Es ist ein herrlicher, früh sommerlicher Tag Mitte Mai. Die Nachmittagssonne spiegelt sich im ruhigen Wasser, eine leichte Brise weht durch das Gras der Steppe. Aus dem Dickicht kommt ein wunderschönes, aufgewecktes und wohlgenährtes Zebra anmutig Richtung Wasser geschritten. Glücklich darüber, diese tolle Wasserquelle entdeckt zu haben, trinkt das Zebra genüsslich in ruhigen und großen Schlucken das kristallklare Wasser. Als der Durst gestillt ist, plantscht es noch ein paar Minuten im flachen Gewässer, um sich schließlich am Uferrand in die Sonne zu legen und zu dösen. Glücklich und vertrauensvoll legt es sich nieder. Vollkommen im Moment versunken vergisst es wie viel Zeit schon vergangen ist, als es plötzlich ein Knacken im gegenüberliegenden Gebüsch wahrnimmt. Sekunden später sieht das Zebra auch schon einen großen, Angst einflößenden Löwen am anderen Ende des Flusses stehen. Instinktiv springt es auf und rennt so schnell es kann auf seiner Seite des Ufers tief ins Gebüsch hinein. Es fühlt sich fast so an als würde es fliegen, so schnell rennt das Zebra. So lange, bis sein Unterbewusstsein ihm signalisiert, dass es wieder in Sicherheit ist. Langsam verringert das Zebra seine Geschwindigkeit, bis es irgendwann im gemütlichen Schritt auf eine helle Lichtung zu trottet. Dort findet es eine große, weite und saftige Wiese vor.
"Wow, ist das toll hier!" denkt das Zebra bei sich. "Ich kann sehr dankbar dafür sein, dass ich eben am Fluss so eine tolle Zeit hatte und genug trinken konnte. Außerdem ist es faszinierend, wie schnell meine Reflexe mich gerettet haben und jetzt auch noch diese saftige Wiese, um meinen Hunger zu stillen. Was für ein toller Tag!"
Das Zebra mümmelt gemütlich vor sich hin. Nach einer Weile bemerkt es ein anderes Zebra, welches gerade sichtlich wütend und ängstlich auf die Lichtung stürmt. Neugierig betrachtet das glückliche Zebra, wie sich das andere Zebra um die eigene Achse dreht. Es scheint die Schönheit dieser Lichtung überhaupt nicht wahrzunehmen. Vollkommen im Film versunken schnaubt und stampft jenes vor sich hin. Das glückliche Zebra nähert sich dem ängstlichen Zebra.
"Hallo. Ist alles in Ordnung? Kann ich dir helfen?" fragt das glückliche Zebra.
"Bitte? Ach so, nein nein. Ich habe mich nur gerade sehr geärgert." erwidert das andere.
"Aber worüber denn? Hier ist es doch so schön!"
"Nein, dies ist ein gefährlicher Ort. Ich war gerade unten am Fluss, weil ich furchtbaren Hunger und Durst hatte. Ich konnte mich nur die ganze Zeit nicht entspannen, weil ich Angst davor hatte, dass gleich ein Löwe auftaucht. Ich bin vor lauter Anspannung gar nicht dazu gekommen auch nur einen Schluck Wasser zu trinken. Ich hatte so viel Angst, dass ich mich nur auf die Flucht vorbereitet habe. Als ich ein Knacken vernommen habe, bin ich los gerannt, bis ich hier angekommen bin. Jetzt fällt mir auf, dass das Knacken auch ein kleines, ungefährliches Tier hätte sein können, ähnlichen einem Eichhörnchen. Ich ärgere mich, dass ich nicht den Moment genossen habe. Jetzt stehe ich hier, immer noch hungrig und durstig, ängstlich und ärgere mich über mich selbst." erklärt das ängstliche Zebra aufgebracht.
"Weißt du eigentlich, wer du bist?" fragt das glückliche, natürliche Zebra sehr verwundert.
Das natürliche Zebra
von Lena Ahrens
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