Geboren in Berlin 1934.
Beginn meiner schulischen Ausbildung in der Dorfschule Haindorf/Bad Liebwerder, ehem. Sudetengau, es folgen weitere sechs Volksschulen, bunt gemischt, abhängig von Evakuierungen und freiwilligen Aufenthalten bei Verwandten in Mittel- und Süddeutschland. Im Winter 1943 werden wir, meine Mutter und ich, nach Ostpreußen evakuiert und auf einem Bauernhof einquartiert.
Ab Mitte 1944 Rücktransport aus Schloßberg/Pillkallen nach Berlin-Neukölln. Unser Miethaus in der Emserstraße ist eine Halbruine. 1947 bis 1949 Besuch der Mittelschule. Lernerfolg nach dem Besuch von sechs Schulen in Mittel-, West-, Ost und Süddeutschland: Außer einer Schulphobie, die mich auch den Rest meines Lebens begleiten wird – nichts. Alles, was ich für das Leben brauche, habe ich – mühsam genug – anschließend gelernt.
Mitte 1949 kommt mein Vater (34 kg leicht) aus russischer Kriegsgefangenschaft in Sibirien zurück. Ende des erfolglosen Schulbesuchs (aufatmen!) wegen Auswanderung nach Brasilien.
Auf dem Campo, ca. 14 km entfernt von Sao Paulo, liegt der Kleinbahn-Haltepunkt Engenheiro Goulart, umgeben von einigen Eingeborenenhütten, und weitere drei km westlich bewirtschaften Verwandte meines Vaters eine Art Fazenda; zwei Menschen, zwei Pferde (eines blind), neun Hunde, einige Kühe. Nächste Nachbarn: Eine Russin, Donna Emma, (ca. 2 km entfernt), Eine Art Laden für alles wird von einem Japaner geführt (3 km entfernt). Meine Aufgabe: Kühe hüten – Klartext, das Pferd hütet, ich bemühe mich, nach dem Prinzip learning by doing, im Sattel zu bleiben. Mein Vater arbeitet in Sao Paulo in der Lithographica Ypiranga (CLY) als Offset Negativ-Retuscheur.
Nach einem halben Jahr gestalten sich die zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Fazenda so, daß wir unseren „Wohnsitz“ in den Stadtteil Santa Terezinha (Sao Paulo) verlegen müssen. Soll heißen, bei Nacht und Nebel transportieren wir unsere wenigen Habseligkeiten auf einer geliehenen Pferdekutsche ins neue Heim – zwei Zimmer mit einem Dach drüber und ein Abstellraum zum Kochen – im Hof bei einem liebenswerten brasilianischen Ehepaar. Das erste deutsche Wort unserer Vermieterin: Scheisse, grinsend über beide Ohren.
Etappe 2 von learning by doing bricht an: Ab 2.1.1950 arbeite ich als Hilfskraft in der Abteilung Positiv-Retusche der CLY. Meine Aufgaben: Chemikalien besorgen, einfache Positiv-Retuschearbeiten. Vor allem die morgendlichen Wünsche der Kollegen (ca. 30 Mitarbeiter aus ungefähr 12 Nationen) erfüllen, als da sind: cafezinho mit/ohne Milch/Zucker, belegte Brötchen mit Butter/Käse/Wurst, Zigaretten, andere Getränke wie Pinca (Zuckerrohrschnaps), Sprudel…
Amtssprache ist Portugiesisch, ich lerne zunächst Schimpfworte, Zahlwörter, Danke/Bitte usw. Die Kollegen sind freundlich, hilfsbereit und nehmen auch wirklich nur das, was sie bestellt haben.
Langsam erkennen meine Eltern: Es hat keinen Zweck, wir müssen zurück nach Deutschland. Ein Angebot der ehemaligen Firma meines Vaters, die Kosten für die Schiffspassage per Vorschuß zu übernehmen, ist eine große Hilfe.
Mitte 1950 Rückkehr nach Deutschland. In Baden-Württemberg beginne ich in der Firma, die auch meinen Vater als Negativ-Retuscheur (Wolkenspezialist) beschäftigt, eine Lehre als Halbton-Fotograf (gibt’s schon lange nicht mehr). Ich habe keine abgeschlossene Schulbildung vorzuweisen. Trotzdem werden mir die 6 Monate Hilfsdienste bei der CLY in Sao Paulo auf meine Lehrzeit – in der ich im Winter auch problemlos zum Kohleschippen eingesetzt werde – angerechnet. Learning by doing gehört der Vergangenheit an, der Besuch der Berufsschule ist für die Katz, weil es keine Fachklasse für meinen Ausbildungsberuf gibt.
Aber ich habe ein Ziel.
1953 mache ich meine Facharbeiterprüfung und wechsele 1955 nach Norddeutschland in eine Bromsilberrotationsanstalt (Fotopostkarten und Kalender). 1959 bewerbe ich mich in einem großen Verlagshaus als Reprofotograf für Tiefdruck, Fachkenntnisse: keine. Als Halbton-Fotograf kenne ich mich nur im Bromsilberverfahren aus. Trotzdem werde ich eingestellt.
„Wissen Sie, Herr Baumgart", meint der Leiter der Abt. Tiefdruck, „entweder Sie schaffen das, oder wir trennen uns wieder. Dafür haben wir die Probezeit…“ Menschen wie ihm verdanke ich, daß mein "Lebensweg" nicht in der Gosse endet.
Der Begriff „Heimat“ ist für mich bis zum Ende meiner Berufstätigkeit ein Fremdwort geblieben. Aber etwas habe ich gründlich gelernt: Menschen jeglicher Herkunft, Hautfarbe und religiöser Anschauung ohne Vorbehalte zu begegnen. Daran haben auch die Erfahrungen mit ausgemachten Scheusalen nichts ändern können.