Ein Brief an den lieben Gott

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von Jürgen Wagner

In Neuss, da lebte eine Frau
in einer Welt, die eher grau
Ihr Haushalt war nicht gut bestellt,
mit einem Wort: da war kein Geld

Sie überlegte hin und her,
woher denn Geld zu kriegen wär
Ihr kam ein Einfall, sapperlott -
da schrieb sie an den lieben Gott:

'Oh lieber Gott, bin alt und arm,
das Geld ist wenig, hab Erbarm
und schick mir schnellstens hundert Mark,
ich müss't sonst hungern, das wär arg!

Und etwas And'res weiß ich nicht,
denn ohne Geld es mir gebricht
Beeil Dich aber mit dem Geld,
sonst bin ich nicht mehr in der Welt!'

Hat's In den Kasten flugs gesteckt
Ein Postmann hat ihn dann entdeckt
Er schaut darauf, was soll er machen?
'Dem lieben Gott' ist doch zum Lachen

Er denkt sich aber, Spaß muss sein,
der geht mal ins Finanzamt ein!
Am nächsten Tag dort angekommen,
wurd er auch in Empfang genommen

Was tat man wohl mit diesem Brief?
Der Leser liegt wahrscheinlich schief,
denn ein Beamter dacht‘ daran,
wie man der Frau wohl helfen kann

Was glauben Sie, das ist kein Scherz,
auch das Finanzamt hat ein Herz!
Der Mann im Anzug dacht sich fein:
Was könnte eine Hilfe sein?

Man sah ihn in dem Büro wandern,
von jenem sammeln, dann vom andern
Doch leider war es etwas karg,
statt hundert war'ns nur siebzig Mark

Doch der Erlös wurd' unverwandt
direkt an diese Frau gesandt
Und diese konnte es kaum fassen:
der Herrgott hat sie nicht verlassen!

So schrieb sie einen Dankesbrief,
in Eile sie zum Postamt lief
'Oh lieber Gott, bin wieder stark
und danke für die hundert Mark!'

Doch solltest Du noch an mich denken,
mir ferner gütigst etwas schenken,
so möcht' ich Dich um Eines bitten,
nicht dem Finanzamt das zu schicken,
denn diese haben ungelogen,
von hundert dreißig abgezogen!

Nach einer unbekannten Quelle, sprachlich neu gefasst

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