Ach, sind Türken oft schön, wenn sie so 20 sind. Dieselben Leute erkennt man fünfzehn Jahre später nicht mehr wieder.
Vor zehn, zwanzig Jahren, als ich noch jünger war und viel freie Zeit hatte, lief ich sommers nachts um halb drei im Park herum, obwohl so gut wie felsenfest stand, dass dort keine Menschenseele zu treffen sein würde. Was es allerdings, mal so gesehen, eher ungefährlich machte. Aber einmal saß in den letzten Stunden der Dunkelheit tatsächlich ein 25-jähriger Türke auf der Lehne von einer Bank, auf der er eine geöffnete Bierflasche, also mögliche Waffe, stehen hatte und sich gerade eine Zigarette drehte. Ich war vorhin paar Mal weiter weg gelaufen und hatte es satt, nicht nachsehen zu dürfen, wer dieser Typ war. Ich bog in den Weg zu ihm ein und sogleich wurde mir mulmig, denn ich merkte, das war ein gänzlich Unbekannter, dem ich hier im Park noch nie begegnet war.
„Was ist? Hast du ein Problem?“
In diesem Ton. Damit man gleich kapiert, zur Not kann er dir auf die Fresse geben.
Ich ließ ihn sein und strich weiter alleine durch die Gegend. Doch bald kam er mir hinterher, angeblich weil sein Feuerzeug nicht mehr ging. Und weil er einen zum Reden brauchte. In einem keineswegs ironischen Ton, vielmehr so glaubhaft neugierig, dass ich die Ahnungslosigkeit beinah irgendwie doch für authentisch hielt, fragte er: „Da kommen immer wieder so Männer her. Die schleichen dann hinten zwischen den Büschen. Wie Geister geht das. Da ist doch was. Kannst du mir sagen, was hier drin geht?“
Seit ich drin war, in dieser Nacht, ich war jetzt eine Weile da, war niemand gegangen oder geschlichen. Wenn andererseits er mehrfach auf dieser Bank gesessen hatte in solchen Nächten, fragte sich, wofür eigentlich?
Ich tat, als verstehe sich, dass er die Umstände nicht kennen konnte und eröffnete ihm, dass bei Dunkelheit die Schwulen herumlaufen und sich abchecken, ob sie es treiben wollen. Meistens geschehe das gleich dort zwischen den Büschen.
Er sagte in etwa Folgendes: „Ja, das ist gegen Gott. Das ist auch gegen die Natur. Wenn ich so wäre, würde ich Angst bekommen vor mir selbst. Aha, so einer bist du. Die Kerle, die sich die kleinen Buben schnappen. Die probieren, sie an die Droge zu hängen, damit sie ihren Körper und auch noch Geld von ihnen bekommen. Aber ich sehe das. Ich durchschaue die Menschen und kann sehen, dass du dennoch ein guter Mensch bist. Ich habe Mitleid. Du bist bestimmt sehr unglücklich in deinem Leben. Komm hier nicht mehr hin, ich warne dich, das ist sehr gefährlich für dich. Diese Stadt ist voll mit bösen Menschen, wenn es Sommer und Nacht ist. Sie töten dich für den nächsten Schuss. Für solche Leute spielt das keine Rolle mehr.“
Es kam nach und nach. In Bruchstücken, jeder Teil wiederholte sich, tauchte bis zum Ende der Unterhaltung etwa viermal auf. Wir standen auch jetzt wieder ganz nahe bei einer Bank, auf die sich nie einer von uns beiden setzte. Wir standen weiter auseinander, als üblich ist. Hatte ich mich vielleicht ein Stückchen in seine Richtung verschoben, so rückte er auf den vorigen Abstand, als ob er sich fürchtete vor mir. Auch ich hatte Angst. Zum Beispiel trug er noch die Flasche mit sich herum. Ich dachte, besser lasse ich ihn reden, als dass ich ihm den Rücken zukehre und gehe. Auf einmal merkt er, dass weit und breit niemand ist, der mir zu Hilfe kommen könnte. Wegrennen half gewiss nicht, er hätte mich eingeholt.
Abgesehen davon, dass er jung war, war er auch noch ein gutes Stück größer als ich, auffallend groß eigentlich für einen Türken. Ziemlich fleischig, also nicht so zierlich, wie ich es mag, aber seine Augen waren schön braun und wirkten klar und treu. Auch die Stimme war mild, während er Dinge sagte, kürzlich habe er einen vor einer Diskothek verdroschen, er müsste sich wehren, er hätte Feinde. Jetzt würden sie ihn womöglich abschieben, denn er habe die deutsche Staatsbürgerschaft nicht, sei aber schon im deutschen Gefängnis gewesen. Ob ich Rat für ihn hätte?
Ich hatte keine Idee und meinte, er könnte vielleicht eine Deutsche für eine Scheinehe kriegen. Ob das so bald ginge, in paar Tagen? Ich: „Außerdem kontrollieren die das, ob du mit der Frau auch zusammenlebst.“ Er: „Das geht nicht. Ich kann nicht zusammen in derselben Wohnung sein mit einer Frau, die das für Geld macht.“ Allerdings Leute, über die man an so eine ran kommt, die hätte er. Aber in einer Wohnung mit so einer, das ginge nicht.
Sein Bruder sei der Chef vom Schmutz. So wird bei uns bisweilen der, ich sage mal, Slum genannt. Mir war neu, dass die im Schmutz ihren Chef haben. „Na, der Drogenhandel halt!“ Er meinte, falls ich eine Waffe bräuchte, zum Schutz, die lasse sich besorgen.
Irgendwann erreichte er die fatale Frauengeschichte. Im siebten Jahr renne er einer Frau nach, einer Amerikanerin. Die zeigt ihn an, er wäre ihr Stalker und er hätte eine Waffe in seiner Wohnung. Die Polizei kommt tatsächlich zu ihm. Ich: „Na, wenn du sie belästigst.“ Er: „Aber was heißt das? Wenn die neben dir wohnt und wenn sie in der Nacht an deine Wand klopft. Das sind Zeichen. Da will die was von mir.“
Mir fällt auf, dass Türken irgendwas Kumpeliges von Mann zu Mann haben. Mit ihnen ist gut sein. Geradeaus, anpassungswillig, vertraulich, hemdsärmelig. Schwule dagegen führen pausenlos ihr Ego spazieren. Mir war aber schon klar, dass man auf ihre ewige Frage, warum man in dem Alter nicht verheiratet ist, nicht sagen darf, weil Sex mit Mann mir Spaß macht. Das verstehen sie nicht. Zuerst muss man doch heiraten, die Familie gründen, Kinder erziehen. Dann kann man Sex mit Mann haben.
Auf einmal sagt er, er würde gern mal erfahren, was gerade so abgeht bei mir, wenn ich ihn so anschaue und unterwegs bin, weil ich Sex mit Mann mache. Ich wusste nicht und weiß es bis heute nicht, weil es kein weiteres Treffen gegeben hat. War die richtige Antwort, dass er mich ganz geil macht, weil ich Männer für Sex suche, er jung ist und gut gebaut, ein bisschen verwirrt auch noch, wegen dem Bier, das er getrunken hat. Oder wäre dies die Antwort, damit er ausrasten und vorzeigen konnte, wie gut er gegen Angriffe der Gottlosigkeit gewappnet ist?
Ich kehrte das Schulmeisterliche heraus.
1. In dem Park sind bei Dunkelheit niemals kleine Jungs.
2. In dem Park geht niemand auf den Strich.
3. In der Nacht sind keine Drogenleute mehr da. Tagsüber viele Alkoholiker.
4. In dem Park wird nie einer zu irgendwas gezwungen, was er nicht von sich aus will.
Ich schätze, er hat es gleich nicht geglaubt und wird es heute noch immer nicht glauben.
Doch versicherte er, dass ich ein guter Mensch wäre. Ich sollte auf mich aufpassen, besser nicht in diesen Park kommen, der sei gefährlich. Ich sollte es mir noch einmal überlegen, sollte heiraten und Kinder haben. Er denke, das brächte ich hin.
Bei solchen Leuten weiß man nie, wie viel stimmt und wann sie sich nur aufplustern. Mehrere Male wiederholte er: „Mein Bruder ist der Chef vom Schmutz. Ich habe eine scharfe Waffe. Ich bin Boxer. Ich habe Leute verletzt und war im Knast.“
Am Ende sagten wir tschüss und gingen unserer Wege.