Prometheus (Endfassung)

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst,
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn;
Mußt mir meine Erde
Doch lassen steh'n,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Gluth
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Aermeres
Unter der Sonn’, als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät,
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Thoren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wußte wo aus noch ein,
Kehrt’ ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär’
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz, wie mein’s,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir
Wider der Titanen Uebermuth?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverey?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Thränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blüthenträume reiften?

Hier sitz’ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sey,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!

Prometheus wurde zwischen 1772 und 1774 verfasst. Wie auch die anderen Hymnen Mahomets Gesang, Ganymed, An Schwager Kronos entstand dieses Werk in der Epoche Goethes als Stürmer und Dränger. Friedrich Heinrich Jacobi druckte die Hymne erstmals in seiner Schrift „Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn“ unautorisiert und anonym ab. Goethe nahm sie erst 1789 in seine neu edierten Schriften auf und ließ sie zusammen mit der Ganymed-Ode erscheinen. Die Form der Hymne ist die lyrische Ausdrucksform, die dem Sturm und Drang am ehesten gerecht wird, denn in ihr treten mythische Figuren auf, die als Repräsentanten der Künstler des Sturm und Drang betrachtet werden können und die somit das Dilemma von Kunst und Leben verkörpern. Ein Hauptanliegen des Sturm und Drang ist das Überwinden von überkommenen Autoritäten, und damit kann „Prometheus“ als programmatisch für diese Epoche gesehen werden.

Veröffentlicht / Quelle: 
Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. Zweyter Band. S. 76–78

Video:

Rezitation von Goethes Prometheus auf dem GoetheKanal / Youtube

Rezitation:

Rezitation: Prometheus von Johann Wolfgang von Goethe, Rezitation von Phantomkommando für Wikisource

Interne Verweise

Kommentare

06. Sep 2017

Eins seiner stärksten Gedichte. Eindrucksvoll die Rezitationen. Danke dafür. Das Inselbuch habe ich erworben.Es hat sich gelohnt.

LG - Marie