bildschirm-assoziation oder vorm fernseher

Bild von Monika Laakes
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dass dieses gerät mich angreift, hätte
ich wissen müssen. kommt mir nicht
ins haus, hatte ich damals
mit nachdruck und überzeugung
gepredigt. mit überzeugung? mit
der richtigen einstellung schafft man
den sprung übern eigenen schatten, steht
in einem, der aufbauenden bücher, die
aufm regal überm kopfende meines
betts lagern. abends nen blick
hinein und WORTE aufgesaugt mitn augen
mitm kopf und mitm körper. positiv. denk
positiv. wär mir vieles erspart
geblieben, wenn ich die welt nicht ins
haus hätt gelassen. so war ich dabei, als
der schmächtige kinderrücken, geteilt
durch ne riesige platzwunde, grad
neben der wirbelsäule, knallrot und so
unwirklich für eine wie mich, vom nacken
bis runter zur taille, blutrot und rissig
und grauslig anzuschaun. was wollt ich
erzählen? gelähmt vom schrecken. raubt
mir gedanken. übers grauen? grau oder
schwarzweiß wäre besser gewesen und
nicht grellfarben blutrot, farbe macht
deutlich. verfeinerte technik,
farbfernseher.
wäre da nur geschrei gewesen, wäre
elend nur über ohren ins
bewusstsein gedrungen, durch lautsprecher
vom radio, hätt ich nur die VISION
des schreckens erlebt. jedoch bilder, die
bilder, die bringen wirklichkeit von kopf bis
fuß, bringen nähe, zerren das
unterste zuoberst. denken in bildern?
beginn einer existenz? bilder, die zur
sprache führen? bilder laufen übern
bildschirm per unkostenbeitrag monatlich,
abgerechnet per dauerauftrag. da ist
die ehe von bild und ton. macht das
grauen perfekt. perfektion erfordert
die arbeit des chirurgen. seine hand
führt präzise das skalpell. fassungslos
registriere ich schreie. kinderschreie!
was hält ein mensch aus? was halte ich
aus? dachau in den dreißiger jahren des
jahrhunderts. geschichte? brandgeruch und
in flammen erstickte schreie.
dreh den ton ab!
my lai in den sechzigern des
jahrhunderts. vom bajonett
zerstochen. stücke fleisch,
unkenntlich. schreie aufgespießt.
schrei, wenn du kannst!
wer dreht den ton ab?
in den neunzigern karlovac. glaube an
neuzeitfrieden auf erden erschüttert.
drohende nähe wischt gleichgültigkeit
fort. schwestern und brüder, vertraute
gesichter. nicht tröstend fremd als
alibi. nicht hören, nicht sehen, nicht sprechen?
der chirurg näht geschickt die klaffende
wunde auf dem rücken des kindes. akkurat
fügt er die ränder aneinander. ach, ja, er
versteht sein handwerk. doch ohne
entsprechendes werkzeug wird‘s nicht so
recht gehen. wie erträgt er den lärm?
wenn schreie in wimmern münden, geht’s
bergauf oder bergab? es ist
abzuwarten. chinesen sind klug.
wissen um hilfreiche nadeln. sicher
setzen sie hauchdünne metallpfeile auf
knospen des lebensbaums, genannt
meridiane. hätten chinesen die
knospen des kindes gespickt, die pfeile
im rhythmus gedreht, wäre der schrei
nicht ins ohr gedrungen. stillte den
schmerz, weckte qi im baum
des lebens. was muss ein mensch
ertragen? dachau, mylai, karlovac…
breitet sich aus übers jahrhundert. welle
des unerträglichen. wer baut den
damm? wasser peitscht hoch, gischt
spritzt, es bricht die welle der
gewalt, errichte den damm. bau ihn rund
um die erde. lass gewalt draußen. träum
den traum. nur wer träumt, kann leben.
doch vorerst drück den knopf auf null.
tu etwas. stell ab. verdammt noch mal. stell
endlich den
FERNSEHER ab!

Und, wie geht es weiter? Heuer, im Jahr 2016?

Veröffentlicht / Quelle: 
Publ. in un(d) friede auf erden 1992

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Interne Verweise

Kommentare

22. Jan 2016

Ob Volksmusik, ob Tages - Schau:
Tele - Vision schafft Horror - Stau!

LG Axel

23. Jan 2016

Du findest immer den richtigen Ton. Dank an Axel.
LG Monika

23. Jan 2016

Mit deinem Prosa Gedicht, hast auch du genau den richtigen Ton getroffen,liebe Monika! Liebe Grüße, Angélique

24. Jan 2016

Danke, liebe Angélique, jedoch die Hoffnung trägt uns weiter durch die Zeit.
LG Monika

19. Apr 2016

Wohl nicht anders als gewohnt -
solang das Ungeheuer
in unserem Innern wohnt,
wird wohl nichts neuer ...

Tief beeindruckt von deinem Text! Die Gedankengänge verfolgen uns so ziemlich alle, denke ich.

19. Apr 2016

Dein Vierzeiler benennt das Übel. Du triffst immer den richtigen Ton, liebe noe. Hab Dank. Noch einen Tag voller Ideenreichtum wünscht Monika