Neues vom Meister A. (27)

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Meister A. bekommt unerwarteten Besuch von seinem Neffen.
„Ach, Onkel, mir … mir reicht's“, stammelt dieser, „jetzt habe ich wahrscheinlich erst richtigen Ärger am Hals …“
Meister A. versucht, den jungen Mann zu beruhigen: „Jetzt setz' dich erst einmal nieder und erzähl' mir, worum es überhaupt geht.“
„Es handelt sich um eine unangenehme Angelegenheit in unserer Firma – darüber darf ich selbstredend natürlich hier nicht sprechen – aber jedenfalls habe ich, diese heikle Thematik betreffend, meine Meinung im Kollegenkreise schon mehrmals kundgetan, wobei ich zugeben muss, dass meine Ansichten sich anscheinend von der allgemeinen Auffassung schon deutlich unterscheiden.
Gestern trat mein Chef an mich heran, fragend, was ich von der betreffenden Problematik hielte. Ich ersuchte ihn, in Anbetracht der Komplexität des Problems, mir etwas Zeit zu gewähren, versprach aber, mich baldmöglichst bei ihm zu melden. Ich machte mir die Antwort bestimmt nicht leicht, das darfst du mir glauben, versuchte, die Angelegenheit von möglichst vielen Blickwinkeln aus zu betrachten, mich in den einen oder anderen betroffenen Kollegen hineinzuversetzen und letztlich bemühte ich mich, Emotionales auszuklammern, neutral und der Sache dienlich zu denken, dabei aber auch klar meiner Meinung Ausdruck zu verleihen. Dann erst griff ich zum Telefonhörer, um meinem Chef Rede und Antwort zu stehen.
Onkel, du glaubst nicht, wie ungehalten dieser reagierte. Ich verstehe nicht, wieso ich einen derartigen Ärger verdient habe – ich war höflich gewesen, hatte sachlich argumentiert, wollte bestimmt kein Öl ins Feuer gießen, sondern ganz im Gegenteil ausgleichend wirken - was habe ich nur falsch gemacht?! Ich finde keine Antwort auf diese mich quälende Frage.“

„Nun, mein Guter“, meint Meister A., „ich wage mit Fug und Recht zu behaupten, denn ich kenne dich und deine stets ehrlichen Absichten, dass du überhaupt keinen Grund hast, dir Vorwürfe oder auch nur belastende Gedanken zu machen. Die Schuld liegt bei deinem Vorgesetzten – er hätte wissen müssen, dass es höchst ungeschickt ist, jemandem eine Frage bezüglich eines brisanten Themas zu stellen, wenn man sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon vorher im Klaren sein müsste, dass man die Antwort eigentlich gar nicht hören will. Es gibt im Kreise deiner Kollegen – wie leider überall – sicherlich genügend Speichellecker, Heuchler, Schleimer, Schleicher und Anwanzer, deren Antworten er viel lieber vernommen hätte, doch was jene ihm gesagt, wie sie ihm nach dem Munde geredet hätten, das war ihm ja ohnedies klar. Du irrtest dich allerdings, wenn du glaubtest, dein Chef hätte dich nach deiner aufrichtigen Meinung 'gefragt', denn 'gefragt' war deine Ansicht nicht. Er hat dich lediglich 'ausgefragt', hm … ja 'ausgehorcht' hat er dich. Man könnte ihm – boshafterweise - einen gutgemeinten Rat geben:

'Stellen Sie fürderhin ausschließlich nur dann jemandem eine Frage, wenn Sie sich sicher wähnen dürfen, dass Sie die Antwort auch wirklich hören wollen!'

Ja, mein armer Junge, ich meine, es war schon richtig, dass du zu mir gekommen bist!“ Meister A. klopft seinem Neffen aufmunternd auf die Schulter.

Meister A. - wer kann das sein? Hinter „Meister A.“ könnte ich mich verbergen – unter dem abgekürzten Pseudonym von „Meister Alfred“. Es könnte aber auch „Meister Allgemein“ gemeint sein, also jeder, jede, jedes ... also „alle“ oder „niemand Besonderer“. Jedenfalls soll es hier – möglicherweise um eine Folge? - von kleinen Episoden, Anekdoten, Denkanstößen, Lebensweisheiten … gehen, stets zumindest mit einem wahren Kern, immer mit dem gleichen Titel, aber „fein säuberlich durchnummerieret“, wie hier die Nr.27, welche sich am 31.03.2020 aus meinen Gehirnwindungen befreit hat.

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