Buch über Magersucht: »Wie viel wenig ist genug?«
Eine junge Frau muss sich die Frage nach Leben oder Tod stellen, gilt irgendwann als nicht therapierbar und entscheidet sich letztlich doch noch für das Leben. Sie nimmt am Ende einer langen Krankheitsgeschichte Schritt für Schritt ihr Schicksal selbst in die Hand. Lea-Sophie Steiff beschreibt in dem 2020 im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen Buch »Wie viel wenig ist genug? Mein Ausbruch aus der Magersucht« ihren Weg aus der Krankheit, der eher ungewöhnlich ist und zeigt, dass die klassischen Therapiemethoden nicht immer erfolgsversprechend sind.

In Deutschland leiden rund 1,1 Prozent der Frauen und 0,3 Prozent der Männer unter der Krankheit. Statistisch gesehen sind Frauen öfter von der Krankheit betroffen als Männer. Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Westeuropa. Im Durchschnitt sind 4,5 von 100.000 Personen von der Krankheit betroffen. Vor allem bei jungen Frauen liegt der Anteil besonders hoch.
Während Kinder zwischen sieben und acht Jahren nur selten an Magersucht erkranken, nimmt die Häufigkeit ab einem Alter von zehn Jahren zu. Die größte Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung besitzen Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren. Rund 90 Prozent der Betroffenen sind im jugendlichen oder jungen Alter. Ältere Frauen können dennoch durchaus ebenfalls unter Magersucht leiden. Da leichte Erkrankungen gleichzeitig oft nicht registriert werden, dürfte die Dunkelziffer der Fälle höher sein. Laut einer Studie wendet sich nur jede dritte Person mit Anorexie an einen Arzt oder begibt sich in ärztliche bzw. therapeutische Behandlung.
WIE VIEL WENIG IST GENUG?: Mein Ausbruch aus der Magersucht [Taschenbuch] ★★★★★
»Essstörungen sind ein nicht zu unterschätzendes, gefährliches und hoch komplexes Krankheitsbild, das immer individuell behandelt werden muss. Und genau das kritisiere ich generell an Kliniken und deren Konzepten. Dass sie nicht individuell genug zusammengestellt sind und die Patienten früher oder später, manchmal erst nach vielen Jahren oder dem zehnten Klinikaufenthalt, erkennen, dass ihnen niemand helfen kann, außer sie selbst.« Lea-Sophie Steiff
Bereits mit 13 Jahren ist Lea in die Magersucht abgerutscht. Jahrelange Therapieversuche jeglicher Form scheiterten, weil sie nicht einsehen wollte, dass sie wirklich ein Problem hatte. Sie war gesteuert von Selbsthass, Ekel vor ihrem eigenen Körper, der Sucht nach ständigem Hungern und einer immer niedrigeren Zahl auf der Waage. Ihren Selbstwert definierte sie über ihr Gewicht und ihr Aussehen, das ihr nie gut genug erschien, egal wie viel sie auch abgenommen hatte und wie knochig sie nach außen hin wirkte. Als sie in einer Nacht dachte, dass sie nun wirklich sterben würde, wusste sie, dass sie jetzt vor der Entscheidung stand: leben oder sterben? Sie entschied sich für ersteres, aber ohne die Magersucht. Ein ebenso langer und rückschlagbehafteter Weg der Genesung begann.
Aus den Jahren zuvor, in denen etliche Therapien mit ihr scheiterten, wusste sie, dass nur sie selbst sich da rausholen konnte. Nachdem sie das Abitur in der Tasche hatte, reiste sie nach Neuseeland, um ihren Horizont zu erweitern und erkannte dort, dass das Leben viel mehr als das traurige Hungerdasein zu bieten hat. Nach ihrer Rückkehr begann sie mit Krafttraining und wollte auf diese Weise ihren Körper wieder stark machen. Sie entdeckte ihre große Leidenschaft für diesen Sport. Lea entwickelte ein völlig neues Körpergefühl und ihre Wahrnehmung und Selbstakzeptanz veränderten sich ins Positive. Sie selbst beschreibt es als den Schlüssel zu ihrer damaligen Problematik.
Zum ersten Mal seit sieben Jahren fühlte sie sich wohl in ihrer Haut und ein paar Kilogramm mehr auf der Waage hoben ihre Welt nicht mehr aus den Angeln. Ihre Gründe für den Sport haben schon lange nichts mehr mit Selbstoptimierungswahn zu tun. Lea erkannte schnell, dass sich ihre Gedanken und Selbstwahrnehmung sofort veränderten und das Äußere zum netten Nebenprodukt wurde und nicht mehr im Fokus stand. Sie möchte in keinen Trend passen, keine Kalorien abtrainieren und sich nicht bestrafen, oder ihr Essen »verdienen« müssen. Die junge Frau möchte ihrem Körper und ihrer Gesundheit etwas Gutes tun, sich wohl in ihrer Haut fühlen und anderen Menschen das Gleiche vermitteln: Bei Fitness und Krafttraining geht es um die körperliche und psychische Gesundheit und den Spaß an der Sache und nicht um Äußerlichkeiten, auch wenn das meistens der Hauptgrund ist, warum man überhaupt damit anfängt.
Auf ihrem Instagram-Account lea.sophie.st postet sie regelmäßig Inspiration zum großen, komplexen Thema „Fitness, Ernährung, Gesundheit und Mentalität“.
Heute studiert Lea-Sophie Steiff Fitnessökonomie an der DHfPG und hat verschiedene Trainerlizenzen, wie z.B. die Fitnesstrainer A-Lizenz. Ende 2020 wurde ihr Buch im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag veröffentlicht. Ihre Biografie ist ein wichtiger, lesenswerter und inspirierender Beitrag zum Thema Essstörungen. Mit Einblicken in die Tagebuchaufzeichnungen der Autorin, O-Tönen der Eltern, sowie einem Bildteil, der auch Fotos aus der schlimmen Zeit zeigt.
Warum wird man magersüchtig?
Wieso jemand magersüchtig wird, ist bis heute noch nicht genau geklärt. Laut Experten verursachen verschiedene Faktoren die Essstörung.
Bei manchen Betroffenen spielt die Verwandtschaft eine wichtige Rolle. Verwandte von Betroffenen besitzen ein grundsätzlich erhöhtes Risiko, an Magersucht zu erkranken. Möglicherweise tragen die Gene hierzu bei. Mit engerem Verwandtschaftsgrad nimmt das Risiko zu.
Zugleich lässt sich Anorexie auf biologische Faktoren zurückführen. Jene Botenstoffe und Hormone, welche das Esszentrum im Gehirn regulieren, spielen bei der Entstehung sowie Aufrechterhaltung einer Erkrankung eine zentrale Rolle.
Aber vor allem lässt sich eine Erkrankung mit der eigenen Psyche in Zusammenhang bringen. Persönlichkeitsmerkmale wie Ängstlichkeit, ein schwaches Selbstwertgefühl, ein starkes Kontrollbedürfnis oder Perfektionismus können unter Umständen zur Krankheitsentstehung beitragen. Bei vielen Betroffenen beginnt die Krankheit in der Pubertät, da sie als Ausdruck dafür stehen kann, den Anforderungen dieser Lebensphase des Umbruchs nicht gewachsen zu sein. Bei manchen Betroffenen rufen schwere Traumata wie sexueller Missbrauch ebenso die Krankheit hervor.
Zuletzt können gesellschaftliche Gründe vorliegen. Vor allem in westlichen Industrieländern beeinflussen Medien und Werbung wesentlich die Wahrnehmung des menschlichen Körpers und die damit verbundenen realitätsfernen Schönheitsideale. Junge Menschen fühlen sich unter Druck gesetzt, diesen Idealen zu entsprechen und können in Folge eine Essstörung entwickeln. Diese beginnt häufig mit Diäten und führt über ein sehr kontrolliertes Essverhalten zu Magersucht oder anderen Essstörungen.
Was sind die Folgen von Magersucht?
Magersucht bedeutet zugleich eine Mangelernährung. Somit leiden Betroffene unter zahlreichen Folgen.
Bei vielen Menschen treten aufgrund der Unterernährung zahlreiche typische Mangelerscheinungen auf. Neben einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit zeichnen sich ständige Müdigkeit sowie Konzentrationsmangel ab. Außerdem können eine Muskelschwäche, Probleme mit dem eigenen Stoffwechsel und eine Störung des Blutkreislaufs auftreten. Nicht selten resultieren Herz- und Kreislaufbeschwerden, Magen- und Darmbeschwerden sowie diverse Organschäden daraus.
Äußerlich machen sich die Folgen von Anorexie an Haut, Haaren, Knochen und Nägeln bemerkbar. Osteoporose beziehungsweise entkalkte Knochen, trockene Haut und brüchige Nägel sowie Zahn- und Haarausfall treten nicht selten bei Betroffenen auf. Da sich ebenfalls bei den meisten Betroffenen ein Eisenmangel zeigt, macht sich eine Anämie bemerkbar. Ergänzend verändert sich der Hormonhaushalt. Bei den meisten Frauen treten Menstruationsstörungen oder Periodenverlust ein, was in extremen Fällen zu Unfruchtbarkeit führen kann. Männer hingegen kämpfen mit Potenzstörungen.
Manche Betroffene unterstützen den Abnehmprozess mit körperlicher Aktivität oder Medikamenten. Exzessiver Sport führt ebenso wie der Missbrauch von Abführ- und Entwässerungsmitteln zu gravierenden körperlichen Störungen. Außerdem zeigen sich bei zahlreichen Betroffenen psychische Folgen. Sie ziehen sich immer mehr zurück und entwickeln eine starke Depression. Bei einigen von ihnen kommt es sogar zu Selbstmordversuchen. Andere psychische Erkrankungen wie Zwangs- und Persönlichkeitsstörungen zeichnen sich des Öfteren ab.
Anlaufstellen für Magersüchtige
Neben Anlaufstellen wie Hausarzt, Kinderarzt, Psychotherapeut, Beratungsstelle sowie Spezialambulanzen für Essstörungen für ein Erstgespräch oder eine mögliche Therapie für Personen mit Magersucht existieren deutschlandweit noch weitere Hilfen. Eigene Selbsthilfegruppen für an Anorexie erkrankten Personen stehen Betroffenen während und nach ihrer Erkrankung zur Seite. Zudem bietet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine eigene Anlaufstelle. Diese ist telefonisch erreichbar und berät alle Betroffene anonym.
Weitere Anlaufstellen:
- https://www.tness.de/ (Therapienetz Essstörungen)
- https://www.anad.de/ (Anad e.V. Versorgungszentrum Essstörungen)
- https://ana-dismissed.de/ (Selbsthilfegruppe Ana Dismissed)