Phänomenale Zukunft

Bild von Lena Kelm
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Nach dem Einkauf gönne ich mir einen Latte Macchiato im Straßencafé, und beobachte drei junge Männer, die Tee trinken und sich ungewöhnlich leise unterhalten. Neben dem einen steht ein Kinderwagen, darin eine wunderschöne kleine Dame, zartrosa Kleidchen und Schühchen, pinkfarbenes Stirnband mit Blümchen. Plötzlich quengelt das Kind. Was macht der Vater? Er gibt dem Kind – bestimmt aus Verzweiflung weder Spielzeug noch Schnuller dabei zu haben, Brust sowieso nicht – sein Handy. Ich muss dreimal hinschauen. Aber es stimmt. Der junge Vater legt es buchstäblich in die winzigen Händchen, nachdem er es den Kinderaugen vorgeführt hat. Es glitzert so schön, im Fliederlook. Das Baby kann das schwere Handy nicht halten, es liegt auf dessen Brust. Aber, oh, Wunder, das Kind ist still! Es hat aufgehört zu quengeln. Sensationell, oder? Ich bin fasziniert. Das ist unsere Zukunft! Vielleicht gibt es in ein paar Jahren Baby-Handys.

Als ich diese Zeilen schreibe, höre ich im Deutschlandfunk die Nachricht: Handys sind von nun an in Gefängnissen verboten. Telefonate werden geblockt. Die Justiz hat sicher gute Gründe. Dann sterben garantiert einige Insassen durch Langeweile in Gefängnissen weg.

Der U-Bahn-Monitor informiert Fahrgäste über das neue Gesetz in den Emiraten, Telefonieren mit dem Handy ist im Flugzeug erlaubt. Oh, oh, denke ich, wie gewagt! Wenn das nun in OP-Sälen erlaubt wird… Was passiert dann? Der Patient wacht aus der Narkose auf und schreit ins Handy: „Wo bist du? Ich liege auf dem OP-Tisch!“ Wenn er aber aufwacht, weil das Handy klingelt oder Geräte ausfallen, dann kann es sehr weh tun, eventuell telefoniert er nie wieder. Aber der Mensch soll nicht an Langeweile sterben, leben soll er und selbstverständlich das neue Medium nutzen.

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