Von Edgar 9: Letztes Wiedersehen - Page 3

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ich keins. Den Arsch wisch ich mir schon noch selber.“
„Na, darum geht’s auch nicht!“

„Worum geht’s dann? Einschlafgeschichte vorlesen?“
Frank öffnete den Mund, sagte nichts, sondern sah Adam an. „Na, halt, dass man einfach jemand hat.“
„Ich will keine fremden Leute. Erst recht keine Schwulen! Sex ist durch in meinem Leben, kapiert ihr das nicht? Meine Mutter kommt alle zwei Tage. Ich hab jemand, der ist da.“
„Vorher hast du dich beklagt, dass dich deine Kumpel nicht besuchen. Deine schwulen Kumpel, Adolf! Du hast keine anderen als Schwule und deine Mutter!“

„Scheißdreck! Dein Gequassel geht mir auf die Nerven. Ich hab eine Krankheit, ich hab Fieber, ich steh unter Medikamenten. Ich kann keine fremden Leute haben, die nicht wissen, wie man mir umgehn muss. Ich bin schwierig. Sag dem Eddi und dem Ralf, dass ich sie sehen will! Das sind die schwulen Kumpel, die ich hier sehn will.“

„Ahm, tschuldiung?“ Edgar machte einen auf süß, klein und dumm. „Was ist das da für eine Infusion?“
„Kochsalzlösung. Weiß der Geier, was sonst noch. Krieg ich drei Mal am Tag. Immer eine Stunde.
„Und ahm, wenn ich fragen darf, obwohl‘s mich nichts angeht, was ist das an deinem Mund?“
„Das?“
Adam schleckte mit der Zunge über den Schorf.
„Das ist da seit Wochen. Geht nicht weg. Der hat ihre Tochter angefixt. Und sie weiß es nicht.“

Nach ein, zwei Sekunden begriffen sie, dass er von der Fernsehserie sprach, auf die er genau geachtet hatte.

Plötzlich gab es ein metallisches Geräusch, als ob was mitten im Raum wäre. Edgar verrenkte seinen Hals.
„Ist die Toilette. Geht einer von drüben rein, müssen sie auf dieser Seite zudrehen. Hier zu mir tun sie keinen mehr rein. Das ist jetzt ihre Tochter. Die geht anschaffen für die Fixe, weiß die Mutter natürlich auch nicht.“

„Adolf, wir geh‘n jetzt.“
Frank winkte Edgar mit den Augen.
„Ich glaub nicht, dass die das so mögen, wenn nach neunzehn Uhr Besuch im Haus ist.“
„Ist denen scheißegal. Bei mir kannst du übernachten“, bellte Adam.

„Also, wie gesagt. Ich besuch dich spätestens in einer Woche. Halt die Ohren steif, Mann! Ich glaub, das mit dem Buddy, das lassen wir mal. Ich klemm mich dahinter, dass Eddi und Ralf dir deine Sachen bringen. Stimmt, die machen sich schon rar, dafür, dass du denen so oft geholfen hast. Tschau dann, halt deine Ohren steif! Ich wünsch dir was.“
Kurz ließ Adam den Fernseher aus den Augen und sagte matt: „Tschüss Frank. Denk drüber nach, er könnt auch der Neue sein von dir.“
Sein Blick streifte Edgar nicht. Edgar saß, als wäre er eingeschlafen.

Im Raucherbezirk stand die klapprige Alte, stand dort draußen, obwohl es Stühle gab.

Schweigend folgten sie dem Gang.

„Weißt du was? Ich geh noch mal zu ihm. Mir ist da was eingefallen. Wart hier, bin gleich zurück!“
„Was?“
„Ich mach ihm ein Angebot. Ich sag, ich besuch ihn einmal pro Woche. Ich sag ihm den ersten Termin, Mittwoch. Er kann nein sagen.“
„Er wird nein sagen. Aber lieb von dir.“
„Du, Frank. Geh am besten doch schon mal. Hab so ein Gefühl, es geht vielleicht länger.“

Frank schaute ihn fragend an.
„Weißt du, wir kennen uns nämlich. Ich will jetzt mal wissen, warum er es nicht zugeben will.“
„Ach, der. Wenn du ihn kennst, weißt du, dass er ein schräger Vogel ist. Mit der Krankheit hat es auch nichts zu tun. Er sagt schwierig. Aber okay, ich geh und lass euch machen.“

Edgar klopfte. Keine Reaktion. Er wartete ab. Kein Laut.
Er drückte die Klinke und ging ins Krankenzimmer.

Erschöpft drehte Adam sein Gesicht vom Fernsehen weg.
„Aha. Der Kleine. Hast was liegen lassen?“
„Nein, ich wollte unter vier Augen mit dir reden.“
„Wolltest du.“

„Adam. Ich bin’s. Du kennst mich. Ich heiß Edgar, Adam.“
„Ich heiße Adolf. Ich heiße nicht Adam. Adolf heiße ich.“
Edgar stand unsicher und wagte nicht, sich einen Stuhl zu nehmen.

„Beim letzten Mal hast du aber Adam geheißen. Das war im Park und in der Nacht. Du hast mich auf ein Bier eingeladen zu dir.“
„Na ja, kommt vor. Ich weiß zwar nicht. Aber möglich. Und weiter?“
„Ich bin der Edgar. Ich bin bei dir gewesen. Wir haben Pornos geguckt. Breslauer Straße, ich glaube, Nummer 54, Erdgeschoss rechts, Fenster zum Hof.“
„52. Woher weißt du so was?“
„Ich war ja drin. Ich war im Park und du hast mich abgeschleppt nach Haus zu dir. War vor zwei Jahren so etwa. Herbst, sag ich mal, war kalt.“

„In den Park geh ich nicht mehr. Ich schlepp auch keine Leute mehr ab. Kann sein, dass ich jemanden auf ein Bier mal eingeladen hab. Und dann?“
„Genau. Mich hast du eingeladen. Wir haben zusammen getrunken und Pornos geguckt und ... Erkennst du mich wirklich nicht?“

Adam schaute ihn lange an.
„Nö. Witzig, ja? Dich hab ich komplett vergessen. Wenn es stimmt und ich dich je schon gesehen hab. Was war denn Schlimmes? Hab ich dich gebumst? Ist es darum? Du willst wissen, ob ich infiziert war und es dir verschwiegen hab? Vor zwei Jahren hab ich nichts gewusst. Außerdem war ich der, der gebumst wird. Kein Gummi, natürlich, no risk no fun. Hinterher tut’s einem leid. Aber, ich sag dir was, mir tut’s nicht leid, mir ist das alles scheißegal jetzt.“

„Mich hast du aber gebumst. Das weiß ich schon richtig. Und ohne Gummi. Ich war besoffen da.“
„Ja, nett, war dumm von dir. Tut mir jetzt vielleicht leid, dass ich mit einem so kleinen und schönen Jungen so umgesprungen bin. Ich weiß sowieso nichts mehr da drüber. Wenn’s du sagst, du wirst das wissen. Geh zum Arzt und lass dich mal testen! Ich wünsch alles Gute.“
„Ich, ich hab keine Angst. Erst vor sechs Wochen war ich beim Test. War negativ.“
„Ist ja gut. Dann passt du in Zukunft besser auf. Siehst, wie’s gehen kann.“

„Ich fand das so blöd vor dir mit dieser Sauferei und den Pornos, was du da abgezogen hast, damit ich geil und blöd werd. Dabei hatte ich im Park schon gedacht, wie’s kommen wird. Es war Samstag auf Sonntag, kurz vor Morgen. Anschließend bist du einfach weg und hast mich in deiner Wohnung gelassen. Wegen deiner Mutter. Hast gewollt, dass wir’s noch mal machen, wenn du zurückkommst. Ich bin abgehauen. Ich war da nicht gut auf dich zu sprechen.“
„Der Bananenschwanz. Ja! Der mit dem Bananenschwanz. Wahnsinn und dich hab ich vergessen! Die Nacht war natürlich kurz.“
„Vielleicht hätt ich einen Zettel dalassen sollen.“
„Juckt heut keine Sau mehr.“

„Ad... Adolf, hast du das wirklich gedacht, dass du mich liebst und wir eine Beziehung anfangen sollten?“
„Das hab ich dir gesagt? Weiß ich ja alles nicht mehr. Wartet nicht der Frank draußen?“
„Den hab ich heim geschickt. Wie hast du es gekriegt? Ich meine, wie hast du dich infiziert?“
„Keine Ahnung. Zu oft im Park wahrscheinlich. Beziehung mit uns zwei ist witzig.“

Edgar trat ans Bett und sah ihm ins Gesicht. Adolfs große Augen wirkten ängstlich. Als wäre er auf Edgars Schläge gefasst.
Edgar kniete sich neben das Gesicht. Sofort schien er ruhiger.
„Ich wollte dir sagen ... Es tut mir leid, Adam.“
„Mein Name ist Adolf! Adolf Pracht. Dir muss nichts leidtun. Mir tut’s nicht leid, dass ich dich abgeschleppt und besoffen gefickt hab ohne Gummi. Mir tut nicht leid, dass ich was von Liebe gesagt hab. Mir tut leid, dass ich das alles überhaupt nicht mehr weiß.“

„Soll ich dich jetzt besuchen kommen?“
„Wenn dir einer abgeht. Mich störst du nicht. Kannst auf dem Boden übernachten.“
Edgar liefen Tränen übers Gesicht.
„Es tut mir so leid. Es tut mir leid.“
„Hau ab, Bananenschwanz! Als Kind soll man nicht rummachen mit Arschlöchern, geh weg!“

Edgar küsste ihn auf den Mund.
„Verdammt! Du holst dir was, weil es dir leid tut, du Depp!“

Edgar ging die Straße hinab, bis er an den Fluss kam. Er bog in die Kastanienallee zur Stadt ein. Die Kastanien waren über den Höhepunkt hinaus. Man roch sie anzüglich in der Dunkelheit. Auch das fließende Wasser roch schmutzig, am Schicksal der Menschen nicht interessiert.

Edgar fing an zu rennen. Er sprang hoch. Er nahm Anlauf, breitete seine Arme aus und sprang den Blüten entgegen.
„Von jetzt ab!“, rief er.
Und wieder: „Von jetzt ab!“

Er blieb stehen und sah zurück. Es gab keinen, der ihm folgte.

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