Auf den Hügeln, klein und uneben wie abgetrennte Brüste alter Mädchen, kämpfen zwei Pitbulls um ihr Leben. Sie tanzen nach den Rufen ihrer Besitzer. Sie stehen in zwei Gruppen, ihre fiebrigen Augen glühen wie Lava. Ihre Fressen verwandeln sich in Fratzen. Sie schreien, im Chor, einzelne Stimmen: Titan, fass, fass ihn im Genick. Da, schau, er hat ihn an der Kehle, gut, Bora, Bora, lauf, sei nicht so feige, reiß ihm die Zunge raus, einer schreit, der bellt ja noch, der andere lechzt und heult, das Blut trieft ihm bereits aus der Schnauze. Einer brüllt wie von Sinnen, schnapp endlich richtig zu. Einem Hund fehlt das Auge, dem anderen hngt das rohe Fleisch aus den leisten, gut, weiter so, zerre ihm das Herz aus dem Leib. Ein anderer bekommt nicht genug, er ist unzufrieden mit seinem Hund und feuert ihn an, mach Schluss mit ihm, er ist am Boden: Los! Beide Hunde werden immer kraftloser, der eine ergibt sich, lässt sich fallen und bleibt liegen, der andere kläfft und beißt und zerrt an dem roten Fleisch, Blut spritzt, es ist aus.
Der noch lebende Hund folgt seinem Herrn auf drei Beinen, die Schlächter klatschen in die Hände, ermattet gehen sie aufeinander zu und reichen sich wie Sportler die Hände, zünden sich Zigaretten an, verwundet trottet der Hund um die Beine der Männer, er pisst und jault, er winselt. Den toten Hund, dieses rohe Fleischpaket, lassen sie liegen, sein Maul mit dem vollständigen Gebiss liegt erstaarrt neben einer versickernden Pfütze, eine Kreatur zum bestialischen Vergnügen aus Langeweile gestorben, einfach so aus Spaß. Am Rande dieses höllischen Gartens knicken duftarme Blüten ihre Köpfe in die durstenden Herbstblätter. Die ausgezehrte, ausgebeutete Luft vermählt sich mit Blut, Männergeruch und trockener Erde, der Wind bringt Gerüche aus den finster beleuchteten Küchen unter diesen sternenscheuen Himmel.
Die zwei Gruppen, die sich eben noch feierlich die Hände schüttelten nach ihren Hundekämpfen, die ihre Smartphones wie kleine Kanonen am Gesäß tragen, stehen sich urplötzlich gegenüber. Einer begreift blitzschnell die Gefahr, die von dieser drohenden Stille ausgeht. Ein Pfiff, und sie gehen mit Messern, Segelschiffchen gleich, mit dicken Stöcken aufeinander los. Eine schrille hohe Stimme: Die Bullen! Sie zündet sich eine Zigarette an. Sie spielt Junge, und das ganz gut. Während sie das Nikotin tief einatmet, kneift sie ein Auge zu. Sie fordert ihre Jungs auf zu gehen, sie verteilen sich. Wie verabredet greifen sie alle gleichzeitig nach ihren Smartphones. Ehe die Polizei kommt, sind alle verschwunden.
Sihri wird sie gerufen, sie führt ihre Leute wie ein Heer von Kriegern, sie folgen ihr, gerüstet mit dicken Wollmützen und viel zu langen Hosen. Sie verschwinden in den Hauseingängen und Hinterhöfen, flink und listig. Die Haustüren sind oftmals nicht verschlossen oder aufgebrochen. Hinter den großen doppelflügeligen Türen die Kellerzellen, in denen sie ihre Konferenzen halten, nachts, wenn die Eltern schlafen oder sich gerade streiten oder saufen oder sich windelweich schlagen.
Die Nasty Boys haben schwarze Mützen mit einem weißen Streifen, die Schakale bunte Mützen auf ihren schwarzen Köpfen. Worte werden kaum gesprochen. Eine Sprache wie Brei. In den Kiezbörsen werden Telefone getauscht, während die Mahnungen ihrer nichtbezahlten Rechnungen auf den Küchentischen vergilben. Jede Gang beansprucht den Park. Ein schwarzer hoher Helm dekoriert Sihris Kopf, eine Drohung, sie kommt mit ihrem Motorrad, sie sitzt darauf, als sei sie mit ihm verwachsen, und hält vor dem Parktor, steigt wie ein Kerl vom Sitz, immer noch eine Zigarette im Mundwinkel. Die Luft ist kristallklar, schneidend. Sie bilden einen Kreis um sie herum und sprechen leise, ein abendlicher Gesang aus tausend und einer Nacht, süß und rätselhaft, dunkel und fremd, der Wind bläst sanft wie eine Brise vom Meer, das nicht da ist, sie sehen aus wie Liebespiraten. Hin und wieder blitzen kleine Lichter, Feuerzeuge, Streichhölzer. Was sollten sie auch anderese machen, als sich hier in der schützenden Dunkelheit zu treffen, als das zu treiben, was zu treiben ihnen übrig bleibt. Sie geht aus dem Kreis heraus. Von der anderen Straßenseite kommen die Nasty Boys, Chilla geht voraus mit langsamen laxen Schritten, sie gehen aufeinander zu, ihre großen Augen leuchten wie schwarzes Gold, sie bleiben etwa einen Mete voreinander entfernt stehen. Sihri und Chilla blicken sich in die Augen und verschränken die Arme. Chilla spricht zuerst, mach, dass deine Leute aus dem Park verschwinden. Sihri steckt ihre Hände in die Hosentaschen. In ihrem Mund fliegt der Kaugummi von einer Seite zur anderen, dann zielt sie ihn direkt vor seine Füße, so als hätte sie einen Fluch ausgespruckt. Sie schweigt noch und sieht seine Augen, die schmal werden und lauernd auf sie starren. Die wenigen Bäume rascheln mit den papierenen Blättern an den dürren Zweigen. Chilla scharrt mit dem Fuß eine Kuhle in den Sand, blickt zu Boden, er wagt nicht mehr, Sihri anzusehen. Plötzlich schreit einer: Los, Chilla, mach sie alle, die Fotze zuerst, was sucht die hier, sie ist doch nur eine Türkenfotze, hey, Chilla, was ist mit dir, bist du taub?! Halt's Maul, schreit Chilla und nimmt den Blick wieder auf, sieht Sihri an, seine Stimmt folgt ihm nicht so, wie die anderen es von ihm gewohnt sind, also haut hier ab, du hörst, was meine Jungs wollen, ich kann sie nicht mehr lange zurückhalten. Sihri zündet sich herausfordernd die nächste Zigarette an, schließt dabei ein Auge und sagt: Was wollt ihr, ihr weißgesichtigen Babyköpfe, wir kommen uns doch überhaupt nicht ins Gehege, ihr habt die Schwulen und Lesben und wir die Alten, was wollt ihr überhaupt, hey, haben wir euch schon mal einen Schwulen weggenommen, macht, dass ihr abhaut, oder gibt's noch Probleme? Ich habe schon genug Ärger mit den Bullen, also lass mich meine Arbeit machen. Unterdessen tritt ein größerer Kerl aus der Gruppe und masturbiert vor den Augen Sihiris. Na, sieh nur hin, ist das was? Sie lacht verächtlich und meint: Da habe ich schon Besseres gesehen. er geht auf sie zu, ist dabei, ihren Arm zu packen, da stellt Chilla ihm ein Bein.
In der Kneipe gegenüber platzen fast die Scheiben, so laut dröhnt die Musik. Chilla beißt sich auf seine schmalen Lippen, den Sieg trug Sihri davon. Seine Gruppe ist gar nicht einverstanden mit Chillas Versagen, was machst du, bist du blöd, lässt die Schlampe laufen. Sihri dreht sich um und geht mit ihren Jungs auf die andere Straßenseite. Der Wind wirbelt Kotgerüche in die Luft und Abfall über den Damm. Es ist die Stunde der Hunde. Die Kneipe ist voll, Kippen kleben am Boden.
Na ja, also eure Beziehung steimmt ja nun auch nicht mehr. Die Angesprochene schnappt die graugefärbte Luft ein, verschluckt sich, wird ganz rot, hustet und spricht mit verzogenem Mund, ja, hättest du nicht dazwischengefunkt, wäre Helmut nicht so zerrissen. Ach, komm, bei euch lief doch gar nichts mehr. Sie nimmt ihre Brille, die an einer Kette um ihren großen Busen hängt, und schaut in die Speisekarte. Mit ihren langen mohnroten Fingernägeln hat sie Schwierigkeiten beim Umblättern der Seiten. Gib mal her. Widerwillig gibt sie ihrer Freundin die Karte. Diese bündelt ihr Haar zu einem warmen Nest. Sie trinken Wein. Nick Cave singt, die Kellnerin flitzt, geschickt hat sie alles im Auge. Der kurze enge Rock ist elastisch, ihre Beine gerade und schlank, ihre Hände rot vom Spülen. Es ist ruhig, die Musik wird gewechselt. Du Sau. Beide Frauen schauen sich an, zucken mit den Schultern. Heidrun bekommt noch größere Augen, die Freundin legt beruhigend die Hand auf ihre, kümmere dich nicht darum, hier drinnen passiert dir nichts. Ja, aber es klang schon ganz schön bedrohlich, sagt die schneidend.
Eine dunkle Stimme brüllt, es hallt vom Park herüber aus der Ruine, aus dem grauen Gestein, ein Echo von der Parkwüste, am Tage ein Spielplatz für Kinder, Pissklotz für Hunde, abends Treffpunkt für Liebespaare, für Unvorsichtige, Unwissende, Bierdosen scheppern wie ein Blaskonzert, wenn die Katzen springen. Bezirksraubzüge werden hier besprochen, die Ortspiraterie gegründet, kleine einenmetersechzig große Ganoven mischen hier ihre Namen wie Spieler ihre Karten. Zwei Mädchen reden laut, wäre er doch tot, nein, er hat mich verlassen, entweder habe ich gewartet, dass er geht, oder ich habe gewartet, dass er kommt. In einem Hauseingang steht eine Lolita, die Schwester von Lola, und wartet auf einen Jungen oder einen Mann, der seine Heimatlosigkeit in die Wärme eines Körpers verschwinden lässt.
Chilla kommt mit Sihri um die Ecke. Ihr offenes Haar glänzt wie schimmernde schwarze Seide, in ihrem Höllengesicht lachen Sterne. Aus allen Winkeln und Fenstern kriechen orientalische Gerüche unter die Pflastersteine. Ein Schatten taucht auf aus der Dunkelheit, in der Hand ein Werkzeug, und stellt sich vor die beiden, Worte werden gewechselt, die anatolische Nacht ist mit einem Mal still wie in einem Schacht. Sie sind allein auf der Welt. Ein Unwetter naht, Blitze erhellen die Bäume, der Regen lässt auf sich warten. Es ist dumpf und hohl, in den Häusern werden die Lichter gelöscht. Chilla umklammert Sihiri. Sie sind nicht mehr die Anführer ihrer Gangs, sie sind ein Liebespaar, die Zeit und Raum und Verbrechen vergessen, sie haben sich verliebt, als sie sich das erste Mal gegenüberstanden. Es musste den anderen aufgefallen sein. Der kaltblütige Chilla hatte seine erste Liebe im Arm. Sihri, nicht weniger kaltblütig, verspürt Angst um einen Menschen. Sie fühlen sich nicht mehr ausgestoßen aus dieser Welt, die Sorge triumphiert. Chilla wird mit einem Mal so laut, dass Sihri erschrickt, seine Stimme durchtrennt die Luft, haut ab, lasst uns in Ruhe, ihr seht doch, dass ich beschäftigt bin, also. Wütend fliegt seine Faust auf das Gesicht eines seiner Jungs, er torkelt, steht wieder auf und versucht mit einem dicken Stock auf Chilla einzuschlagen. Sihri wirft sich dazwischen und hat blitzschnell ein Messer in der Hand. Der Angreifer beschwört Chilla ein letztes Mal, diese Schlampe laufen zu lassen, die ist es doch nicht wert. Mensch, siehst du das denn nicht, Chilla, wach auf, so ein kleiner Fick kann dich doch nicht um deinen Verstand gebracht haben. Doch Chilla ist wie besessen, er verteidigt Sihri tollkühn, er schlägt wieder auf seinen Beschwörer ein, der brüllt: Du Verräter, du Schwein, der Stock prasselt auf ihn wie ein Springseil, Sihri versuht mit dem Messer an den Jungen heranzukommen. er tanzt, er spielt mit ihr und lacht. Sein Maul ist ein schwarzes Loch, einen Augenblick ist er unkonzentriert, und in diesem Moment sticht sie ihm das Messer in den flachen Bauch, ungläubig sieht er die Wunde und schlägt blind vor Hass auf sie ein. Chilla stürzt neben sie und ruft Sihri, Sihri, was ist, sag was, er erhebt sich und schlägt so brutal zu, dass der Blutverschmierte abermals zu Boden fällt und liegenbleibt. Sie blutet aus dem Mund und aus der Nase. Die anderen Jungs machen sich davon. Chilla heult wie ein kleines Kind, er umfasst Sihris leblosen Kopf. Minuten später besinnt er sich und flieht mit schnellen Schritten in die Dunkelheit.
Die Straße hinterlässt keine Spuren. Der Regen, der mit brachialer Gewalt aus dem Himmel stürzt, hat alles fortgewaschen. Hinter den Gardinen, die so dicht zugezogen sind, dass kein Schatten in die Zimmer fällt, werden Monster gezeugt. Ein Vogel fällt vom dach oder aus einem Fenster, wer weiß das schon.
Sihri
von Andrea Kupkow
Bibliothek
Prosa in Kategorie:
Thema / Klassifikation: