Uluru

Bild von Willi Grigor
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Der "Heilige Berg" der Ureinwohner Australiens gehört wieder den rechtmäßigen Besitzern - Eine Reflexion

Seit es bestimmt war, dass meine Frau und ich im April 2006 nach Australien reisen werden, um unser erstes Enkelkind kennenzulernen, war für mich klar, dass wir den Uluru besuchen müssen. Zu lockend waren die Bilder und Beschreibungen, die ich studierte.
Schon der erste Blick auf diesen unvergleichlichen, rotbraunen Koloss gleich nach der Landung auf der 20 km entfernten Piste, erzeugte eine andächtige Stimmung in mir. Die vier Tage an diesem mystischen Platz inmitten der nicht endenden, roten Australischen Wüste gaben mir jedoch gemischte Gefühle:
Welches Privileg an diesem großartigen Ort sein zu dürfen - um, zusammen mit 1000 anderen, auf einem heiligen Platz der Ureinwohner, einer unterdrückten Minderheit, herumzutrampeln.
(Meine Eindrücke und Erlebnisse im Uluṟu-Kata-Tjuṯa-Nationalpark - und an anderen Plätzen in Australien während unseres Drei-Monate-Aufenthalts dort 2006 - werden in einem separaten Reisebericht erzählt.)
Was mir eindeutig nicht gefallen hat, waren die Gänsemarsch-Aufstiege vieler Touristen auf dieses Heiligtum des Anangu-Stammes, dem diese Aktivität nicht gefällt aber nichts dagegen tun kann.
Hier muss ich ein Geständnis machen: Ich bin vielleicht 100 Meter den steilen Pfad hinaufgegangen, um zu wissen, um was es sich handelt. Ein steiler Pfad, der nur für gut Trainierte zu empfehlen ist. Ein Fehltritt auf diesem schmalen Weg und man tritt auf eine der unzähligen, abbröckelnden Platten des Hanges. An den steilsten Stellen sind Seile gespannt.
Bei unserem Besuch im Cultural Centre, das von Angehörigen des Anangu-Stammes betrieben wird, haben wir dieses Thema mit ihnen besprochen. Aus ihren Worten konnte man die Hoffnung heraushören: "Eines Tages wird der Uluru wieder ganz uns gehören."

Man hatte uns informiert, auf keinen Fall Steine aus dem Nationalpark zu schmuggeln. Vor dem Heimflug finden regelmäßig Kontrollen statt. So ein eventuelles Mitbringsel muss wieder abgegeben werden und eine Strafe von bis zu 5000 Dollar wird erhoben. Was mich aber nicht abgehalten hat, eine kleine Wasserflasche mit rotem Ulurusand mitzunehmen. Sand ist ja kein Stein - aber Sand war ja mal Stein. Kontrolliert wurde ich nicht.

Am Mittwoch, den 01. 11. 2017 las ich bei Spiegel-Online:

Australiens Top-Attraktion Uluru wird für Kletterer geschlossen
Jahrzehntelang kämpften die Aborigines für eine Sperrung ihres heiligen Tafelbergs Uluru. Ab 26. Oktober 2019 ist es so weit.
Auf Australiens "Heiligen Berg", den Uluru dürfen künftig keine Touristen mehr klettern. Damit kam die Verwaltung des Nationalparks Uluru-Kata Tjuta im Herzen des Kontinents Forderungen nach, die von Australiens Ureinwohnern, den Aborigines, schon seit mehr als 30 Jahren erhoben wurden..."

Ich spürte eine "heilige" Freude in mir: Der Uluru gehört dann wieder ganz den rechtmäßigen Besitzern.

Der Artikel in Spiegel Online gab mir Anlass zu einer gewissen inneren Freude und der folgenden Zusammenstellung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat. Fakten von Wikipedia sind gemischt mit eigenen Reflexionen bzw. Erfahrungen vor Ort.

Eine europäische Kolonialmacht dezimierte ab Anfang des 19. Jahrhunderts in relativ kurzer Zeit ein indigenes Volk, nahm ihnen ihr Land und die Möglichkeit zur Ausübung ihrer Art zu leben, und tut sich nun schwer, den übriggebliebenen Rest dieses Volkes als gleichwertige Staatsbürger anzuerkennen und Wiedergutmachung zu leisten.

***

Der Mensch ist geboren zum Ziehen und Wandern,
er sucht nach den besten der Räume.
Es kümmert ihn selten das Leben der andern,
ein jeder lebt nur seine Träume.

Die Urvölker einfach zur Seite er drängte,
mitsamt ihren Bräuchen und Sitten.
Er diesen bald keine Beachtung mehr schenkte
und nicht ihren flehenden Bitten.

(Die ersten zwei Strophen aus "Indigene und andere Minderheiten")

***

Vor etwa 60.000 Jahren kamen die ersten Menschen in den heute Australien genannten Kontinent. Sie sind die Ahnen der heutigen Urbevölkerung Australiens. Wir nennen sie Aborigines. Die verschiedenen Stämme der Aborigines haben ihre eigenen Benennungen. In Australien verwendet man meist den Begriff "Indigenous People", wenn man die Gesamtheit der Urbevölkerung meint.
Die Menschen lebten in all diesen Jahren als Jäger und Sammler in diesem warmen aber unwirtlichen Land. Jeder der vielen verschiedenen Stämme durchwanderten einen großen Raum, um ausreichend Nahrung und Wasser zu finden. Sie drangen immer weiter in die unendliche Sandwüste im Inneren des Kontinents. Sie bauten keine feste Siedlungen, materielle Güterwirtschaft und privaten Landbesitz kannten sie nicht. Die einzigen sichtbaren Zeugen ihrer langen Anwesenheit sind alte Höhlen- und Felsmalereien sowie Knochenfunde. Ihre Kulturgeschichte lebt in ihren Köpfen und wird von Generation zu Generation weitererzählt. Für die fremden Eindringlinge aus Europa waren es primitiv Wilde.

Seit etwa 10.000 Jahren leben Aborigines im Gebiet des Uluru (früher Ayers Rock). Dieser gigantische und mystische Felskoloss mit 350 m Höhe, 3 km Länge und einem Umfang von etwa 9 km, ist ein "Inselberg" in der zentralaustralischen roten Wüste mit nur wenig Bewuchs. Den lokalen Aborigines, den Anangu, gilt er als Heiliger Berg.

Am 28. April 1770 erreichte Kapitän James Cook die Ostküste Australiens und nahm das Land formell als New South Wales für die britische Krone in Besitz. Ein dunkles Kapitel der britischen Kolonialmacht in Australien nahm seinen Anfang.
Mit der Ankunft der Europäer ab 1788 sank die Zahl der Aborigines von geschätzten 300.000 bis 1.000.000 Einwohnern auf 60.000 im Jahr 1920, hauptsächlich wegen eingeschleppter Krankheiten, aber auch durch gewaltsame Konflikte mit den Siedlern um Landrechte.
Der "primitiven" Urbevölkerung, die als Nomaden lebten, wurden nach und nach die traditionellen Jagdgebiete genommen. Ihr wurde de facto keine Rechte zugestanden. Dies änderte sich nur sehr zögerlich. Queensland war 1965 der letzte Staat, der Aborigines das Wahlrecht zugestand.
Etwa drei Viertel der heute rund 464.000 Aborigines leben in Städten und haben sich weitgehend der modernen Lebensweise angepasst, da die Behörden in Australien jahrzehntelang eine Zwangsassimilation betrieben.

Sie nahmen ihnen ihren Raum,
weil sie Schätze darin fanden.
Sie hielten sie im Griff, im Zaum...
Es kam der Welt ein Volk abhanden.

Es wurd' vertrieben, drangsaliert,
ausgesperrt und nicht beachtet,
niemals wirklich integriert,
geduldet heut, doch nicht geachtet.
(Aus "Australien", Link siehe unten)

Im Jahr 1873 entdeckte der Engländer William Gosse als erster Europäer auf einer Expedition den Heiligen Berg der Anangus und benannte ihn - nach dem seinerzeitigen südaustralischen Premierminister Henry Ayers - Ayers Rock.
Weitere Expeditionen folgten, mit dem Ziel, das Gebiet für die Landwirtschaft zu erschließen. Sie kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass es dafür ungeeignet sei. Anschließend folgten Prospektoren, Entdeckungsreisende und Wissenschaftler, die das Gebiet erkundeten. Die dort lebenden Stämme hatten keine Möglichkeit, dies zu verhindern.
1920 wurden Teile des heutigen Nationalparks zu einem Reservat für Aborigines, über das sie aber keine "Hoheitsrechte" hatte.
Die europäische "Besiedlung" im Gebiet des "Ayers Rock" begann in den 1940er Jahren. Erste Wege für Pkw und Busse wurden ab dem Jahr 1948 geschaffen. 1958 wurde das Gebiet zum Nationalpark erklärt und Ayers Rock – Mount Olga National Park genannt. Man erbaute 1959 nordöstlich am Fuß des Uluru ein erstes Motel und eine Landepiste, die in Luftaufnahmen noch heute (2017) erkennbar ist. Hier wurde im Prinzip von den fremden Eindringlingen ein interessantes Reservat für Touristen ggeschaffen.
Der Aboriginal Land Rights Act, ein am 16. Dezember 1976 unterzeichnetes Gesetz der australischen Bundesregierung, sprach den Aborigines Landrechte im Northern Territory zu. Es trat am 26. Januar 1977 in Kraft. Die Anangu reichten einen Land Claim ein, der bei Gerichtsverhandlungen als berechtigt eingestuft wurde. Am 26. Oktober 1985 übergab der Generalgouverneur Ninian Steven bei einer Zeremonie am Fuß des Uluru den Anangu die Eigentumsurkunde. Im Anschluss daran, wenige Minuten später, wurde ein Vertrag unterzeichnet, in dem die Anangu das Land für 99 Jahre zurück an den Australian Parks and Wildlife Service verpachteten. Der Verwaltungsrat des Nationalparks ist seither paritätisch aus Anangu und Weißen zusammengesetzt.
Bereits in den frühen Siebzigerjahren beschloss die Nationalparkverwaltung, alle touristischen Unterkünfte innerhalb des Nationalparks zu schließen und neue außerhalb zu errichten. Dafür wurden 104 km² jenseits der Nordgrenze des Nationalparks bereitgestellt. Dort entstand das künstliche Dorf „Yulara Resort“ mit Unterkünften aller Kategorien. 1983 wurde der Campingplatz am Fuß des Uluru aufgelassen, 1984 das alte Motel und die Landebahn geschlossen, ein neuer Flugplatz nördlich von Yulara eröffnet. 1992 verkaufte die Regierung des Northern Territory die bis dahin gehaltenen Mehrheitsanteile, das „Yulara Resort“ wurde umbenannt in „Ayers Rock Resort“.
Am 15. Dezember 1993 wurde der Name Uluru erstmals offiziell im Northern Territory neben Ayers Rock geführt.
Das Besteigen des Uluru ist auf einer gekennzeichneten, am Westende des Berges beginnenden und mit einem Handlauf ausgestatteten Strecke erlaubt, von den Anangu allerdings unerwünscht.

Am Nationalfeiertag "Australia Day" 1972 wurde von einer Gruppe Aborigines eine - illegale - "Zelt-Botschaft" errichtet, um auf die Ablehnung des "Native Title" (ein andauerndes legales Anrecht der Aborigines an Land) der Regierung unter McMahon aufmerksam zu machen und gegen den Vorschlag einer neuen Verpachtungsregel zu protestieren. Diese sah vor, Verpachtungen an Aborigines davon abhängig zu machen, ob diese die „Intention und Fähigkeit haben, vernünftige ökonomische und soziale Nutzung des Landes zu leisten“; außerdem sollten alle Rechte ausgeschlossen werden, die sie bis dahin an Land mit Mineralien und Wäldern hatten.
1992 wurde die Zelt-Botschaft auf dem Rasen des Old Parliament House in der Hauptstadt Canberra aufgebaut. Obwohl sie eine andauernde Quelle der Kontroverse blieb, besteht sie seither auf dieser Stelle.
(Bei unserem Aufenthalt in Canberra 2010 besuchten wir diese illegale aber geduldete "Zeltbotschaft" und hatten ein Gespräch mit einem der Anführer. Link zum Reisebericht siehe unten.)

Nur Teile der Forderungen wurden bisher erfüllt. Aber wahrscheinlich war diese Dauerdemonstration "Aboriginal Tent Embassy" von relativ wenigen ausharrenden Aborigines auf dem Rasen vor dem alten Parlamentsgebäude in Canberra indirekt auch an diesen Erfolgen beteiligt:

Seit 1998 jährlich am 26. Mai ist der sogenannte National Sorry Day, ein nichtamtlicher australischer Feiertag. Anlass ist die Zwangsadoption von ca. 35.000 Aborigineskindern durch die Australier zwischen 1920 und 1969 – die sogenannten "Gestohlenen Generationen".
2007 wurde die Entschuldigung an den Ureinwohnern Australiens und die "Stolen Generations" zu einem der zentralen Themen der Wahlkampagne zur Wahl des Bundes-Parlaments.
Nach dem Sieg der Labour Party am 24. November 2007 hielt der neugewählte Premierminister Kevin Rudd eine vielbeachtete Entschuldigungsrede bei der Eröffnung des Parlaments am 13. Februar 2008. Von einer "Wiedergutmachung" war aber nicht die Rede. Eine solche wäre auch gar nicht mehr möglich.

© Willi Grigor, 2017

Links zu zugehörigem Reisebericht bzw. zwei Gedichten:
literatpro.de/prosa/180217/au-2010-04-aboriginal-tent-embassy-in-canberra
literatpro.de/gedicht/120216/australien
literatpro.de/gedicht/080817/indigene-und-andere-minderheiten

Kommentare

24. Jun 2018

Spannend erzählt, lieber Willi,mich berührte besonders wie Du private Geschichte mit Historie verbindest, wie aus Erlebnissen Einsichten werden - und im nächsten Jahr zu einem Erfolg führen. Alles hängt mit allem zusammen! Danke und viele liebe Grüße, Monika

24. Jun 2018

Danke für den aussagestarken Kommentar, liebe Monika.
Meine Australienberichte kamen nur deshalb zustande, weil mich soviel dort so stark berührt hat.
Und in der Verlängerung auch alles andere, das ich bisher schrieb oder noch schreiben werde. Dort, 2013, hat meine Schreiberei überhaupt erst angefangen.

Herzliche Grüße
Willi

24. Jun 2018

Danke, lieber Willi! Durch solche berührenden Erlebnisse wird man immer sensibler, verändert sich der Blickwinkel, da hast Du viel geschafft in so wenigen Jahren, noch einen lieben Gruß, Monika

24. Jun 2018

Ich hab mich nicht ganz korrekt ausgedrückt, Monika.
Reiseberichte begann ich zu schreiben ab der zweiten Reise 2008.
2013 begann die Dichterei. ("Dank an das Meer")

LG
Willi

24. Jun 2018

Gut, dass nun der Name korrigiert -
Man nicht mehr drauf herumspaziert!

LG Axel

24. Jun 2018

Ja, das mit dem Namenkorrigieren funktioniert.
Den großen Rest hat schweigend man storniert.

LG
Willi