Er trug ein rotes Kleid. Sie steckte in einem der Anzüge, hatte eine dunkelblaue Krawatte um. Das war ihr erstes Mal. Fahrlässig hatten sie sich auf ungeschützten Verkehr schon eingelassen gehabt. Sie, eine elegante Blondine, deren Verlangen nach Selbstpreisgabe er geahnt hatte, versengt unter dem Panzer aus Eis.
Ihn zu durchschauen, fiel ihr um so vieles leichter: ein Fetischist ihres Busens.
Jetzt, um es auszuprobieren, viel Gutes hatte man gehört, würden sie Safer machen. Beutel hatten sie sich übergestreift. Zögernd, von komischer Scham ergriffen. Selbst in Ekstase waren ihre Blicke bis heute kontrollierend geblieben. Jetzt blieben sie ihnen verborgen. Leider auch die Schönheit des aufgerissenen Munds und seine Bartstoppeln und die aufgeklebten Flecke.
Ihre Hände hatten Sehen erlernt. Die Leiber standen Rede und Antwort. Nach hinten war ihm sein Kreuz gerutscht, sie fand das heraus. Einer ihrer Schenkel war ihm zwischen die Beine geschoben. Bebend schlug sein Herz der Sekunde zu, wenn sie seine Spitzenunterwäsche erreicht hätte. Sogar unter dem Beutel, selbst in diesem Sack konnte er das Leder und Metall ihres Gürtels wittern. Oder war es der Beutel, der roch? Der Geruch wie von hoher Autorität, aber auch nach Schutz. Es war ein guter Geruch.
Die Spitzen ihrer Schuhe waren gewienert und eine zarte Strumpfhose um die Fesseln seiner Füßchen. Jaulen gellte. Fast ohne Absicht war sie ihm drauf gestiegen. Eilig barg sie ihn an sich, schob ihm den Rücken gerade. Der körperliche Aspekt wurde behindert durch die zwei groben Säcke. Alles musste heute eindeutiger vorgebracht werden. Begierde, dargestellt wie in einem Theatersaal!
Dass es seine Schattenseiten hätte, war ihnen bedeutet worden. Sie hatten das gehört. Die Zartheit der Lippen fiel fort.
Sie übernahm die Herrschaft. Sie drückte ihn tief. Sie verlangte Befriedigung ihrer Gelüste. Die grobe Sackleinwand demütigte. Könnte man sie ansehen in so einer Stellung! Noch wenige Minuten und ich weiß schon nicht mehr, wie sie ausgesehen hat. Sie allerdings war sich sicher, dass er einen kurzen braunen Bart und eine Brille aufgehabt hatte und in seinem Beutel noch haben musste.
Ein blaues Kleid soll sie getragen haben, ein blaues Kleid, wie jeder es in der Spanne seines langen Lebens eines Tages mal tragen sollte, dachte er. Nur dieses eine Mal das blaue Kleid!
Hinten fasste sein Beutel sich so weich an. Diese Sanftheit hatte, dachte sie, den Ausschlag gegeben.
Selbst mit einem Mann, falls er ein blaues Kleid anzöge, dachte er. Ich im Sack, ich sehe ihn nicht, aber ich kann fühlen, wie er dort harrt in einem blauen Kleid!
Sie waren beide geschützt. Ich muss eindringen, dachte sie. Die Beutel taugen nicht wirklich. Das Tierische ist uns gemein und darum allen verständlich.
In der folgenden halben Stunde würde sie an ihrem Laptop sitzen und es in Kurprosa skizzieren. Blindenschrift wäre in so einem Fall angemessen, jedoch verstanden die Leser sie nicht. Noch war sie sehr unbekannt. Und längst versackt mit ihm. Der Liebe ihres Lebens würde sie geben, was zu geben sie noch hatte.
Draußen waren, gleichgültig, wie groß ihre Sprachnation war, immer etwa zweihundert Leser, die das mitbekamen. Um diese zweihundert ging es jedes Mal. Mit keinem von ihnen war sie je Aug in Aug gestanden. Aber durch die Hülle ihrer Prosa standen sie oft in besonderem Kontakt.
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[Anmerkung: Der Text wurde inspiriert von René Magrittes „Die Liebenden“ aus dem Jahr 1928.]