Arthur Schopenhauer: seine Rolle in der modernen Philosophie
Misanthrop, Pessimist, großer Denker: Zu Lebzeiten war Arthur Schopenhauer fast unbekannt, doch kaum ein anderer Philosoph hat durch seine Ideen derart viele Menschen erreicht wie der gebürtige Danziger. Anlässlich des 160. Todestages von Schopenhauer am 21.09. wollen wir einen näheren Blick auf seinen Einfluss auf die moderne Philosophie werfen.
Seine Weltanschauung hatte einen starken Einfluss auf die Realität der postromantischen Epoche und beschäftigt auch heute noch die Literaturkritiker. Das umfangreiche Wissen, das er sich während seiner Studienzeit angeeignet hatte, half ihm, seine Ideen mit einem scharfen und universellen Blick zu formulieren.
Von Zweifüßern und Pudeln
Zeit seines Lebens äußerte sich Arthur Schopenhauer skeptisch und sogar abfällig über seine Mitmenschen. „Zweifüßer“ waren seiner Ansicht nach zum wahren Glück nicht fähig. Das Höchste, was der Mensch erreichen könne, sei Gleichgültigkeit der Welt gegenüber. So könne man sich Leiden und Enttäuschungen ersparen. So sehr Schopenhauer den Menschen misstraute, so sehr schätzte er die Hunde. Als ewiger Begleiter war ein Pudel an seiner Seite, den er unverändert "Atman" (Sanskrit für "Lebenshauch") nannte. Schopenhauer war der Meinung, die Seele jedes einzelnen seiner Pudel sei ein Teil der Weltseele - eine Vorstellung, die an die Lehren des Hinduismus angelehnt ist. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Kant vertrat Schopenhauer eine Mitleidsethik, die ihn zu einem wichtigsten Vorreiter der Tierschutzbewegung machte. Grenzenloses Mitleid mit allen Lebewesen sei der Grundstein für ethisches Verhalten.
Ein Darwinist vor Darwin
Noch bevor Darwin seine wissenschaftliche Theorie verfasst hatte, tat Schopenhauer seine Überzeugung kund, das „Wesentliche und Hauptsächliche im Tiere und im Menschen“ sei ein und dasselbe. Ihm zufolge hatten Zweifüßer und Vierbeiner einen gemeinsamen Ursprung. Allerdings fußte diese Erkenntnis nicht auf wissenschaftlichen Dogmen, sondern vielmehr auf einer metaphysischen Weltanschauung.
„Die Welt ist meine Vorstellung“
Schopenhauers metaphysisches Bild der Welt kommt in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ zum Ausdruck. Somit ist die Welt laut Schopenhauer nichts weiter als eine Spiegelung der eigenen Empfindungen. Hier erweitert Schopenhauer die bereits von Kant vertretene Ansicht, die Welt sei nur so, wie sie jedem von uns erscheint. Das Bewusstsein zerfällt in Objekt und Subjekt, wobei Objekt und Vorstellung für Schopenhauer synonyme Begriffe sind. Die Welt ist eine Vorstellung, die in Verbindung zum Subjekt steht. Doch sie besteht auch aus dem Willen, der in der Philosophie Schopenhauers einen fernöstlich geprägten Sinn annimmt. Der Wille ist somit ein "blinder, zielloses Drang zum Leben", eine Art vitale Energie, die im Menschen ebenso wie im Tier oder im Stein enthalten ist. Kant nannte diesen Willen „Das Ding an sich“. Schopenhauer wählte den Begriff „Wille“ bewusst und war sich über die möglichen Missverständnisse im Klaren. Jede Kraft der Natur erschien ihm als Wille, wodurch seine Philosophie die Grenze zur Metaphysik überschritt.
Die Einheit allen Lebens
Zu den grundlegenden Themen, mit denen sich Schopenhauer befasste, gehörte auch der Tod. Dieser wird gefürchtet, sobald sich ein Mensch lediglich als Individuum und sich nicht als eine Einheit mit dem gesamten Leben sieht. Das sogenannte „principium individuationis“ erlaubt es uns, die Welt in ihrer Vielheit wahrzunehmen. Dabei verdeckt dieses Prinzip wie ein Schleier die Einheit, die sich hinter der Vielheit verbirgt. Der Mensch sieht nur die Unterschiede zwischen sich selbst und den anderen, was zu Egoismus führt. Das „principium individuationis“ beruht auf dem Erkennen von Gegensätzen. Wer es jedoch durchschaut, gibt nicht nur den Willen auf, sondern unterdrückt das Ego und verschmilzt mit allem Sein. Auch in dieser Ansicht machen sich buddhistische und altindische Einflüsse bemerkbar. In den von Schopenhauer hochgeschätzten Upanishaden geht es um das Durchbrechen der Fesseln des Willens.
Ein überzeugter Atheist
Für seine Epoche ungewöhnlich war auch Schopenhauers Einstellung zur Religion. Er ging der Theodizee-Frage nach und kam zudem Schluss, dass es keinen Gott geben könne, denn dafür sei das Leid in der Welt zu groß. Allein dem Buddhismus - der einzigen Religion, die sich nicht mit der Theodizee befasst - war Schopenhauer geneigt. Die zentralen Ideen der buddhistischen Lehre kommen dem Kern von Schopenhauers eigener Philosophie nahe.
Der Mensch Schopenhauer
Kauzig und mit cholerischen Zügen: So charakterisierten seine Zeitgenossen den berühmten Denker. Derselbe Mann, der das Mitleid als Grundlage der Ethik ansah, schubste eine geschwätzige Haushälterin die Treppe hinunter und äußerte sich abfällig über viele Philosophen seiner Zeit. Auch für Frauen hatte Schopenhauer nur sehr wenig übrig - er blieb bis zu seinem Tod Junggeselle. Er hatte seinen Spaß daran, beleidigende Briefe zu schreiben. Andererseits kennen wir Schopenhauer heutzutage als einen der ersten Verfechter der Menschenrechte. So bezeichnete er die Staaten Nordamerikas, in denen das Halten von Sklaven weit verbreitet war, als "Schandfleck der ganzen Menschheit". Trotz seiner überaus progressiven Einstellungen gilt Schopenhauer als Pessimist und Misanthrop, denn im Gegensatz zu den Philosophen der Aufklärung glaubte er nicht an das Gute und Erhabene im Menschen, sondern hielt ihn für triebgesteuert und uneinsichtig.
Der Einfluss Schopenhauers auf seine Nachfolger und Zeitgenossen
Obwohl der Einfluss Schopenhauers zu Lebzeiten eher gering war und der Philosoph als Kauz abgetan wurde, tritt sein Vermächtnis heute deutlicher denn je zum Vorschein. Schopenhauer gilt als Wegbereiter der modernen Tiefenpsychologie. Noch lange, bevor Carl Gustav Jung von sich reden machte, unterschied Schopenhauer bereits zwischen dem „Ich“ und dem „Selbst“. Seiner Ansicht nach steckte der Mensch im Herzen und nicht im Kopf. Vor allem für Dichter und Musiker wurde Schopenhauer zum wichtigsten Erzieher. Zu denjenigen, die dem Philosophen ihre Ehre erwiesen, gehören unter anderem Leo Tolstoi, Christian Friedrich Hebbel, Iwan Turgenjew, Guy de Maupassant, Joseph Conrad, Arthur Schnitzler und Samuel Beckett. Auch den jungen Nietzsche beeindruckte die Philosophie Schopenhauers. Später wandte er sich von dessen Pessimismus ab und stellte eine radikale Lebensbejahung und den Übermensch in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Vieles, das wir heute für selbstverständlich halten, lässt sich auf die Philosophie Schopenhauers zurückführen. Seine Mitleidsethik ist aktueller denn je und liegt beispielsweise der Tier- sowie der Umweltschutzbewegung zugrunde.
Allerdings sorgen andere Aspekte seines Schaffens für Zweifel: Seiner Aufforderung, möglichst wenige Freundschaften zu pflegen, isoliert zu leben und nicht zu heiraten, möchten wohl nur die wenigsten Menschen nachkommen. Schopenhauer steckte voller Widersprüche, die ihn zu einem interessanten, wenn auch teilweise ungeeigneten Vorbild machen. So aß er trotz seines Lobs für die Vegetarier in Indien Fleisch und drangsalierte Bekannte, während er eindrucksvoll die Leiden der Galeerensträflinge im Hafen von Toulon dokumentierte. Schopenhauer haderte mit dem Idealismus seiner Zeit, indem er den Menschen als Triebwesen charakterisierte, dem es an Verstand fehlte. Demnach bewegt sich die Kultur stets am Abgrund der Barbarei und läuft Gefahr, in sie hineinzuschlittern. Die Werke Schopenhauers gehören zu den Glanzleistungen der deutschen Prosa des 19. Jahrhunderts, wodurch sie zusätzlich an Wert gewinnen. Noch heute gehört der Danziger Kaufmannssohn zu den meistgelesenen Philosophen der Neuzeit, denn trotz seiner zahlreichen Widersprüche regt Schopenhauer zur Selbsterkenntnis an.
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