Die Nacht der alten Frauen

Bild von Zaubersee
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Kurz vor Mitternacht
weckte mich Fledermausflug,
meine Haut schimmerte weiß
im milchig vollem Mondenschein.
Ich schlief im Sommergarten,
ein Windlicht flackerte
knisternd sein Leben aus,
da trat sie wie schwebend
aus unserem schlummernden Haus.

Haare bis in die Knie,
silbern, mit Margeriten darin,
im weißen Nachtgewand,
die alte Frau aus Sibirien.
Ich folgte ihr, wir kamen zum Wald,
wir kamen zur Quelle, dort stieg
sie sacht die Stufen zum Wasser hinab,
da standen auch die anderen,
wuschen sich die faltigen Gesichter,
die schwieligen Hände, die verhornten Füße,
von Fackeln wehten Lichter,
spukten Schatten auf
schweigenden Gesichter.

Ich versteckte mich hinter
einer großen Fichte,
Herzklopfen bis in die Wimpern,
mein Herzschlag schneller
als Vogelschwingen flatterten,
Eulen riefen, Zweige knackten
ich stand und starrte gebannt,
denn inzwischen waren
es fast dreißig alte Frauen
und sie stiegen die Stufen
wieder empor, flackernde Feuer in den Händen,
gingen tiefer in den Wald hinein,
bis zur Lichtung, bis zum See.

Was wollten die Alten im Wald?
Mit Blüten im weißen fliegenden Haar ?
Sie hielten sich an den Händen,
Wolken schwebten still, sie tanzten im Kreis,
sangen wie Nachtviolen, wunderbar.
Tannenduft küsste ihre Falten
Augen glühten im Feuergesang.
Ich weiß nicht, wie lang sie sangen und tanzten,

doch dann streiften sie ihre Kleider ab,
sprangen lachend in den See;
sie tauchten und planschten mit nackten Leibern
schwammen wie Nymphen im Mondenscheinsilberschnee.
Ein Reiher erhob sich, gestört durch den Lärm,
flog schwere Flügel schwingend über
schweigendes Schilf, unter windstillen Himmeln,
in unserer Milchstraße, unserer geheimnisvollen Galaxie.
Ich entschloss mich zu gehen, der Wald war dunkel und ruhig,
den Reigen der Alten wie Geisterspuk in meinem Sinn,
zog es mich noch einmal zu ihrer Lichtung hin,
dort fand ich im hohen Gras, Margeriten ohne Zahl,
lieblich weiß gewachsen, zitternd im sanften Mondenstrahl .

Nun ist die Nacht lange vorbei,
meine Tage im Garten sind schön,
Sommersonne strahlt Wärme in meine Seele
und die Feuer der Alten, sind sie erloschen?
Wie durch Windhauch bewegt sich eine Gardine im Haus,
in dem Fenster steht die alte Russin und winkt,
winkt mir zu und lacht.

C. Mara Krovecs / 2003

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Kommentare

21. Aug 2015

Märchenhaft, mit Zauber - Kraft!
Was so die Poesie doch schafft...

LG Axel

22. Aug 2015

Wirklich, Mara, ein Traum, der mich berührt!
Wie ein Märchen (das finde ich auch) - und ich habe ihn erkannt - den Löwenbrunnen!
Wer weiß, vielleicht gibt (gab) es "die Russin" tatsächlich (?) ... In unserem alten Haus wohnt, glaube ich, ein lieber Geist (wir haben ihn schon "erlebt" - aber er schreckt uns überhaupt nicht!).
Viele Grüße,
Corinna

22. Aug 2015

Bleibt für mich ein liebes Danke dafür! LG!