, als du sagtest, ich sollte nur froh sein, daß Papa so viel verlangt. Das denkt sich nämlich Ruth angenehmer, als es ist. Sie wird das noch merken. Und ich werde nie etwas Unangenehmes von ihr verlangen.«

»Du bist wirklich ein recht dummer und unnützer Junge!« sagte Klare-Bel ärgerlich und sah sich ihren Sprößling genauer an. Er machte ein ganz treuherziges Gesicht. Das Lachen hatte sich in die Winkel der Augen verkrochen. »Wenn Papa so was hörte! Und da wunderst du dich noch, wenn dir Papa Ruth vorziehen sollte.«

»Ich wundre mich ja gar nicht, Mama. Das kann ich ihm doch nie im Leben übelnehmen. Wie sollte ihm Ruth auch nicht besser gefallen als ich?«

»Wo steckt Ruth nur eigentlich?«

»Sie ist oben in die Giebelstube gelaufen, wo Gonne noch herumwirtschaftet. Um sich ihre Wohnung selbst herzurichten, sagt sie.«

Als Erik vom Bahnhof zurückkam und Ruths Kopf oben aus dem offenen Fenster herausschaute, stieg er zu ihr hinauf. Das kleine, nach hinten zu abgeschrägte Gemach war schon in Ordnung. Außer dem heute beschafften Bett und einer großen Holzkiste, die durch zierlich gekrauste und gefaltete Mullvorhänge beinahe das Aussehen einer wirklichen Waschtoilette bekommen hatte, gab es jedoch noch nicht viel zu sehen. Ein Geruch von Seife und frisch aufgenommenem Ölanstrich machte sich bemerklich.

Ruth saß auf dem schmalen Fensterbrett, zu dessen Seiten schon kleine weiße Gardinen niederhingen; die Leiter lehnte noch daneben. Ein leichter Wind bewegte die Zweige der großen alten Ulme vor der Terrasse, so daß sie am Fenster auf und nieder schwankten und fast Ruths Gesicht berührten. Man sah von hier oben nur in die Wipfel der Bäume, und das, fand Ruth, sah lustig aus: wie ein grünes rauschendes

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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