Im Zug nach Stralsund

Bild von Lena Kelm
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Ein Sonntag im Hochsommer, Bahnhof Berlin-Südkreuz. Der Regionalzug,
in dem meine Tochter und ich sitzen, fährt Richtung Ostsee los. Alle Plätze
sind besetzt, die Gänge voll, überall stauen sich Koffer und Rucksäcke.
Ein älterer Mann mit Schlapphut und kurzen Khakihosen platziert seine
Angel hochkant zwischen dem vorderen Sitz. Das junge müde Paar vor
ihm protestiert nicht. Ein paar Leute unterhalten sich leise. Plötzlich dröhnt
eine Stimme wie ein Reibeisen durch das Abteil. Es ist der Mann mit dem
Schlapphut vor uns, er telefoniert.

„Hallo, na, du! Ick sitze im Zug Richtung Stralsund. Na klar doch, die
hab‘ ick immer bei mir. Ohne meine Angel jeht jar nüscht. Alle Jahre
wieder. Ha-ha! Susi? Sitzt neben mir, lässt grüßen. Weißt du det von Hotte?
Der ist Donnerstag, nee, wart‘ mal, Mittwoch, ach, egal, tatsächlich uff die
Schnauze jefallen. Da sagste nüscht dazu, wa? Na, der hat sich das
Nasenbein gebrochen, den Kopf angeschlagen, uff det Bein ist er auch
noch jestürzt. Na klar! Die sagen Faktur oder so.Fraktur? Jut, Fraktur.
Jebrochen uff jut deutsch.“

Einige Fahrgäste kichern.

„Und was ist? Hotte ruft mich an, ick soll kommen. Sag ick, ruf doch
Heidi an. Nee, die ruft er nicht an, so wie er da liegt. Da sagste
nüscht dazu, wa? Ja! Ick bin hin, hab‘ mir das erst durch ‘n Kopf jehen
lassen, flieje doch nicht gleich hin. Dass ick auch noch uff die Schnauze
falle. Na ja, ick komme, hab‘ ja den Schlüssel, da liegt er wie so ‘n
Jammerlappen, wie ‘n Fisch ohne Wasser nach Luft japsend. Und
ick soll den hochheben. Freundchen, sage ick, haste denn die
Feuerwehr jerufen? Nö, hat er nich‘, soll ick machen. Da sagste nüscht
dazu, wa? Klaro, man hilft als Freund. Aber hochheben kann ick dir
nich‘, bin nicht mehr der Cowboy von jestern.“

Das Kichern wird lauter, breitet sich aus. Keiner schläft mehr. Ärgerlich!
Aber die Leute amüsieren sich über den Mann mit Schlapphut.

„Ick rufe die 112 an, die lassen sich Zeit, sag ick dir, fünfundzwanzig
Minuten. Da sagste nüscht dazu, wa? Ihr Spruch heißt wohl, so schnell
stirbt es sich nicht. Habt ihr im Stau gestanden? Oder die „zu spät,
zu spät“ nicht einjeschaltet? Die reden nicht, die Retter, messen
Puls, Blutdruck, so ‘ne Sachen machen die – und ab mit Hotte uff die Lieje.“

Aus dem Kichern wird Glucksen, unterdrücktes deutliches Lachen. Die
Reisenden können weder den Wagen noch den Zug verlassen.
Überall ist es voll. Die heitere Stimmung nimmt zu. Der Mann
bekommt davon nichts mit. Das Lachen ist ansteckend. Nun merkt
er doch etwas und hält sich das andere Ohr zu, er redet weiter.

„Jetzt liejt er mit Jips uff der Couch. Nee, Heidi ist bei ihm. Da sagste
nüscht dazu, wa? Jetzt ist Heidi jut jenuch. Und soll ick dir wat sagen,
der ruft wieder die Feuerwehr und kriegt die Rechnung, ick sag ihm,
nimm ‘n Taxi, wird billiger. Nee, er weiß es besser. Der hört nicht uff
mir. Jetzt hat er den Salat. Ist ja dein Jeld, sage ick, ist doch nicht
mein Bier. Da sagste nüscht dazu, wa? Ist nicht wie früher, wurdest
rumkutschiert, hast keine müde Mark bezahlt. Das war einmal. Jetzt
musste blechen.“

Die Leute im Wagen brechen in schallendes Gelächter aus.

Plötzlich sagt der Mann mit Schlapphut: „Ick muss uffhören.
Das ist mir hier zu laut.“

„Schade“, sagt der junge Mann neben mir„ bis Stralsund ist es noch weit.“

Veröffentlicht / Quelle: 
Im Prinzip gibt es alles - Erzählungen

Interne Verweise

Kommentare

17. Feb 2018

Det war jut wa . Ick will mehr.

LG Micha

18. Feb 2018

Jerne, kriegste!

Berliner Grüße,
Lena

17. Feb 2018

So manche Reise(Stunde) wird verkürzt und heiter,
wenn man sie mit Gesprächen würzt:
Drum Lena, mach so weiter.

Liebe Grüße,
Annelie

25. Feb 2018

Liebe Annelie,
vielen Dank für die poetische Motivation. Tut sehr gut!

Alles, alles Liebe,
Lena