Du –
am Rande des Abgrunds.
Daran denke ich immer noch ...
manchmal – auf einsamen Wegen.
Was dich ganz allein hielt,
war meine rechte Hand
am Gepäckträger jenes Monstrums,
darauf „Mausie“ eines Tags zur Schule kam.
Weshalb? – Das frage ich mich noch heute.
Aus dem Gleichgewicht –
Wie schnell das bei dir ging.
Auch dein Kreislauf war selten
wirklich stabil. Wir vertagten die Sache;
denn es hätte nicht viel gefehlt und der Graben
am „Schwarzen Weg“ rechterseits hätte
Besuch von dir bekommen.
Einmal nur zog ich mich von dir zurück ...
für Tage, nein, Wochen. – Die Elbe
hatte mich wieder – dort war ich allein
mit Zikaden und Fröschen und glücklich
im Schilfverhau – wie Diogenes in der Tonne.
Niemand stand mir in der Sonne.
Du hast es dann doch noch gelernt –
Wir holten das Fahrrad für dich aus dem Keller
des Hauses meines Schwagers und überraschten
den Schornsteinfeger dort unter der Dusche,
war kein bisschen schwarz mehr, der Typ –
nur ein wenig noch im Gesicht.
Ich rechnete fest mit einem mittleren Skandal,
obwohl wir alle drei lediglich grinsten.
Gelacht wie die Doofen haben wir erst,
als wir außer Reichweite waren.
Wir schoben die Räder bis zur Peter Temming AG am Ortsausgang.
Du warst noch immer eine Gefahr für den kleinen Stadtverkehr.
Auch das war uns Anlaß genug zur Heiterkeit.
Auf der Landstraße zur Kremper Marsch
ging es dann prächtig. Ich lobte dich über
den grünen Klee – bis du deshalb
vor Lachen ins Schleudern gerietst.
Wir suchten im Dorf nach dem Jungen, in den du
verliebt warst, der war echt nicht mein Typ;
das war das einzig Gute an dieser Sache.
Wir fanden ihn; ich zog mich diskret
zurück und hielt Ausschau nach unserer
Deutschlehrerin „Löni“, lebte auch
in jenem Dorf, war sehr, sehr klein, sehr schlank,
trug stets hohe Absätze, liebte Brecht und Böll
und rauchte zu viel.
Auf dem Abschlussball, später, nahm ich all meinen Mut
zusammen und hab ihren Mann zum Tanz aufgefordert.
„Löni“ hat sich gefreut und er sich auch und
ich stellte fest: Er war mindestens ebenso nett wie sie.
Ich hatte von Liebe wenig Ahnung und von Sex
noch viel weniger, aufgeklärt hast du mich später,
stellte eines Sommertags „Löni“ im Unterricht dämliche Fragen
zu „Bahnwärter Thiel“ von Gerhart Hauptmann,
war echt ein verkappter Erotikthriller, diese dunkle Novelle.
„Löni“ hat sich gewunden wie ein Aal, was ich damals
nicht verstand, und sich nicht getraut, mir die Wahrheit
zu sagen vor all den anderen; die waren, was Sex betraf,
„weiter“ als ich.
Trotz alledem – ich würde meine Fragen auch heute
noch fast genauso formulieren wie damals, zumindest
ausdiskutieren wollen, die waren eigentlich
echt nicht verkehrt.
Leider weiß ich nicht mehr, wie wir
aus jenem Dorf wieder raus- und
heimgekommen sind. Auf jeden Fall
unfallfrei; der Schornsteinfegergeselle war
indes fort und gewiss sehr sauber, meine
Schwester immer noch außer Haus und
wir beide nach wie vor – alberne „Jungfrauen“.