P.A. lehnte an einer gelben glänzenden Marmorsäule des Tanzsälchens und betrachtete die jungen Mädchen.
Er dachte: »Diese gemachte Lustigkeit – – –! Wie kann ein Mädchen lustig sein, sich amüsiren, wenn sie nicht schön, fast tadellos ist – –?! Wie kann sie froh sein, wenn sie nicht fühlt: »ah, ich gefalle, ich bin sehr hübsch, ich bin ein kleiner Mittelpunkt, ich halte Cercle wie eine Prinzessin – – –«?!«
»Herr v.S., bitte, wer ist diese junge Dame?!« sagte er.
»Teresa K. – – soll ich Sie vorstellen?!«
»Danke – – –.«
Später sah er sie in einem Haine von Orangenbäumchen sitzen. Sie hielt Cercle wie eine Prinzessin –
Als sie »Sir Roger« tanzte, lehnte er wieder an einer gelben glänzenden Marmorsäule.
Er dachte: »Diese gemachte Lustigkeit – – –!« Und dennoch war sie schön, fast tadellos – – –.
Er dachte: »Teresa K., mit deiner müden Gracie, ritardando, in dieser »Circus-Frechheit« des Sir Roger – Teresa K.!«
Plötzlich glitt sie aus, fiel nieder – – –.
Ihr süsses wunderbares Antlitz nahm den Schmerzenszug der Madonnen an. Es war wie wenn sie sagen würde: »O, ich passe nicht hierher, ich weiss es – –. Aber wohin passe ich denn, bitte?! Vielleicht bin ich doch nur für das Vergnügen geschaffen und kann ihm nur nicht Stand halten – – –.«
Bald lächelte sie wieder, flog hin, duckte sich auf die Kniee, klatschte in die Hände, freudig und erhitzt – – –. Ihr Antlitz schimmerte feucht, aber es blieb bleich – – –.
P.A. lehnte an der gelben glänzenden Marmorsäule: »Mit Dir, Edle, Wunderbare, in einer lieben häuslichen Stube zu sitzen und über die Enttäuschungen des Lebens zu sprechen, über den Sommer und über den Herbst, über Kinderseelen und Dichterseelen – –! In stiller sanfter Begeisterung zu sagen: Ich liebe die Japanische Kunst und ihre Vögel, ihre Blumen, ihre Farben, ich liebe die Buchenwälder im Oktober, die christliche Begeisterung des Léo Tolstoi und die »Musik-Gedanken« des Parsifal – – –!
Aber da stehst Du in der Circus-Frechheit des Sir Roger – – –!«
Er lehnte unbeweglich an der gelben glänzenden Marmorsäule, bis der Ball zu Ende war und die elektrischen Glühlichter verlöschten.
Zwei Jahre lang sagte er: »Mein Ideal ist Teresa K. – – –.«
Das kam ihr zu Ohren.
»Warum lässt er sich nicht vorstellen?! Fürchtet er sich vor mir??«
Im dritten Jahre, im Sommer, auf dem blaugrauen See, unter der weissen sonnenheissen Plache des Salondampfers, wurde er ihr vorgestellt.
»P.A. – Teresa K.!«
Sie sprachen mit einander.
Sie sagte: »Ich liebe den See nicht, ich liebe das Lawn-tennies – – –. Ich kann es Stunden lang spielen, Tage lang – – –.«
Er erwiderte: »Ich liebe das Lawn-tennies nicht, ich liebe den See – –. Ich kann ihn Stunden lang betrachten, Tage lang – –.«
»Da passen Wir zusammen« sagte sie lächelnd, »Wir ergänzen Uns – –!«
Eines Abends sass er bei ihr, in ihrem Zimmer.
Draussen regnete es und der See brauste an die Ufer – – –.
Er sprach über die Enttäuschungen des Lebens, über den Sommer und über den Herbst, über Kinderseelen und Dichterseelen – – –. Er sprach über Japanische Kunst, über die Buchenwälder im Oktober und die Musik-Gedanken des Parsifal.
Sie dachte: »Wir ergänzen Uns – – –. Ich denke Nichts und Du denkst Alles – – –.«
Draussen regnete es und der See brauste an die Ufer – – –.
Sie sass an ihrem kleinen Tische und stützte den Kopf in die Hände.
Was war sie, was – – –?!
Sie spielte gern Lawn-tennies und tanzte gern Sir Roger. Es war eine Sehnsucht in ihr nach naturgemässer mechanischer Bewegung, die das Blut an die Oberfläche treibt und diese rosig macht und die müden Nerven in eine Art von stürmischen äusseren Rausch versetzt.
Hie und da träumte sie: »O, ein schwarzes seidenes, rund ausgeschnittenes Kleid mit entblössten Schultern und einem breiten, riesig breiten Gürtel aus Reihen von milchblauen durchscheinenden Glasperlen – – –! Oder ein heliotropefarbiges seidenes mit einem Gürtel aus Wachsperlen oder ein weissblaues mit Bronzeperlen, oder gar ein schneeweisses mit granatrothen Perlen!«
Das waren die »Traum-Phantasieen« – – –.
Oft dachte sie: »Bin ich schön oder hübsch, schön oder hübsch – –?! Diese Männer lügen! Sie könnten es so sagen, dass es den Zweifel tödten würde. Sie müssten es schweigend sagen. Aber Sie flüstern es mit einer affektirten vibrirenden süsslichen Stimme: »ah, Fräulein – – –.««
Einmal ging sie mit diesem jungen Herren da spazieren. Es war ein kühler Abend und Nebel. »Oh, ein Monsieur wird sich verkühlen« sagte sie und band ihm ihr weisses seidenes Tuch um den Hals.
»Sie sind so gut, so aufmerksam« sagte der junge Mann, der die geliebte Hand an seinem Halse vorbeistreifen fühlte.
»Das ist doch das Wenigste, was wir für Die thun müssen, die zu uns halten. Wenn Sie krank werden und sterben, können Sie mir nicht mehr den Hof machen« sagte sie lächelnd.
Aber gleich setzte sie hinzu: »Sehen Sie, so Eine bin ich – –! Nein, es ist ein dummer Scherz, es ist unanständig von mir – – –. Bitte verzeihen Sie mir!«
Ihr Leben zog an ihr vorüber, dieses Leben, das die Seele in kleine Stücke zersplitterte und auseinander warf, statt alles Gute und Weiche zusammenzuhalten für – – –, für was, das wusste sie nicht.
Sie sass da und sann – – –.
Er aber blickte hin und seine Seele dichtete: »Guiccioli Teresa – – –!«
Wie im Künstlergeiste brannte eine Welt in ihm voll Liebe und Begeisterung, entzündet und genährt an eigenem Feuer – – –.
Und was war sie?!
Sein eigenes, das aus seiner Fülle selbst in die Welt hinausgestellte »Lebendige-Natürliche« in ihm, sein eig'ner Theil, der, losgelöst von ihm und seiner Denk-Last, in reiner Kraft nun in die Sterne zog – –.
Sie aber sass da und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und die edle weisse Stirne in die Hände und horchte in die leere Welt hinaus – – –.
Und wie sie so dasass und hinaushorchte in die leere Welt, ohne zu suchen, ohne zu finden – – da verstand er sie.
Es war des Lebens Noth, der Drang des Sein's – –.
Und da erkannte er: »Nicht was Ihr seid, seid Ihr! Doch was Wir dichten, dichtet Ihr in Uns! So seid Ihr uns're Dichter, uns're Dichtung, der Lieder Sänger und das Lied zugleich!
Teresa K., fremd bleibst Du mir und fern – – und doch mein Lied!
Nicht was Ihr seid, seid Ihr – – –!
In Uns allein feiert Ihr ewig euer heiliges Fest der Wiederauferstehung aus des Lebens Noth!
Aus unsern weissen Flammen steigt Ihr auf – –! In unsern Seelen werdet Ihr geboren!«
So sann er – – –.
Da schaute sie auf, weil es so still geworden war und sie sah – – – einen Menschen!
Leise, leise fühlte sie die göttliche Kraft, die von ihr ausströmte in tausend weissen Strahlen und die in geheimnisvoller Zeugung den »Gott Mann«, wenn auch für Augenblicke in Ihm schuf – – –. Und da empfand sie: »Nicht was Ihr seid, seid Ihr!
Durch Uns allein feiert Ihr ewig euer heiliges Fest der Wiederauferstehung aus des Lebens Noth!«
Sie sass da, gerade, aufrecht, mit ihrem schönen edlen Haupte und streckte die Arme auf der Tischplatte aus und spreizte die schneeweissen Finger aus und lächelte – –.
Sie war Weib-Königin geworden!
Draussen regnete es und der See brauste an die Ufer – – –.
und T.K
von Peter Altenberg
Veröffentlicht / Quelle:
Wie ich es sehe 1896 / 1904; See-Ufer (Studien-Reihe)
Prosa in Kategorie:
Thema / Klassifikation:
Noch mehr von der Persönlichkeit → Peter Altenberg