Reuenthal w - Frau Kupka

Bild von Klaus Mattes
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Den Namen der bösen Frau hat der Mann nie erfahren. Er weiß, dass „die Frau“ein knapp sechzehnjähriges Mädchen aus Kirchhausen gewesen war, das zur Schule gegangen ist. Deshalb begreift er nicht, wie der Junge sie für eine Schlange der Verdammnis halten kann. Die Verfolger kommen angeblich von ihr. Er fragt, ob er eine Ahnung hat, was aus ihr geworden ist. Der Junge glaubt, verheiratet wäre sie jetzt, habe ein Kind. Dann hat sie anderes zu tun, als den Jungen für etwas, was vor acht Jahren gewesen ist, zu belästigen. Der Junge schenkt diesem Argument keinerlei Aufmerksamkeit.

Der Fragerei, was passiert wäre, entzieht er sich. Angeblich habe ihn „die Frau“ständig heiß gemacht. Zugelächelt im Bus, mit ihren Freundinnen über ihn gekichert. Wenn sie allein waren, war sie dann auch lieb, hat sich in den Arm nehmen lassen. Sobald einer kam, hat sie ihn wieder runtergemacht: „Der doofe Timo glotzt!“Sie haben sich am Bach getroffen, wenn er den Hund ausgeführt hat. Mit seinem Hund hat sie geflirtet. Es war bei ihm die allererste Frau. Sie hat ihn heiß gemacht und dann abfahren lassen. Dann „die schlimme Sache“.

Falls der Mann richtig nachrechnet, muss es kurz davor gewesen sein. Bevor Bodo sich Timo von der Bushaltestelle weg geholt hat. Bevor er weggelaufen ist. Bodo hatte behauptet, der Junge hätte dem Mädchen mehrmals aufgelauert, es bedrängt. Die Eltern sollen ihn bei seinen Eltern bezichtigt haben, beim nächsten Mal würden sie ihn anzeigen.

Bekanntlich bringen Frauen dem Jungen Unglück. Wie Männer immer stellt er sich eine, jetzt ferne, Zukunft vor, wo er ein Haus für Frau und Kinder baut. Er stellt sich zwei Söhne und eine Tochter vor. Er wird nicht mit Schwulen rumhängen. Er will ein Leben. Er will Kinder, die zu anständigen Leuten aufwachsen.

Es ist nicht wichtig, ob die Frau blond oder dunkel ist, ob sie große oder kleine Brüste hat, vielleicht noch schielt. Deutsche muss sie nicht sein. Sie muss fest zu ihm stehen, treu sein, Mutter sein für seine Kinder.

Überall, wo er hinkommt, früher Schule, Ausbildung, Disco, heute Bahnhof, Park, Kneipen, Schwemme, draußen, überall merkt Timo, wie Frauen sich auf ihn ausrichten. Er hat das an sich, es schüchtert die ein. Jede, die was taugt, denkt, er wäre ein Tagedieb. Doochdieb, sagt Timo. Er tut nichts, er guckt sie nicht mal an. Schon wissen sie über ihn Bescheid. Obwohl er alles tut, damit sein Leben in Ordnung kommt. Nur, weil er seine Seele dem Satan gegeben hatte. Satan hat Schlampen für ihn.

Die Hündinnen. Die meinen, er ist der kleine Junge. Man kann ihn immer noch um den Finger wickeln. Sie halten still, damit sie gefickt werden, dann sind sie weg und sie lachen.

Manchmal muss er zur Bierschwemme am Bahnhof, dort auf sie warten. Der Parkplatz links neben dem Bahnhof, da geht was Strichiges. Die Frauen sind auf Droge, die schaffen an. Die meisten sind nur kaputt. In der Bierschwemme ruhen sie aus, dazwischen.

Entsprechend sind die Männer. Das Unterste beim Untersten. Reuenthaler Abschaum. Nach Mitternacht, wenn der Bahnhof zugesperrt wird und die Bierschwemme dann auch dicht macht, wechselt die Blase in die Litterwelle. Litterwelle ist eine Holzbaracke, zwischen dem alten Litterarm und dem Kanal wie auf einer Insel. Nichts außer ausrangiertem Güterbahnhof. Litterwelle hat nie Ruhetag, jede Nacht bis zum Morgen, manchmal in den Tag rein.

Er muss öfter hin, weil es warm wird. Wenn es warm wird, wird er automatisch geil. Er wohnt ja nicht bei dem Mann hier. Ist er weg, weiß Peter nicht, ob er in Litterkrauch ist, in dieser Schwemme, in der Litterwelle. Vielleicht liegt er im Bett und fickt. Der Mann grinst, das glaubt er doch selbst nicht. Auch in der Litterwelle und der Bierschwemme ist er als Gewaltverbrecher verschrien.

Der Junge sucht nach einer von den Junkies. Auch ihren Namen nennt er nie. Sie ist, sagt er, diese eine Frau, die er richtig geliebt hat, die er noch liebt. Demnach hat er die Kleine in Kirchhausen also nicht geliebt. Diese Frau war abhängig. Sie hat ihm gezeigt, dass Heroin den Mensch zerstört. Dann hat sie ihn weggeschickt. Sie hat gesagt, sie kann nicht mehr und sie will ihn nicht reinziehen. Sie war ganz radikal. Jetzt ist die verschwunden. Keiner weiß, wo die ist. Das, denkt Peter, ist so ungewöhnlich ja nicht. Hatte er nicht Timo gefragt, ob der im Milieu Tobi gesehen hat? Timo hat sich kaum noch erinnern wollen, wer Tobi überhaupt war.

Einmal, als der Mann sagt, dass die in Kirchhausen nicht einmal ahnt, dass er im Knast gehockt ist, keine Arbeit hat, im Wohnheim wohnt, schaut der Junge eine Zeitlang vor sich hin und da:
„Die Kupka! Jetzt weiß ich’s! Die Kupka ist dabei!“

Der Mann will wissen, wer die Kupka ist. Kupka, sagt der Junge, ist die von der Kleiststraße.
Was ist Kleiststraße?
Betreutes Wohnen für Haftentlassene.

Dort ist der Junge gewesen, bevor er zum Schwulen von Bad Bretzdorf gekommen ist. In der Kleiststraße hat er das Zimmer bekommen. Kupka ist die, wo die Kleiststraß unter sich hat. Sie ist sauer auf ihn, weil sie geil war und er sie nicht gefickt hat.

Der Junge übertreibt sicher. So schön, dass jede Frau mit ihm ins Bett will, ist er nicht. Wie alt ist die Dame Kupka, hat sie einen Ehemann?
„Nein, die hat keinen. Die nimmt doch keiner! Das ist eine Wuchtbrumme, die nach Schweiß stinkt. Einen Ton am Leib wie ein General. Wie alt? Ende vierzig halt.“

Jaha, die Kupka, die Kupka. Sie hat die schwersten Jungs in Senkel gestellt. Zu ihm war sie aber immer honigsüß. Einmal ist er besoffen gekommen und hat ihr ihren Gummibaum umgerannt. Hat gescheppert und der Topf kaputt. Kupka rausgewalzt, ihren Zorn hat sie runtergeschluckt, hat ihn zu sich rein gebeten. Nichts gesagt wegen ihrem Topf, wegen seinem Suff, gefragt, ob er was essen möcht. Wenn er Sorgen hat, kann er ihr das sagen. Sie wird schauen, ob sie für ihn was tun kann.

Peter meint, diese Frau war nett und sie hat gewusst, dass man beim Jungen mit Härte nie was erreicht.
„Nein, so war’s nicht.“
Einmal hat sie ihn in die Wohnung geholt, weil sie eine Anrichte gekauft hat vom Möbelpick. Ein Ding, wo man Teile aus dem Paket aufbauen muss, eine Zeichnung, wo kein Mensch schlau wird. Da hat die Kupka gesagt, er als Mann kann das, sie wäre ungeschickt. Er hat den Scheiß nicht zusammengekriegt. Nur geärgert, weil er für die Kupka den Kasper machen soll. Das war eine Privatsache von ihr, wenn sie sich diesen Scheiß kauft.

Aber sie hat ihn gehabt vor ihren Füßen, da auf dem Boden vor ihr und sich in Ruhe den Arsch angeschaut. Und gegrinst. Er war blöd. Er hat sich gewundert, dass sie nicht sauer geworden ist, weil er das nicht bringt. Kurzer Rock, Stöckelschuhe, sind das Sachen, die man anzieht, wenn man Möbel aufschraubt?

Eine ältere Frau, die viel allein ist, hat menschliche Regungen, wenn ein junger Mann mit ihr unter einem Dach wohnt, sagt der Mann.
„Ich“, sagt der Junge, „bin so naiv gewesen. Die wollt gefickt werden.“
„Und wenn du’s gemerkt hättest?“
„Dann hätt ich sie gefickt.“
„Obwohl sie alt war?“
„Altere sind an sich nicht schlecht. Die sind zärtlich.“

Seither ist die Kupka sauer. Wie sie geschaut hat, als er von ihr weg ist! Die und der Reiselfinger, die stecken unter einer Decke.
„Alle drei arbeiten für die böse Frau in Kirchhausen, oder?“
„Es kann nicht anders sein.“
„Sei mir nicht bös, du drehst hohl.“

Der Junge schaut und sagt nichts mehr.

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Kommentare

02. Jul 2017

Ja, spannend.
Hab ich "dich" erst jetzt entdeckt?
Ich glaube, ich habe irgendwann schon einmal etwas von dir gelesen und kommentiert ...