Der Bobtail

Bild von W.Haller
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Die Tage nach Weihnachten waren ungewöhnlich warm, es lag kein Schnee, die Sonne bohrte sich durch die Wolkendecke und bahnte sich immer mal einen Weg bis auf die Erde. Das lockte nicht nur uns in die Flusswiesen, sondern zum Beispiel auch ein junges Paar mit einem Bobtail von der Größe eines Kalbes. Das Tier sah von hinten aus wie ein im Kohlenhandel tätiger Eisbär, so schmuddelgrau war sein zottiger Pelz. Der verhangene Blick gab ihm trotz Würde und Phlegma seiner Bewegungen etwas Burschikoses, was freilich täuschen mochte. Ich hätte es nicht erklären können, aber auf mich machte er einen menschlichen Eindruck, und das sollte sich noch verstärken.
Das junge Paar ließ sich nonchalant auf einer Parkbank nieder, er hatte beide Arme auf der Rückenlehne ausgebreitet, und sie lag mit geradem Körper und den Händen in den Hosentaschen wie ein angelehntes Brett schräg daneben. Der Hund wollte die Bank natürlich ebenfalls besteigen, und dafür legte er zuerst die Pfoten neben Herrchen auf die Sitzfläche, hob dann wie ein alter Mann das rechte Hinterbein, um es aber gleich wieder zurückzustellen, denn es fehlte wohl der nötige Schwung. Der nächste Versuch klappte schon besser, wurde aber auch aufgegeben. Alle guten Dinge sind scheinbar auch bei Bobtails drei, und endlich gelang es ihm. Er saß jetzt erhobenen Hauptes neben Herrchen, und zwar mindestens einen Kopf größer als der, und, obwohl der Sitzplatz für das große Tier zu knapp bemessen war, mit dem Gesichtsausdruck und der Körperhaltung eines Souveräns, ernst, zufrieden und wie aus Stein gehauen. Die Situation hatte eine so unbeschreibliche Komik, dass vorbeikommende Spaziergänger zunächst ihren Augen nicht trauten, sich dann mit vorsichtigem Umsehen nochmals vergewisserten und nach angemessener Entfernung endlich losprusteten. Wer von alledem nichts merkte, waren das junge Paar und der Bobtail. Als wir nach einer halben Stunde zurückkamen, saßen die drei immer noch unverändert mit geschlossenen Augen in der Sonne.

2010/ Sammlung: Hund

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Kommentare

07. Feb 2017

„wie der Herr, so's Gescherr“...
Viele Grüße
Soléa