Schick..., Schickeria!

Bild von Reiter Hans
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Geschmackvolle Eleganz in Auftreten und Benehmen, so steht’s im Duden, und wer würde deshalb daran zweifeln?

In Dingharting, jenem typisch lieblichen Ort in Oberbayern, hat sich zugetragen, was kaum jemand für möglich gehalten hätte, und wenn doch, dann vielleicht in einer Stadt, wie München, aber nicht in dieser so beschaulichen Gemeinde. Anlässe hat es natürlich auch hier hin und wieder gegeben, um sich die Mäuler zu zerreißen, aber nicht eines unschicklich, schicken Vorganges wegen, wie der nachfolgend berichtete.

Es betrifft die Hermine Bärlocher, eine gebürtige Scheibenwagner, deren zahlreiche Geschwister nicht ganz unschuldig an der Misere sind. Und es betrifft auch den stattlichen Sohn des Großbauern Vinzenz Guglhofer, den Ferdinand. Nicht so sehr im Vordergrund stehen die Ehegesponse von Hermine und Ferdinand.

Einige Wenige allerdings waren Zeugen der wahren Geschehnisse und wussten zu berichten, dass, obwohl öffentlich nicht bekannt, die beiden zuletzt Erwähnten sich gegenseitig nicht nur gewogen waren, sondern es trefflich verstanden, die Zeit miteinander, vorsichtig ausgedrückt, kuschelnd zu verbringen, während ihre in der Öffentlichkeit stehenden Ehehälften die Schlagzeilen füllten.

Angefangen hatte alles damit, dass die gute Hermine eines abends von ihrem ständig nörgelnden Ehegatten die Schnauze voll hatte, kurzerhand eine ihrer noblen Handtaschen griff und aus dem Haus stürmte.

Zur gleichen Zeit machte sich auch der schicke Ferdinand auf, schmiss sich in seinen Porsche 911 Targa 4 GTS, startete gefährlich durch und prätschte die gut 350 Meter hinauf zur Tenne, Tonis Tenne.

Noch gar nicht so lange her hatte Toni Scheibenwagner die fulminante Idee, diesem leicht schlafmützigen Kaff etwas Schwung zu verpassen, kaufte kurzerhand mit des Vaters Geld den nicht mehr rentablen Schuppen eines zugereisten Möchtegerngastwirtes, der binnen kurzer Zeit, mangels einheimischer Wurzeln und Kenntnis der Gepflogenheiten, volksnah ausgedrückt, pleite war.

Böse Zungen behaupten sogar, dass der Vater Scheibenwagner das seine dazu beigetragen haben soll, um den Niedergang des Reingeschmeckten zu beschleunigen. Er selbst danach befragt, leugnete dies allerdings rundweg ab.

Tonis Tenne entwickelte sich blitzschnell zum Treffpunkt all derer, die sich dort, mangels adäquater anderer Optionen am Ort, gerne und immer öfter einfanden. Ferdinand mit dem Porsche gehörte quasi schon zum Inventar und als Sohn des größten Bauern genoss er unausgesprochen, aber logischerweise, Privilegien, die nicht jedermann zu teil wurden. Selbiges wiederum hatte zur Folge, dass vieles an Gemüse, besonders das weibliche, sich sehr gerne um den Ferdinand scharrte und seine Nähe suchte, wo immer es ging.
Ein ganz bedeutendes Privileg war der Parkplatz unmittelbar rechts vor dem Eingang zur Tenne. Auf diesem Platz stand entweder Ferdinands Porsche oder nix. Niemand hätte es gewagt, sein Gefährt darauf abzustellen. Und derer gab es mittlerweile zahlreiche. Die Ärmsten tummelten sich hier nicht. Sportwagen italienischer Herkunft, sogar ein Engländer war darunter, sowie einige Porsches und merkwürdig klingende Namen aus den USA. Großkotzige Limousinen sah man eher selten, für die älteren Väter der Jugend war dieser Ort nicht der richtige. Für die jüngeren Mütter dagegen schon. Die Anzahl der irgendwo vor der Tenne abgestellten SUV jeden Typs zeugten davon.

Die ländliche Idylle war zerrissen und die Jungspunde taten das ihre, wenn sie spätnachts von dannen brausten und dabei so viele PS, wie irgend möglich, aus den Achtzylindermotoren quälten.

Den Bürgern allgemein, und nicht nur den Anwohnern, wurde es langsam zu bunt und zunächst zaghaft, dann immer deutlicher, mehrten sich die Stimmen, die nach der ehemals dörflichen Ruhe begehrten.

Aber nicht mit der einheimischen Jugend, da hatten die Aufmüpfigen die Rechnung ohne den Wirt gemacht!

Und so landete Hermine Bärlocher an jenem Schicksalsabend unausweichlich ebenfalls in der Tenne. Wo denn auch sonst, möchte man anmerken. Hermine machte schon was her, so um die dreißig, attraktiv, und stets ein verschmitztes Lächeln im Blick. Da rechneten sich die heimischen Burschen schnell etwas aus. Soviel bekannt ist, ist es allerdings bis zu diesem Abend bei den Träumereien der Manneswelt geblieben.

Zu erwähnen ist, dass zwei von Hermines jüngeren Schwestern in der Tenne des Bruders Toni schon beinahe die Heimrechte eines Ferdinand erlangten. Wenig zugeknöpft und auch sonst recht freigiebig heizten sie die herbeigesehnte Atmosphäre an und spiegelten so gar nicht das gewohnte Bild der einheimischen Damenwelt wider, wobei damit keine Feststellung getroffen ist, über das Treiben der einen oder anderen Maid abseits im Verborgenen.

Kein Abend, an dem die Stimmung nicht durch die Decke ging, kein Abend, an dem die Motoren bei der Abfahrt nicht besonders geröhrt hätten und kein Abend, an dem auch nur der Schatten eines Polizisten zu sehen gewesen wäre.

Und just, als die Gaudi grad ihren Gipfel erreichte, stolperte der Ferdinand tollpatschig über die Hermine.

Später wurde dieser Zeitpunkt als die Geburtsstunde der Dinghartinger Schickeria festgestellt und bestätigt. Denn Hermine liebte es sowohl nobel als auch modisch und der Ferdinand liebte die Hermine. Und, weil sich immer noch alle um den Ferdinand scharrten, hielten sie es bald so, wie der Ferdinand und die Hermine es taten und gerne hatten.

Tonis Tenne war blitzschnell die angesagte Adresse am Ort. Nicht jeder mehr fand einen Platz. Es ging schon wegen der Türsteher nicht. Sie bildeten die Garanten, dass unter sich blieb, was unter sich bleiben wollte. Wer hineindurfte, war ihrer Gnade ausgeliefert. Zum Schutz der Gäste, wie der Toni gerne von sich gab.

Modisch und im Gehabe passte sich das Publikum eiligst dem unausgesprochenen und undefinierten Drang nach dem Besonderen an. Fortan konnte man an diesem Ort Taschen und modische Fummel bewundern, deren Namen kaum einer der Ortsansässigen hätte aussprechen können. Von denen in Tonis Tenne jedenfalls schon gleich gar nicht.

Sehr bald hielten Boutiquen mit allerlei Firlefanz Einzug, dann ein Gourmet Restaurant, direkt neben dem Ochsen, es folgten Feinkostläden, schicke Schuhgeschäfte und andere Händel, wie es eben für die Schickeria unabdingbar scheint. Nur, was dem Toni nicht so sehr gefiel, eine zweite und kurz darauf eine dritte Lokalität im Stil seiner Tenne bereicherten die Szene. Aber auch das Publikum, die Gäste nahmen an Zahl und Verrücktheiten zu, was den Toni wieder versöhnte.

Dingharting war drauf und dran, den Weg der Großen zu gehen!

Der Ort wurde zum Magneten auf dem Lande. Wer etwas auf sich hielt, verbrachte mindestens einen oder zwei seiner kostbaren Abende, anstatt in den sattsam bekannten Kneipen und Lokalitäten der Stadt, draußen in Dingharting, wo’s immer Parkplätze gab und keine Polizei die Abfahrt störte, wo die Apotheken am Ort beständig knapp an Ohropax waren, wo man sich für eine ausgefallene Handtasche von Progettista Giuseppe, der früher Ochsenthaler Sepp hieß und von Beruf Sattler ist, schon mal einige Wochen oder Monate einreihen musste, wo allgemein die Dinge knapp wurden, die das Leben der Schicken bereicherten. Und je knapper der Tand war, desto verrückter wurden sie danach.

„Ich hab’s aus Dingharting“, ging rum, wie ein Lauffeuer, was immer mehr der Schicken aufs Land zog und tatsächlich dafür sorgte, die nahe Hauptstadt der Schickeria zu berauben.

Die Hermine und der Ferdinand haben es eine Zeit lang mit einander ausgehalten, auf Gspusi-Ebene sozusagen. Irgendwann war er dann weg. Er sei in die Stadt, haben die Leute erzählt. Es sei ihm hier zu eng geworden, in Dingharting, zu viel Schickeria. Dem Ferdinand sei es in der Stadt lieber, die Leute dort freundlicher, weniger Trubel, mehr Lokalitäten, Kneipen und Bars mit Schick und Pfiff, nicht so ein Geschiebe und Gedränge, alles easy eben, vielleicht sogar persönlicher.

Die treibenden Motoren der Dinghartinger Unrast, die Opportunisten und daran Verdienenden, wehrten sich und holten zum Gegenschlag aus.

Fortan durften auch jene in die Etablissements, deren Anwesenheit bisher selten bis gar nicht erwünscht war. Die Gunst der Türsteher wandelte sich kolossal, bis sie schließlich vollends verschwanden und mit ihnen auch die schicken Anmach-Kneipen.

Nur bei Toni blieb alles beim Alten. Türsteher, alte und alternde Stammgäste, bald schon nur noch letztere. Die Sportwagen ersetzt durch Limousinen und SUV, Ferdinands Parkplatz dem Barkeeper zugewiesen. Ein Mann übrigens, um die Vierzig, elegant, geschmeidig, sportlich, stets der gehobenen Klasse entsprechend gekleidet. Ein Piano fand Platz und eine winzige Bühne. Musiker von Rang gaben sich ein Stelldichein, Jazz vom Feinsten, in Tonis Saloon, wie sein Laden jetzt hieß.

Und immer voll, weil der Toni eben das Gespür hat.

Und so geschah, woran viele schon nicht mehr zu hoffen wagten: Die Schickeria zog sich zurück, wanderte ab, kehrte wieder heim nach dorthin, wo immer schon sie Dasein und Berechtigung beanspruchte, in die Stadt.

Die Boutiquen räumten das Feld und hinterließen dunkle Löcher in den Fassaden, bis sich wieder ansiedelte, was zum Ort passte, eine Spur moderner vielleicht.

Der Gourmettempel schaffte es, und erfreute fortan als Landgasthof die Gaumen der Feinen und Wohlhabenden – a bisserl Reminiszenz an die verflossenen Tage.

Übrigens, Ohropax wurden in Dingharting nicht mehr benötigt.

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