Um es vorwegzunehmen: Ich bin weder Lingu-, noch German- oder sonst ein -ist. Und wenn ich mich im Folgenden mit dem Thema Sprache befasse, dann bitte ich die Vertreter der genannten Fachbereiche um Nachsicht, wenn ich Behauptungen aufstelle, die nicht wissenschaftlich untermauert, sondern lediglich plausibel sind.
Was mich an der Sprache schlechthin fasziniert, ist ihre vielseitige Verwendbarkeit. Sprache ist der Humus, auf dem Kultur gedeiht, und das Gift, an dem sie zugrunde geht. Sprache ist ein Werkzeug, das jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten und in Verbindung mit charakterlichen Vorgaben ge- oder mißbraucht. Aus dem Grundstoff Sprache lassen sich mit Hilfe der Schrift Gedankenbilder weben oder Tagesbefehle ans Kasernentor klatschen. Jedes Wort hat seinen Ursprung, seine Wurzel, die sich teilweise bis in die Zeit der Urlaute zurückverfolgen läßt. Ausnahmen bilden die von Werbetextern konstruierten Abscheulichkeiten und geläufige Satzkonstruktionen, in denen Politikern die soziale Quadratur des kapitalistischen Teufelskreises so perfekt gelingt, daß jeder Versuch, die Argumentation logisch in den Griff zu bekommen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.
Älter als die Lautsprache ist die vielerorts noch gebräuchliche Körpersprache, die, in der Eindeutigkeit ihrer Äußerungen, der Lautsprache zwar weit überlegen ist, aber doch nur recht einfache Formen einer auf Sichtweite begrenzten Kommunikation zuläßt. Das schönste uns Menschen noch verbliebene Wort aus der Körpersprache ist das sehr ansteckende Lächeln. Viele Menschen haben eine Heidenangst vor Infektionen aller Art; so gerät das Lächeln leider immer mehr in Vergessenheit, was schade ist. Ich wünsche mir eine Kampagne zur Rettung des Lächelns. Wenn ich bei Hyper U, das ist unser Supermarkt in der Kreisstadt, an der Kasse stehe und die eingekauften Waren auf das Rollband lege, dann schaut die Verkäuferin beiläufig in einen über dem Durchgang angebrachten Spiegel, um zu kontrollieren, ob ich auch nichts im Korb vergessen habe und sagt „Bonjour“. Ich lächle derweil lieb, so lange, bis sie mich anschaut, denn natürlich habe ich nichts im Korb vergessen, und manchmal lächelt sie dann zurück, weil ich sie angesteckt habe. Ich denke, das ist doch schon ein Anfang, nicht wahr?
‚Eure Rede aber sei: ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.‘ heißt es sehr richtig in Matthäus 5, 37. Leider ist auch dieser Hinweis nahezu vollständig in Vergessenheit geraten, was nicht nur schade ist, sondern auch dazu führt, daß jedes ja oder nein zum weder noch wird, so ihm, eingeleitet von den obskuren wenn und aber, ein Rattenschwanz von Auslegungen folgt. Juristen und Politiker (häufig und aus guten Gründen übrigens in Personalunion) sind wahre Meister im sprachlichen Vernebeln von Stellungnahmen aller Art. Werden sie mit konkreten Fragen in die Enge getrieben, beginnen die entsprechenden Antworten häufig mit ich würde... und enden entsprechend mit ...wenn Sie so wollen. Die Festlegung auf ein klares Ja oder Nein kann für Politiker tödlich sein und wird, wenn irgend möglich, vermieden.
Juristen, die keine Politiker sind, befinden sich da in einer besseren Lage: Eine jegliche Anfrage wird mit einem Schriftsatz beschieden, der im Bedarfsfall von einem rechtskundigen Mitmenschen (meist auch ein Jurist) in die Laiensprache übersetzt werden kann. Im Falle eines Rechtsstreits schlagen solche Übersetzungen kostenträchtig zu Buche, weshalb der einfache Bürger die Kommunikation besser den Anwälten überläßt, das Urteil abwartet und – je nach Vermögenslage – in die Revision geht oder es bleiben läßt. Sollte er, der einfache Bürger, mit dem Urteil einverstanden sein, kann er davon ausgehen, daß die Gegenpartei Rechtsmittel einlegt. Wäre dies nicht so, dann hätte sich ein Verfahren von vornherein erübrigt.
Aus all dem ergibt sich, daß der Umgang mit der Sprache nicht ganz ungefährlich ist. Dabei ist es gleich, ob es sich um Körpersprache in Form von Gesten oder um Laut- oder Schriftsprache handelt. Eine falsche oder auch nur mißverständliche Geste kann ebenso wie ein falsches Wort, womöglich auch noch am falschen Ort gesprochen oder auf das falsche Papier geschrieben, weitreichende negative Folgen haben. Vorsichtige Mitmenschen schließen solche Folgen von vornherein aus, indem sie die Hände in den Taschen und den Mund geschlossen halten. Daß diese Vorsichtsmaßnahmen erhebliche Einbußen an Lebensqualität mit sich bringen, soll allerdings nicht unerwähnt bleiben. Denn schließlich ist Sprache auch ein Kommunikationsmittel. Das lautsprachliche Äquivalent zum körpersprachlichen Lächeln ist das Du, das auch gern mit einem mundsprachlichen Kuß besiegelt wird. Die Sprache der Liebenden ist ein inniges Gemisch aus allen drei Sprachgattungen. Es ist zu vermuten, daß sie uns, trotz sich überschlagender Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Kommunikationstechnik, auch weiterhin erhalten bleibt.
Eng verwandt mit der Sprache der Liebenden ist die Sprache der Dichtung. Beide haben sie ihren Ursprung im Herzen, nicht im Kopf. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir die Feststellung, daß ein Schriftsteller noch lange kein Dichter ist. Kühne Wortkonstruktionen, die ohne Rücksicht auf Inhalte und statische Erfordernisse des Satzbaus nach Art des Scrabble auf das auch in diesem Falle geduldige Papier gezaubert werden, eignen sich nicht als Herberge für Gedanken und offenbaren mit ihrer Leere die geistige Inneneinrichtung des Verfassers.
Wenn ich nachfolgend zwei Sätze aus meiner Erzählung „Unter Bäumen“ zitiere, dann nicht, um durch die Hintertür Werbung für eigene Erzeugnisse zu machen, sondern weil es um einen Beitrag zum Thema geht: „Gedanken“, hatte vor langer Zeit einmal eine weise, alte Eule zu ihren Kindern gesagt, „Gedanken sind aus einem besonderen Material gewebt. Glaube, Phantasie, Erkenntnis gehören dazu – und Liebe. Liebe ist der Kettfaden, der alles zusammenhält. Gedanken sind die Kleidung der Seele.“
Aller Sprache Anfang war – und ist häufig auch heute noch – der Gedanke, der Wunsch, einander etwas mitzuteilen. Mit der Entstehung der Keilschrift vor fünf Jahrtausenden setzte eine Entwicklung ein, die immer mehr zu einer Entfremdung zwischen dem Gedanken und seiner Fassung in Worte führt. Denn der Gedanke, flüchtig und flexibel, läßt sich nur ungern schriftlich fixieren. Ungereimtheiten, wie die oben erwähnten, sind dann das Ergebnis und haben Ärger, wenn nicht gar Schlimmeres zur Folge.
Vermutlich ist dieses Problem der Entfremdung zwischen Gedanke und Schrift auch die Ursache dafür, daß biblische Verlautbarungen lange Zeit nur in Latein – einer Sprache, die dem Großteil der Gläubigen nicht geläufig war, verkündet wurden. Auf diese Weise ersparten sich die Verkündiger unqualifizierte Rückfragen und das Kirchenvolk hatte mit dem Glauben keine Probleme. Inzwischen beschränken sich die Kontakte mit Latein, soweit es den schlichten Bürger betrifft, auf Besuche bei Medizinern und das damit in Zusammenhang stehende Lesen von Packungsbeilagen. Die Diskrepanz zwischen Gedanke und Schrift jedoch bleibt und vergrößert sich zusehends. Die Probleme liegen auf der Hand: Einerseits der flüchtige Gedanke, kaum ausgesprochen, schon verhallt, andererseits das lange, in manchen Fällen viel zu lange haltbare geschriebene Wort. Gäbe es eine Einrichtung nach Art eines Fundbüros, unendliche Reihen von geschriebenen Wörtern würden Tag und Nacht Schlange stehen und wegen ihres abhanden gekommenen Sinngehalts nachfragen. So artikuliert der Volksmund bekanntlich: Worte sind Schall und Rauch, womit er Gesprochenes meint, während die gebildete Oberschicht, mehr dem Gedruckten verpflichtet, gern auf nomen est omen abhebt.
Nonsens est consens könnte es im Hinblick auf die zahllosen Versuche wenig begnadeter Werbetexter heißen, die in ihren Bemühungen, Sprache nach allen Regeln der Werbepsychologie umzufunktionieren, nimmer nachlassen. Statt des Pegasus satteln sie den Zeitgeist und verwüsten die Sprachlandschaft nachhaltig.
Es liegt mir fern, die Sprache der Werbung in Bausch und Bogen zu verdammen. Genügend Beispiele belegen, daß Werbetexte durchaus intelligent und pfiffig sein können – selbst wenn es um Wahlen oder Waschmittel geht. Aber das Gros der Anzeigentexte ist doch eher eine Beleidigung für den Konsumenten, der damit angesprochen werden soll und sein Gehirn in Erwartung dessen nicht schon vorsorglich abgeschaltet hat.
Daß das in allen öffentlichen wie privaten Lebensbereichen grassierende Substantiv Handy mit dem englischen Verb handy nichts gemein hat, ist wahrscheinlich ebensowenig bekannt wie die Tatsache, daß der deutsche Begriff Handy aus dem mundartlich Schwäbischen kommt und nur aus werblichen Gründen ‚anglifiziert‘ wurde: „Hano! Jo – hänn die koi Schnur?“ Bitte, es darf gelacht werden. Dieser Scherz ist garantiert nicht älter als das ihm zugrunde liegende Mobiltelephon. Angemerkt sei noch, daß die zweifellos an einer ausgeprägten Eindeutschungsmanie leidende Gruppe von Sprachpfuschern, der wir eine sogenannte Rechtschreibreform zu verdanken haben, ausgerechnet vor der verbalen Veränderung dieses Kommunikations-Ersatzmittels erschreckt innehielt. Denn von Rechts wegen müßte es doch eigentlich „Händie“ heißen, nicht wahr?
Sehr angenehm, weil frei von Streß, sind Unterhaltungen mit Tieren, wenn auf die üblichen Befehle und sonstigen Versuche, den Hund, das Pferd oder die Katze zu etwas zu bewegen, was in deren Augen absolut unsinnig ist, verzichtet wird. Mehr als fünfzig Jahre ist es her, und trotzdem habe ich noch die gelegentlichen abendlichen Unterhaltungen mit einer Kuh im Ohr. Zur Winterszeit war die freistehende Toilette – in diesem Falle sagt man wohl Klo? –, war also das betreffende Gehäuse hinter der Scheune zugeschneit, und der Weg zur Befriedigung entsprechender Bedürfnisse führte in den Stall. Die mitgenommene Stallaterne verbreitete sanftes Licht und die älteste der anwesenden Kühe wandte widerkäuend den Kopf, sah mich Knirps mit mildem Blick aus schwarzen Augen an und brummte leise „Muuh-huu...“, was soviel heißt wie: „Na? Auch mal wieder da? Kalt draußen, nicht wahr?“
„Muuh, muuhu!“ antwortete ich dann, und zufrieden drehte sie sich wieder um und schnüffelte genießerisch im Heu.
Es ist einfach nicht wahr, wenn phantasielose Mitmenschen behaupten, mit Tieren kann man nicht reden. Man kann! Schon das Gespräch mit einer Entenschar vermittelt interessante Eindrücke. Wenn ich mich mit leise fragendem „waag - aag –aaag“ nähere, werde ich erst einmal mißtrauisch zur Kenntnis genommen. Da kommt also ein Mensch und will ein Gespräch anfangen, mit uns! drücken die hochgereckten Köpfe aus. Die Oberente tritt näher und mustert mich aus klugen, kleinen Äuglein.
„Waarg-waag“ wiederhole ich mein Gesprächsangebot. „Aaag-arg“ erwidert die Oberente, während die anderen interessiert herbei watscheln. So entwickelt sich nicht selten ein längerer Meinungsaustausch, der von Umstehenden belustigt bis abschätzig beobachtet wird. Kinder hingegen sagen nicht selten: „Mami, guck mal, der spricht mit denen!“
Völlig fassungslose Hundegesichter habe ich vor mir, wenn ich mich in der Hühnersprache an sie wende. Verständlich, ich wäre auch einigermaßen verunsichert, wenn ein mit mir befreundeter Hund plötzlich miauen würde. Bemerkenswert ist aber auch die anschließende Reaktion, besonders der angesprochenen Hunde. Während der eine entsetzt das Weite sucht, brechen andere in unkontrolliertes Gebell aus. Größere Hunde neigen auch dazu, mir das Gesicht abzuschlecken, weil sie unter der Menschenmaske eine Henne vermuten. „Die leben wie Hund und Katze“, eine Redensart, die auf Leute abzielt, welche im Umgang miteinander nur Zank und Streit kennen. Daß Hund und Katze aber auch im besten Einvernehmen und engem Körperkontakt anzutreffen sind, ist bekannt. Die Redensart hingegen basiert auf einem körpersprachlichen Problem, das von Hund und Katze nur zu bewältigen ist, wenn sie entweder miteinander aufgewachsen sind, oder eines der Tiere das andere von klein auf als schutzbedürftig angenommen hat.
Die Natur hat Hunde und Katzen mit absolut gegensätzlichen Signalen in der Körpersprache ausgestattet: Ein erhobener Schwanz, der bei Katzen höchstes Wohlbehagen ausdrückt, ist für Hunde fast schon ein aggressiver Akt. Freudiges Schwanzwedeln hingegen ist für Katzen eine absolut bösartige Anmache. Daß es auch anders geht belegt, daß Tiere – ebenso wie Menschen – in früher Jugend durchaus noch lernfähig sind und selbst angeborene Verhaltensmuster relativieren können. Das Lächeln übrigens, dieses so schöne, wenn auch seltene ‚Wort‘ aus der menschlichen Körpersprache, ist auch Hunden und Katzen nicht fremd. Es äußert sich im feinen Spiel der Zunge um die Lippen, die in diesem Falle als Lefzen bezeichnet werden, und heißt soviel wie 'ich mag dich, ich find‘ es schön bei dir.'
Eine ganz andere Art der Körpersprache ist besonders bei Hunden ausgeprägt und reizt mich immer wieder, ein entsprechendes Benimm-Buch unter dem Titel Wer pinkelt wann wie oft wohin? zu verfassen. Daß Hunde mit der Nase lesen, ist bekannt. Daß der wäßrige Lesestoff aber nicht nur dem Meinungsaustausch dient (ich war eher hier – aber ich war als letzter hier), sondern auch regionale und überregionale Kontakte vermittelt, erhellt aus der Tatsache, daß außer Bäumen gern auch Autofelgen als Datenträger herangezogen werden.
Es steht außer Frage: Sprache – in welcher Form auch immer sie gepflegt wird – ist wohl das faszinierendste Element im Umgang der Lebewesen miteinander. Aber Sprache bedarf auch – ganz besonders in der menschlichen Gesellschaft – intensiver Pflege, denn wenn sie nur der Einrichtung von Grenzzäunen in den Köpfen dient, dann verkommt sie zum Stacheldraht.
Nachtrag:
Spätestens seit der Aera Merkel verkommt auch die altehrwürdige Vokabel „Mensch“ (ahd. mennisco) zunehmend zur politischen Worthülse. Vorschlag: Worthülse des Jahres 2013.
Und auch der Rückzug der französischen Sprache aus dem diplomatischen Diskurs der Staaten miteinander zeitigt Nachteiliges. Die internationale Kommunikation begibt sich verstärkt in die (Un)tiefen des Banalen (s. a. → NSA).