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Hast Du das verstanden, Assistent?“
„Offen gestanden, nicht ganz …“
Verständnislos sein Haupt über so viel karrierehinderliches Personal schüttelnd, fühlte sich der Supervisor bemüßigt, mit zornerfüllter Stimme einzugreifen.
„Ich habe Dich gewarnt: Herr Bidnyy Posiyaty, ich mahne Sie hiermit mündlich wegen Insubordination ab. Falls Sie Ihr Verhalten nicht ändern, erfolgt nach den Arbeitsschutzgesetzen vom 30.2.2022 der BRD die fristlose Kündigung, die ebenfalls mündlich ausgesprochen werden kann. Sie haben das Recht zu schweigen und auf keinen Anwalt. Wenn Du jetzt nicht das Maul hältst, dann fliegst Du! Ich erwarte jetzt für alle drei Blöcke exakt 300 Megawatt! Aber jetzt zackig!“
Unter den kritischen, aber wenig kompetenten Blicken der herrschenden Klasse gelang dem Abgemahnten ebenfalls ein unzureichendes Resultat zu erzielen.
„…Blabla… Wir stehen jetzt bei genau 299 für A, 300 für B und 300,1 für C. Besser geht es nicht …“
Mit einem ängstlichen Seitenblick auf den Herrn der Qualität wandte sich Dupu mit vor Zorn bebender Stimme an den ‚aufsässigen‘ Assistenten.
„Eine ungeheuerliche Schlamperei, bin ich nur von Idioten umgeben! Du und die Made werden das jetzt so lange wiederholen, bis das Ergebnis stimmig ist. Lieber Dr. Pizer, verzeihen Sie die Inkompetenz des niederen Personals.“
Großmütig gewährte der qualitötende Sozialpsychologie leicht nickend Vergebung und betrachtete vergnügt im weiteren Verlauf die Bemühungen der arbeitenden Bevölkerung.
Nach drei Versuchen, orchestriert von hämisch unqualifizierten Geisteswitzen sozialpsychologisierter Qualitätskontrolle und dem verächtlich wütenden Gegrunze wachleitender Karrieristen, gelang es dem nuklearen Proletariat tatsächlich, die magische 300 Grenze zu erreichen.
„Sehr geehrte Doctores, der Adler ist gelandet! Soeben haben wir alle Reaktorblöcke auf 300 Megawatt stabilisiert, wie es uns Dr. das Gesetz in Gestalt von Dr. Pizer befahl.“
Da es der gemaßregelte Assistent vorzog zu schweigen, übernahm Kamikadze die testende ‚Made‘ es, die weitere Konversation mit der akademischen Noblesse zu betreiben.
„Es geht doch! Der werte Herr Kollege Supervisor mag realisieren, dass die unteren Schichten eine harte Hand brauchen. Kharakiri, ich mag übrigens Deinen devoten Tonfall. Weiter so und Du darfst als Weihnachtsgratifikation beim nächsten Castortransport im Behälter mitfahren.“
Wie immer, realisierte das personifizierte Qualitätsgesetz nicht die sarkastischen Nuancen der arbeitenden Klasse, zumal er auch solches dem ‚stupiden Lumpenproletariat‘ nicht zutraute.
„Zu gütig, Ihre Doktorschaft. Soll ich jetzt weitermachen?“
„Da ich als Humanist ein Herz selbst für die Canaille habe und ich meinen Termin im Kontakthof für Akademiker mit Niveau ungern versäumen möchte, gewähre ich Dir großzügig, dass Du den Test jetzt ohne explizite Erwähnung Deiner dümmlichen Testschritte alleine ausführen darfst. Du nennst mir einfach nur wesentliche Eckpunkte und beeilst Dich gefälligst! Der werte Herr Kollege Dupu Otvir wird mir doch da sicher zustimme?“
Der bisher aus Karriereschutzgründen in goldiges Schweigen gehüllte Supervisor sah endlich wieder Licht am Ende des Tunnels.
„Selbstverständlich, lieber Dr. Chornyla! Ich kann gut verstehen, dass Sie einen Termin außerhalb der Stoßzeiten im Offizierspuff nicht versäumen wollen. Darf ich Ihnen Domina Lederhexe empfehlen, die hat so spezielle Techniken drauf.“
„Vielen Dank, werter Kollege Dupu, aber ich habe schon eine Verabredung mit Lolita. Technik ist nicht so sehr mein Fall. Bei aller angenehmer Plauderei sollten wir uns jetzt beeilen, da ich die Kleine ungern warten lassen möchte und schon im Voraus bezahlt habe.“
„Schon klar, lieber Dr. Chornyla! Also los, die Hilfskeule möge sich beeilen und nur das Wesentliche mitteilen. Was grinst der eigentlich dauernd so impertinent?“
„Weil ich mich so freue, unter der ungewöhnlich kompetenten Anleitung des großen Dr. Pizers arbeiten zu dürfen, oh weisester aller Wachleiter!‘
„Unverschämte Made, ich …“
„Ich unterbreche Sie nur ungern, werter Herr Kollege, aber die Zeit rennt! Das Lumpenproletariat kann sich eben halt nicht gewählt ausdrücken, da kann man schon etwas missverstehen. Ich bin sicher, Kharakiri ist ein durchaus serviler Knecht. Aber jetzt Beeilung, bitte, es pressiert!“
Während sich der sanft gerügte Supervisor leicht schmollend mit der aktuellen Tageszeitung, in dessen Inneren sich ein bekanntes Pornomagazin für spielende Jungen befand, in eine Stille Ecke des Kontrollraums zurückzog, beobachtete der große Doktor die für ihn unverständlichen Aktionen des Tester; freilich sollte man fairerweise hinzusetzen, dass ‚Ihre Akademikerschaft‘ von wenig väterlichen Gedanken an die begehrte Lolita ein wenig abgelenkt war. Der technische Assistent wiederum erbat verwegen von dem in erotischen Sphären verweilende Wachleiter demütig seine Pause, die dieser ihm auch mit einem widerwilligen Nicken gewährte, ohne von seinen pornographischen Studien aufzusehen.
„So, ich habe nun die Leistung auf unter 30 Megawatt reduziert und schalte nun das Reaktorenkühlungssystem ab. Der weise Doktor mag sich keine Sorgen machen, das kann dann nach einem Reboot des Systems wieder aktiviert werden. Danach fahre ich die Reaktorblöcke auf maximale Leistung mittels Turbostart hoch. Natürlich nur, wenn es dem geehrten Herrn Doktor recht ist?“
„Mir gefällt Dein kriecherischer Tonfall wirklich ganz ausgezeichnet, Kharakiri. Meinen Segen hast Du. Möchte vielleicht der werte Kollege Wachleiter noch etwas dazu bemerken?“
„Nö, macht mal.“
Der mit gepresster Stimme antwortende Dupu verschlang gerade mit gierigen Augen ein besonders künstlerisches Bild einer bekannten Schauspielerin im Nudistenlook und hatte das Geschehen nicht ganz realisiert.
Mit einem schiefen Lächeln, das vermutlich dem der Sphinx ähnelte, bevor sie einen Rätselunkundigen verschlang, machte sich der Tester an sein unheilvolles Werk, sorgsam beobachtet von der Qualität, die so viel von dem Treiben verstand, wie die Katze vom Kalender. So nahm denn auch das Verhängnis seinen Lauf, das weder der pornographierende Ochs noch der zuschauende Leitesel aufhalten konnten.
„Mein Gott, Kamikadze, bist Du irre geworden? Verdammt Wachleiter, halte diese Verrückten auf! Oh Gott, wir sind tot!“
Ungefähr 20 Minuten waren vergangen, begleitet von einem rasanten Anstieg von Temperatur und Druck in den Reaktorblöcken; tatsächlich überschritten die Werte bereits das Doppelte des offiziellen Maximums. Leicht schlaftrunken hatte der technische Assistent den Kontrollraum betreten und erlebte einen Augenblick hysterischen Erwachens, nachdem sein Blick auf die Kommandostation fiel.
In maßlose Wut durch die unwillkommene Störung versetzt, schleuderte der Herr des Kontrollraums seine pornographisch gepimte Zeitung in die Ecke und erhob seinen unförmigen Körper.
„Ich habe Dich gewarnt, jetzt ist Schluss! Morgen kannst Du Dir Deine Papiere holen!“
„Für uns wird es kein Morgen mehr geben, Du dämlicher Arsch!“
„Dir Assi hat man wohl ins Hirn geschissen! Das gibt Knast, ich wähle jetzt die ‚911‘ und …“
Eher zufällig fiel der Blick des Supervisors auf die ausflippenden Anzeigen und ließen ihn abrupt verstummen. Derweil entstand im Raum der wenig effizienten Kontrolle ein gewisser Geruch durchschmorender Kabel, der wiederum den nichts raffenden Qualitöter dazu motivierte, die Situation durch eine heitere Bemerkung zu deeskalieren.
„Diese Arbeiter, wie sie stinken!“
Zum ersten Mal ignorierte Dupu Otvir panikbedingt seinen arrogant ignoranten Gönner.
„Oh Gott, sofort die Notkühlung einschalten! Nein, sofort Notfallabschaltung! Warum wurde der verdammte Alarm nicht ausgelöst?“
„Das inklusive des Notfallkondensators haben wir alles gekilled, Du Schwachkopf! Wir gehen gleich hoch!“
„Dämlicher Assi, mach doch endlich etwas!“
„Dein Wunsch ist mir Befehl, Du dumme Sau!“
Mit einem gewaltigen Kinnhaken beförderte Bidnyy Posiyaty seinen ‚Doktor Chef‘ auf die Bretter und fing an, wild auf ihn einzutreten.
Zufrieden lächelte Kamikadze Khakiri. Besser hätte sein Selbstmord gar nicht klappen können. Sein ehemaliger Kollege tat ihm zwar leid, aber der Hass auf die ‚Beschränkte Nukleargesellschaft ohne Haftung‘ im Allgemeinen und auf deren Repräsentanten im Speziellen überwog bei weitem. Fakt war einfach, dass Kharakiri den Verstand verlor, als seine geliebte Frau an Krebs verschied. Da durchaus eine rettende Behandlung möglich gewesen wäre, wenn ihm nur die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten, die er durch Jobverlust und Anstellung zum Hungerlohn nicht mehr besaß, steigerten die Rachegefühle des trauernden Witwers in astronomische Dimensionen. Mit dankbarer Miene wandte sich Kamikadze an den mit vor Erstaunen offenem Mund dasitzenden Qualitätsmanager.
„Danke Pizer!“
Zum letzten Mal in seinem Leben missinterpretierte der Meister qualitativer Prozesse die Situation.
„DOKTOR PIZER, bitte! So viel Zeit muss …“
Die im Sekundenintervall explodierenden Reaktoren unterbrachen mit nuklearer Vehemenz unverschämterweise die Ausführungen des ‚Qualitäters‘ und vaporisierten Kontrollraum samt Insassen plus einige Millionen Unschuldiger.
Euch allen sei ein angenehmes und nicht zu explosives Wochenende gewünscht.
Cheerio
JU