Jeder von uns wird irgendwann der Niederlage gegenüberstehen.
Eine Bewerbung, von der man sich viel erhofft hatte. Ein erstes Treffen, nach dem man zuerst noch gejubelt hat, dann die Absage, wie üblich.
Was kann man tun?
Frau Henkenhaf führt heute für den Kurs die Akquisetelefonate und sie lässt es uns da als Gruppenarbeit. Zwölf Leute ohne sie, eine Gruppe. Die sonst oftmals geschlauchte Frau Brückner reißt die Führung an sich, steht auf und schreibt unsere Ideen ans Flipchart.
Gleich nach der Rückkehr explodiert Frau Henkenhaf, weil sie das Wort „Telefonseelsorge“ entziffert hat, in Gelächter. Die übrigen Lösungen überfliegt sie eher, die meisten liest sie nicht vor, verzichtet auf Kommentare. Eine andere Aufgabe angehen, Spaziergang machen, Punching Ball, Laufen, Tanzen, Singen, Shopping, Essen, Musik hören, stundenlang Telefonieren mit Menschen, die einem teuer sind. Familie. Geselligkeit. Frau Henkenhaf fasst es als „Ablenkung“ zusammen. Das sei wichtig. Aber noch wichtiger wäre, einen neuen Standpunkt für sich zu erschließen.
Alles, sagt Frau Henkenhaf, ist nicht nur schlecht, sondern immer auch gut für was. Man muss das erkennen. (So zum Beispiel sind solche Texte für irgendetwas gut, wenn man es sieht.) Frau Henkenhaf blättert unser großes Blatt um, schreibt „Pro und Contra“. Sie zieht einen Strich in der Mitte. Nachher beim Schreiben vergisst sie, was links und was rechts vom Strich hätte kommen sollen. In der Contra-Spalte steht nur eine einzige Sache, sonst alles bei Pro.
Man hat die Stresssituation Vorstellungsgespräch gemeistert. Man hat also trainiert. Das nächste Mal wird man weniger aufgeregt sein. Man hat seine Unabhängigkeit bewahrt. Man ist frei, sich für eine attraktivere Stelle zu entscheiden. Möglicherweise mit netteren Kollegen und besserer Bezahlung.
Und hat es denn gestimmt, das Klima bei diesem Unternehmen? Hat man nicht bei der Vorstellung gespürt, dass da was war? Natürlich ist man nie ganz frei und beweglich in einer persönlichen Situation wie der unseren. Aber es wäre sinnlos anzufangen, wo man sich vorneweg schon nicht wohlfühlt. Möglicherweise hat einem diese Absage vor Schlimmerem bewahrt.
Man ist gefragt worden und man hat den unbekannten Menschen erzählt, wer man ist, wie man zu sich selber steht. Im selben Atemzug hat man sein Selbstbild überprüfen können. Wie haben sie reagiert? Wann haben sie einem an den Lippen gehangen, wo haben sie gezweifelt? Sagt es einem womöglich, dass man schon seit geraumer Zeit sich in den falschen Sektor hineinwühlt? War es kein Signal, sich neu aufzustellen, anders auszurichten?
Man verfügt über mehr Realismus im Umgang mit sich und seiner Geschichte. Unser Selbstwertgefühl ist gestiegen, weil wir dieses Gespräch durchgezogen haben. Augenblicklich setzt man sich Ziele. Der Tiefpunkt ist doch nur einer, an dem wir uns selbst überwinden.
So gesehen wollen wir jeden Tag unsere Niederlage. Wir werden frischer weiterleben. Friedrich Nietzsche. Sagt Frau Henkenhaf zwar nicht, sie ist Mathematikerin, Erziehungswissenschaftlerin und Betriebswirtschaftlerin. Sagen wir.
Kommentare
Mit Interesse gelesen! Schönes Wochenende!