Hin und wieder lesen wir Geschichten von der Glorie wie auch der Begrenztheit nackter sexueller Leidenschaft zwischen Erwachsenen. Geschichten so ähnlich wie in Bernardo Bertoluccis Film „Der letzte Tango in Paris“.
Schreibt man so etwas, handelt man sich Probleme ein, denn die Leser von Texten sind keine Protagonisten in den Texten. Die brennende Leidenschaft für die andere Figur, sie fühlen sie nie so richtig. Nicht mal exakt von außen ansehen können sie sich die Figuren, geschweige von innen.
Als Schriftsteller mühe ich mich ab, die lodernde Leidenschaft meiner bedeutendsten Figur allgemein nachfühlbar zu gestalten. Kann mir das je gelingen, falls ich nur berichte, was meine Figur an sexuellen Akten betreibt? Das ist schwer die Frage. Und doch geht der Plot meiner Geschichte davon aus, dass sich nichts außer nacktem Sex zwischen meinen Protagonisten in ihr ereignen wird. Nicht anders haben die beiden es sich gewünscht.
Die zweite Person stellt bei derlei sexuellen Affären und also auch in solchen Storys eine Art Antwort dar auf eine Bedürfnislücke, welche die erste Person in sich trägt, von der sie allerdings vielleicht nicht mal ahnte, dass es sie gab. Genau daher rührt jetzt die unglaublich heftige Leidenschaft bei gerade diesem Sex, der hier im Text steht. Der Autor muss diese zweite Person also gut veranschaulichen. Diese zweite Figur ist begehrenswert, denn sie hat das oder das und dies. Und zu allem hin benimmt sie sich dann so und so! Ich als Schreibender gebe vor, in derselben Bedürfniswolke wie mein fiktiver Protagonist zu stecken, vielleicht ist es ja auch tatsächlich dieselbe. Kleine, rothaarige Frauen sind klasse, breitschultrige Männer, die mich brutal behandeln, sind super, irgendwie so in etwa. Ich beschreibe die Reize der zweiten Person und dadurch beschreibe ich die Bedürfnisse der ersten.
Dem Leser reicht das nicht aus. Er will jetzt noch wissen, warum die zweite Figur unbedingt mit meiner ersten Figur diesen unverbindlichen Sex haben will, der hier wild und ungezähmt aufgeflammt ist. Schlechte Erotik-Schreiber übersehen das gern. Die tun, als hätten alle Leser die gleichen erotischen Sehnsüchte und Obsessionen. Sie glauben, alle Leser wären wie sie und hätten ihr privates Begehren. Männer mit sieben Zentimeter im Querschnitt messenden Schwänzen! Frauen mit wogenden Hawaii-Hüften und Blüten im Haar! Sie sagen uns nicht, was daran gut sein soll.
Heute schnappen wir im Internet eine erotische Story. Eine sogenannte Soft-SM-Story. Von der ersten Sekunde an benimmt sich darin der Mann selbstbewusst, fordernd, kaltschnäuzig. Geschrieben ist diese Story allerdings aus der Perspektive der drin vorkommenden Frau. Sie reagiert in keinster Weise ablehnend auf das herrische Gehabe. Jedenfalls steht im Text nirgendwo ein Wort davon. Er will sie besitzen, sie will besessen sein.
Es kommen jetzt aber schon Leser an, die diskutieren wollen: „Wie kann eine Frau sich durch so ein gockeliges Macho-Getue einnehmen lassen?“ Eine Frage, die mich nicht interessiert. Ich frage: „Warum will dieser Typ genau diese eine Frau kriegen?“ Was ist, in seinen Augen, an dieser speziellen Frau Begehrenswertes? Womit füllt sie die Bedürfnislücke in ihm?
Diese Soft-SM-Sex-Geschichte ist von einer Frau verfasst worden, einer jungen. Derartige junge Erotikautorinnen erklären beinahe nie, warum die zweite Figur, der Mann in der Story, die jeweilige Heldin begehrt. Es ist halt so. Alle Männer begehren junge Frauen. (Ich zwar nicht, aber, na ja.)
Bei unserer Geschichte über nackten Sex zwischen zwei Erwachsenen, purer Lust ohne Verantwortung und Lebensgemeinschaft, mögen einige Leser nicht, dass ein Text sich mit „nur Sex“ befasst. Dieser sei eine Art Schein-Glück, Schein-Erfahrung. Kein wirkliches Leben, sondern eine (letztlich nur) Leere. Es ist in den Leben dieser Leser niemals zu Augenblicken gekommen, wo es sexuelle Kontakte zu Menschen gegeben hat, die ganz allein für sich standen, die nicht in Verantwortung eingebettet wurden. Jedenfalls tun sie so.
Ich persönlich, glaube ja, dass im echten Leben, wie es unablässig irgendwo abläuft, jeden Tag unzählige solcher „Nur-Das“-Kontakte stattfinden und dabei auch prächtig funktionieren und beiderseits geschätzt werden. Allerdings gab und gibt es seit je Menschen, die finden, künstlerische Gestaltung solle nicht das Leben in seiner zufälligen, oberflächlichen, ungereimten Wirklichkeitsform widerspiegeln, sondern ausschließlich gemäß gereinigten Ideen eines erhöhten Menschentums. (Ja, solche Leser gibt es. Die freuen sich dann durchaus nicht, wenn man macht, was sie sich nie erhofft hatten.)
Die Autorin von der Soft-SM-Sex-Story meint, der Sex mit den beiden Erwachsenen in ihren Text sei voll gut geworden. Aber mit etwas ehrlicher Liebe dabei wäre er noch viel besser. Es war, was sie geschrieben hat, von hautnächster Intimität, also von Obszönität, wenn man so sagen möchte, es war aber anonym, hedonistisch und irgendwie unethisch. Darum schreibt meine Autorin am Ende der Geschichte, der Mann werde als Nächstes eine junge, begehrenswerte Frau treffen, in die er sich dann verlieben werde. (Quasi Vorankündigung, nächste Folge.)
Dieser Punkt in der Geschichte ist der, an dem ihre Story in sich zusammenfällt. Bis eben noch, kurz vor Ende, war es eine Fickgeschichte gewesen - und solche soll es aber wohl nicht geben. Die Protagonistin meiner Autorin merkt gerade: Schrankenlos hat sie sich dem jungen Ungehobelten hingegeben, hat sich in Besitz nehmen lassen, keinerlei Liebe hat sie deswegen zurückbekommen. Wie wir merken, hatte sie von Anfang an ein Verlangen nach Liebe in sich stecken, wurde mit Sex abgespeist und förmlich betrogen. Manche Leser mögen solche Enden.
Wer in einer gesellschaftlichen Werteordnung lebt, muss sich vor den aufragenden Denkgebäuden verneigen. Täte er dies nicht, er würde nicht gelesen. Lebt einer in China, so kann er von wüsten Auswüchsen eines ungeregelten Revolverkapitalismus schreiben, hin und wieder muss er sich vor der großen Weisheit der Kommunistischen Partei neigen. Wer in Ländern mit langer christlicher Tradition lebt, kann Geschichten über die nackte Lust am Sex schreiben, hin und wieder sollte er dazuschreiben, dass es Bedeutenderes gibt unter den Menschen, nämlich Familie, Ordnung, Verantwortung und die Liebe.
Der rüde Mann in der Geschichte der SM-Erotikerin blickt auf die zweite Person, die junge Schöne, da sieht er eine Katze. Oder die Katze sieht er gar nicht, sondern einfach nur eine schöne Frau. Allerdings gibt es eine größere Zahl von schönen Frauen überall. Was diese Figuren zum Sex miteinander zu qualifizieren scheint, ist, dass außer ihnen keine Leute in dem Text meiner Autorin auftreten und dass sie beide so attraktiv sind. Schönheit und Schönheit ergibt quasi Sex, nackt.
Sie treffen sich in der Story von diesem Tag an immer wieder, ähnlich wie bei „Der letzte Tango in Paris“, um weiter ihren Sex zu haben. Ich schließe daher, es muss noch etwas dabei gewesen sein. Langeweile und Überdruss kamen bei ihnen nicht auf, obwohl ihre Schönheit nicht schöner wurde, sie beide sie inzwischen schon kannten. Die Autorin hat einen geheimen Schlüssel zu ihrer Geschichte. Sie weiß, warum diese beiden immer wieder dasselbe tun. Die Autorin sollte mir als Leser diesen Schlüssel in ihrem Text bitte zeigen.
Kaum spürt er ihr Fleisch, ist er außer sich. Er tut Dinge, die er sonst bei keinem anderen Menschen tut. Er fängt an, ihren Körper zu schlagen. Nicht ganz hart, denn es ist eine Soft-Sex-Geschichte. Ihren Körper zu schlagen, fühlt er tief von innen, ist jetzt, in diesem Augenblick des Sexes, das Beste, was passieren kann. Es ist zu einer Notwendigkeit geworden. Er fühlt, dass sie es mag. Sie leidet allerdings durchaus. So soft ist sein Sex ja auch wieder nicht. Aber sie mag es, unter ihm zu leiden. Er weiß das, auch wenn sie es nie sagt. Mit anderen Worten, beide Personen sind in diesen Momenten nicht mehr alleine, sondern stecken tief im anderen. Ist das Liebe?
Nein, es ist keine Liebe. Der junge, arrogante Mensch wird nie mit der jungen Dame in Sommerferien fahren oder zum Elternabend gehen. Die Frau kann krank werden, sich wälzen und an ihn denken und es wird ihm egal sein, weil er woanders ist, es nicht mal erfährt, nie mehr von ihr hören wird! Alles ist nur hier, in diesem Bett, zwischen den beiden Körpern. Ist Sex.
Aber es gibt keine Ewigkeit des Sex‘. Einige Leser denken, jede Geschichte mit Nur-Sex als Inhalt wäre schon auch eine Porno-Geschichte. Dass dem nicht so ist, sehen wir daran, dass man in Pornogeschichten nicht an das Vorbeigehen des Sex‘ erinnert wird. Dass es Ewigkeit nicht gibt, wird geleugnet im Porno. Pornos sind Show. Meine Autorin lässt Sex enden und sagt, es wird weitergehen und zwar anders. Sie sagt: Demnächst wird er sich dann auch noch verlieben.
Wahrscheinlich versucht die Autorin anzudeuten: „Es war toll, aber es musste enden, weil es nur Sex war. Wenn es Liebe gewesen wäre, wäre es unendlich und es würde dauern.“
Allerdings geht alles vorbei.
Die Milchstraße geht vorbei.
Italien geht vorbei.
Die Menschen gehen entzwei.
Jugend geht fort.
Alter geht ein.
Nackter Sex geht rum.
Was nicht sagt, ob er einen Wert hatte oder keinen.