Grillparzerstrasse, eine breite lichte Gasse, welche Oktobersonne trank und in die gelben Flächen der Häuser einschlürfte, dass die Sonnentropfen auf den Spiegelfenstern spritzten. Das Holzstöckelpflaster erinnerte den Fuss an feste braune Waldwege.
In dem dumpfigen Stiegenhause stampften müde Männer in milchblauen Blousen. Oben im zweiten Stock waren die Thüren weit geöffnet. Es roch nach Thüranstrich und Dienstbotenkaffee.
In den Débâcles der Hauswirthschaft sitzen die Dienstboten ruhig auf Sesseln aus weichem Holz und trinken Punkt fünf den Jausenkaffee aus dicken weissen Schalen.
Und wenn einst Alles in Trümmer sinkt und Asche, wird sich aus dem Schutt des Hauses noch das hellbraune Rauchwölkchen des Dienstbotenkaffee's friedlich emporschlängeln!
Die Dienstboten! Hasserfüllt verlassen sie im Frühjahr die Stadt und ziehen mit stupider Hoffnung in die Wälder, in die Berge – – –.
So verlassen sie hasserfüllt im Herbst das elende Land und ziehen mit stupider Hoffnung in den Stadtkerker ein –.
Die Wohnung schläft, eingehüllt in graue Tücher und moosgrünen Organtin, ungewaschen, unfrisirt, im dumpfen Schlaf des Naphtalin-Rausches.
Plötzlich rasseln im Oktober die weissen Jalousieen hinauf.
Die Hausfrau betrachtet die Schläferin mit feindlichen Blicken: »Dich zu neuem gemüthlichem Leben erwecken, dumpfe Sybaritin – – –?!«
Jedesfalls bindet sie sich das rothseidene Tuch um den Kopf – – –.
Fräulein Margarethe sitzt in ihrem Zimmerchen mit der kühlen Oktoberluft, den dunkelbraunen Tapeten mit den tausend gepressten goldenen Chrysanthemen und dem staubigen hellbraunen Thonofen mit den Goldlinien.
Auf ihrem Antlitz liegen die Farben des »pleinair«. Sie schält mit einem goldenen Messerchen eine Isenbartbirne und reiht die feuchten saftigen Stückchen auf ein weisses Tellerchen. Dann steckt sie eins nach dem anderen in den Mund, lässt sie zerschmelzen, vergehen und feiert eine edle stille Orgie der Geschmacksnerven.
Um sie herum tobt die Schlacht.
Thüren donnern, krachen, graue fetzige Standarten fliegen, das Regiment »Milchbau« stampft todesmuthig heran – – –.
»Stossen Sie nicht den Thüranstrich ab – –« schreit der Feldherr mit dem rothseidenen Helme und ist, wie man sich auszudrücken pflegt, »überall und nirgends« – – –.
In ungeheurer Ruhe sitzt das junge holde Geschöpf in seinen Zimmerchen mit der kühlen Oktoberluft, den dunkelbraunen Tapeten mit den tausend gepressten goldenen Chrysanthemen und dem staubigen hellbraunen Thonofen mit den Goldlinien.
Die Birne auf dem weissen Tellerchen ist verschwunden – – –. Das junge Mädchen erhebt sich langsam, geht zum Fenster, stützt die Ellbogen auf und den Kopf in die Hände – – –.
Dämmerung.
Drüben, an der riesigen braunen Wand des Hauses schimmern hellerleuchtete Fenster.
Weissgrünes Leuchten vom Auerlicht, goldgelbes von den kleinen elektrischen Glasbirnen, mattes flackerndes vom traurigen Gas, rosenrothes und flaschengrünes von den riesigen seidenen Schirmen der englischen Stehlampen – – –.
Von den Stadtgärten und Wiesen zieht ein matter Duft in die Strasse herein – –.
Wie Land-Melancholie, wie ein letzter Gruss vom Sommerfrieden – – –!
»Wo ist mein Bett, meine Decke, mein Polster, mein Plümeau – – –?!« sagt das Fräulein und wendet sich nach dem Stubenmädchen um.
»Ich werde heute zeitlich schlafen gehen, ich bin müde – – –.«
Sie hat feucht schimmernde Augen – – –.
Allmählich verstummt der Donner der Geschütze und das Regiment »Milchblau« zieht ab.
Der Abend senkt den Frieden über das Schlachtfeld. Der siegreiche Feldherr nimmt das rothseidene Kopftuch ab und die Lagerfeuer der Lampen und Kerzen erglänzen durch die stille Nacht – – –.
Das Fräulein träumte: »Adieu Sommer – – –!«
At Home
von Peter Altenberg
Veröffentlicht / Quelle:
Wie ich es sehe 1896 / 1904; See-Ufer (Studien-Reihe)
Prosa in Kategorie:
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Noch mehr von der Persönlichkeit → Peter Altenberg