Ruth - Page 3

Bild von Lou Andreas-Salomé
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recht stark gefesselt?«

»Das hat sie wohl. Das gelingt doch wohl jeder so reizenden koketten Frau.«

»Junge Witwen hält man immer für kokett. Von Warwara würd' ich es nicht denken. Glaubst du das von ihr?«

Er sah seine Frau verwundert an.

»Ja natürlich. Alle schönen Frauen sind es. Auch ist ihr nicht der geringste Vorwurf daraus zu machen. Das gehört zu ihnen, wie die Schönheit. Das Gegenteil wäre fast stilwidrig. – Und es ist gut – vielleicht ein Grund, warum die Schönheit keinen tiefern Schaden anstiftet. Adieu, Bel; es ist Zeit für uns zum Bahnhof.«

Sie hielt ihm das Gesicht zum Kusse hin. Wie er sich aber zu ihr niederbeugte, umfing sie seinen Hals mit beiden Händen und hielt ihn einen Augenblick, zu ihm aufschauend, fest.

Er hielt geduldig still.

»Du!« sagte sie lachenden Mundes, ließ sich küssen, und ließ ihn los.

Erik und Jonas waren schon fortgegangen, und Gonne räumte eifrig und geräuschvoll in den Stuben auf, als Klare-Bel noch über das letzte Gespräch nachsann. Sie war wahrhaftig nicht grüblerisch und versonnen angelegt, alles andre eher. Aber wenn man ewig so stilliegen mußte, immer auf dem Rücken, und die Augen an der geweißten Zimmerdecke, so geriet man zuletzt auf alles mögliche, und auch auf das Nachdenken. An sich selbst dachte nun Klare-Bel eigentlich nie, stets nur indirekt. Sie kannte im Grunde nur drei ernstliche, sozusagen hauptsächliche Gedanken, die Sammlung heischten: Erik, Jonas und die gefürchtete Unordnung im Haushalt. Aber es war merkwürdig, wie viel man aus den dreien machen konnte, wenn man sie geschickt kombinierte. Man hätte meinen können, es seien tausend.

Erik hatte also vor hin gesagt: die Schönheit stifte keinen tiefern Schaden an. Ja, das war gewiß ein rechtes Glück. Denn Erik war sehr empfänglich für die Schönheit. Schon, als sie noch gesund umherging, beunruhigte es sie. Sie selbst war glücklicherweise sehr schön, aber sie war blond, und ihr schien es, als ob ihn die Braunen ebenfalls interessierten. Gewiß hatte er sich ungezähltemal etwas verliebt. Aber nur ein einziges Mal erschrak sie, – schrak förmlich auf aus aller bisherigen Freude. Während des zweiten Jahres auf der Insel. Da fing er an, sie so viel allein zu lassen; manchmal war es ihr, als ob sie ihm nicht mehr wie sonst genüge. Er wurde auch wortkarger. Und endlich – ja endlich tat sie dann, was er nie im Leben erfahren durfte: sie ging ihm heim ich nach.

An einem weichen, dunkeln Aprilabend war's. Das Meer lag regungslos, und am Himmel stand das erste Frühlingsgewitter. Sie sah ihn aus einem kleinen Hause, hart an der Düne, heraustreten und an ihr vorbei, in Gedanken verloren, heimgehen. In dem Häuschen wohnte die merkwürdigste Frau auf der ganzen Insel. Bei allen stand sie in hohem Ansehen wegen ihres Verstandes, wegen ihrer Haltung in schweren und wechselvollen Schicksalen, wegen eines seltenen Schatzes von Weisheit und Erfahrung, aus dessen Fülle sie schöpfte, wenn sie ein feiner, liebevoller Menschenkenner zum Sprechen brachte.

Es war Frau Larsen, einen lahme sechzigjährige Frau.

Seit diesem Abend hegte Klare-Bel ein unbegrenztes Vertrauen zu ihrem Manne.

*

Erik verbrachte die ersten Morgenstunden mit Jonas in dessen Gymnasium; gegen Mittag begab er sich in die große Hauptschule für Mädchen, die ziemlich entfernt lag.

Er war in einen vorüberfahrende Pferdebahn eingestiegen, und an einer der letzten Haltestellen sprang ein Kollege zu ihm ein. Dieser sah erhitzt aus, behielt nach der Begrüßung den Hut in den Händen und fächelte sich mit dem Taschentuch.

»Wie geht es, Herr Matthieux?« fragte er Erik, hastig atmend, »hier in der Stadt ist der Mai schon unerträglich, – wirklich, – wenigstens beim Gehn. Und dabei wagt man nicht, den Sommerüberzieher abzulegen; jeden Augenblick erwartet man wieder von der Newa her einen eisigen Windstoß. Ohne Übergänge, ohne Normaltemperatur. Ein mörderisches Klima.«

Er begleitete seine Worte mit so vielen Gestikulationen, daß man den Eindruck empfing, er werde sich nie im Leben wie der abkühlen. Erik betrachtete mit raschem Blick den ihm gegenübersitzenden ungefähr gleichaltrigen Mann, auf dessen entblößtes, bereits stark gelichtetes Haupthaar die grelle Maisonne wie spöttisch von draußen hereinsah.

»Ob das meine Zukunft hier ist? – der Mai unerträglich!« dachte er, und sagte laut: »Ich muß gestehen, ich habe eine Schwäche für diesen russischen Frühling. Er mag unartig sein, vielleicht launischer und gefährlicher als jeder andre, aber dafür ist er ein Wunder. Er zögert so lange, und kommt dann so unerwartet und so unwahrscheinlich schön, daß man seinen Augen nicht traut.«

»Ja ja. Wenn man Augen dafür behalten kann. Ich reise nach Schulschluß immer nach Deutschland zurück und erhole mich von den russischen Windstößen und Verhältnissen. Ich schreibe an einem Werk – immer in den Ferien in Deutschland. Das ist meine Erholung. Da bleibt für den Sommer wenig übrig. So geht es eben uns allen – allen, die wir uns geistig überarbeiten müssen.«

Erik schwieg einen Augen blick, dann erwiderte er, wie wenn er einen stummen Gedanken beende, ruhig: »Ich weiß mich freilich nur sehr zum Teil als ›Geistesarbeiter‹.«

»Ach, Sie meinen doch nicht, weil Sie da drüben, – weil Sie etwas lange in ländlichen Verhältnissen –? aber ich bitte Sie, bei Ihrem Wissen und Ihrer Begabung! Warum sollten Sie nicht auch noch ein Werk schreiben?«

Erik lachte.

»Nein, so meint ich es nicht. Nicht daß ich drüben vielleicht ein wenig verbauert sein könnte. Nicht den Mangel an Büchern. Denn wir – der Lehrer vor allen Dingen – arbeiten doch vor wiegend mit Menschenmaterial. Wir gehören schon einigermaßen außerhalb der Gelehrtenstube, scheint mir. Mitten in das Leben hinein.«

»Hm!« machte der Kollege, »ich finde, an die Menschen kommt man doch nur sehr oberflächlich heran. Es bleibt wirklich nur die Schreibtischarbeit. Aber sagen Sie doch mal: man sprach davon, daß Sie vor ein paar Monaten eine Reihe von Vorträgen halten wollten? Was war es damit?«

Eriks Augen verdunkelten sich.

»Nichts war es damit!« sagte er kurz, »man hat mir den Saal verweigert!«

»Sehen Sie, sehen Sie! Das kommt von Ihrer unbequemen Auffassung des Lehrerberufs außer halb der Arbeitsstube. Man fürchtet, daß Sie ein wenig lebhaft werden könnten. Wir gehen hier ja eben alle mit gebundenen Händen, – Sie wissen's doch! Aber mit einem sollten Sie sich wirklich trösten: es gibt hier ja gar keine Menschen, unter denen irgend

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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