Von Edgar 4: El Dorado

Bild von Klaus Mattes
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Genau betrachtet war Hartmut in Edgars Leben gerade mal die zweite Beziehung. André hatte sein Erster geheißen, das lag weit zurück. Auch Hartmut war wieder einer, der an sich zu alt war. Wie das immer kam, verstand Edgar nicht. Die Unterstellung, heimlich halte er Ausschau nach Vaterersatz, stach in Hartmuts Fall erst recht nicht. Mit seinen achtunddreißig war er zu jung, als dass er Edgars Papa hätte abgeben können. Und zu schwul, wenn man ihn näher kennen lernte. Obwohl er anfänglich so nicht wirkte - mit den verwaschenen Sweatshirts und Jeans, seinem Vollbart, dem Mathematiklehrer-Job, der Mitgliedschaft im Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club und seinem Faible fürs Wandern in Cornwall.

Es existierte irgendwo ein Foto aus Hartmuts Wehrdiensttagen, auf dem er trotz des Grünzeugs wie die verzauberte Prinzessin wirkte. Edgar, der den Bartfimmel der Bärentypen nicht teilte, hatte, auf dieses Foto hin, mehrfach verlangt, Hartmut sollte, nach all den Jahren, den Bart jetzt wieder abrasieren. „Du siehst dann jünger aus.“ Aber Hartmut hatte gemeint: „Ich lass dich sein, wie du bist. Und du lässt mich ich sein. Das wird das Beste sein.“ Als würden die Gesichtshaare was aussagen.

Zwar war Hartmut Lehrer, er stand jedoch nicht auf Knaben, was nur von Vorteil war, wenn der, na ja, Ehemann mit reifendem Gemüse und ein paar Nymphomaninnen das halbe Leben verbrachte. Nein, auch in Hartmuts Leben war der über zehn Jahre jüngere Edgar ein Ausrutscher.

Man stellte sich auf einen gemeinsamen Trott ein, fing an, die zwei Leben zu vermischen. Schon hatte Hartmut ihm, zum Geburtstag, einen Platz im Stadttheater besorgt, neben seinem, den er seit zehn Jahren belegte. Edgar ging fast immer mit, obwohl er die Wichtigtuerei von Stadttheatern nicht liebte. Oder das der älteren Schwuchteln, die, Sekt in der Hand, es in der Pause prompt immer verrissen. Ach ja, Hartmuts Kumpel, die Lehrer, Ärzte oder auch Theaterinspizienten in Kaschmir oder Leder. Edgar war eben kein Intellektueller, er war Grafiker, hartnäckiger Handwerker, mehr nicht und nicht weniger.

Eines Tages hatte der unsportliche, so sah er auch aus, Hartmut mit Joggen angefangen. Laufen, der Sport für den vom Leben gebeutelten Einzelkämpfer. Edgar war eine Weile mitgelaufen, als gehöre sich das.

„Ich sag nicht, dass ich es nicht gern anfasse“, hatte Hartmut gegrient, „aber ist dir aufgefallen, dass du klein wenig speckig geworden bist? Willkommen im Club der echten Männer, Schmolli!“
„Ich dachte“, sagte Edgar, „wir hätten eine Vereinbarung, dass jeder von uns das Recht hat zu sein, wie er möchte.“

Hartmut fuhr im Frühnebel raus aus der Stadt, obwohl Lehrer sowieso früher auf waren als sie, die Kreativen. Jetzt blieb Edgar im Bett, ließ ihn alleine duschen und frühstücken, stand erst auf, um ihm zum Abschied einen Kuss zu geben.

Auf „Firneis“, Debüt einer österreichischen Gegenwartsdramatikerin, hatte Edgar von Anfang an keinen Bock gehabt. In solchen Schauspielen wurde pausenlos geredet und zwar, als säßen im Parkett alles Debile, die sich nichts denken könnten. Zwischendurch zog einer sich drei Minuten aus, Naziwimpel wurden aufgezogen, Teller zerschlagen, Rocksongs angestimmt von solchen, die es nicht beherrschten. Komischerweise fand Edgar, der zu Hause nie Klassik an hatte, Opern besser. „Boris Godunow“, russisch gesungen, keiner begriff, worum es da oben überhaupt ging, Bataillone von Männern in langen Mänteln und Bärten. Das war großes Kino.

„Firneis“ nun! Eine mit trägerlosem Satinkleid angetane, obwohl das die österreichischen Alpen sein sollten, Schlampe kehrt aus der Hauptstadt zum bierbäuchigen Vater heim. Sie hat herausgefunden, dass der ihren Bruder, der ist tot, missbraucht hatte, als sie Kinder waren. Das sagen sie einem zuerst nicht, geht bis vor die Pause. Die Mutter ist schwachsinnig und schlurft im Hintergrund, hat es gewusst, den Vater aber gedeckt. Der Bruder hat sich umgebracht, nicht, als das passiert war, vor zwei Jahren, in Frankreich, als er gemerkt hat, dass er keine Frau lieben kann. Jetzt laufen sie immer so Ringe im Schnee, sie Cocktailkleid, er im Janker. Sie langt ihm an die Eier und will ihn aufgeilen, weil das zeigen würde, dass er ja auf Kinder steht. Am Schluss bricht er in Tränen aus, fällt in den Schnee und wimmert, dass es ihm leidtut. Ihr Bruder war ein lieber Bub. Er hat alles zerstört, es war nicht recht. Immer hat er sie noch mehr geliebt. Deshalb hat er sie immer verschont. Sie zerdeppert die Enzianflasche auf seinem Schädel. Der Schmarren ist aus.

Stille, dann brach Jubel los, als hätten nicht alle sich zu Tode gelangweilt. Edgar mied Hartmuts Blick.

Hartmut lud ihn zum Essen ein bei Fredo. Fredo war lecker, aber teuer. Grundsätzlich mochte Edgar es nicht, wie sich aber einzuspielen begann, dass Hartmut ihm seine Extras zahlte.
„Lass uns zu Hause relaxen“, sagte er.

Kaum daheim, warf Hartmut einen Blick in die Fernsehzeitung.
„Au Scheiße!“, jaulte er. „El Dorado“ läuft schon seit vierzig Minuten! El Dorado mit John Wayne. Und ich tu mir diesen Schleim an.“

Er mixte sich in der Küche noch eine Apfelschorle zusammen. Das Longdrinkglas in der Hand, schlürfend, lehnte er sich gegen Hartmuts Wanst. El Dorado war ein Western, wie zu erwarten, weil John Wayne ja drin war. Von der Sorte, wo eine Truppe aus mehr oder weniger abgewrackten Guten sich noch mal zusammenreißt, um die Stadt von den Bösen zu retten. Außer John Wayne war Robert Mitchum dabei, mit dem Grübchen im Kinn. Den Film hatte Edgar hundert Mal gesehen, konnte sich allerdings nicht mehr besinnen, wie das weiterging. Er stellte die Schorle auf den Glastisch, sah in die Fernsehzeitung.

„Mensch! Auf RTL fängt in zehn Minuten „To Wong Foo“ an!“
„Das ist James Caan“, sagte Hartmut. Ein Blonder war ins Bild gekommen.
„Hardy, gleich kommt „To Wong Foo“. Der ist gut. Kennst du bestimmt nicht.“
„Hm?“

Er hatte nicht zugehört.
„Sei bitte mal ruhig! Dieser Film ist gut. El Dorado. Einer von den Ewigen.“
„Hast du gesehen, wie lang er geht? Jetzt geht „To Wong Foo“ los. Das ist zum Lachen. Der ist gut. Die Art von „Priscilla, Königin der Wüste“. Diese australischen Tucken, das hast du toll gefunden. Mit diesen ganzen ABBA-Songs.“
„Schmolli, ich will das hier sehen. Quatsch mir bitte nicht rein! Auf RTL läuft ein Tuckenfilm. Ich will Western. Ich war zuerst. Geh ins Arbeitszimmer, guck’s im Kleinen!“

Man sah einen Vater mit

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