Der Banküberfall

Bild von Gebhard Bock
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Fladenschwere Flocken mischten sich in den Regen. Das graue Wetter passte gut, und auch wieder nicht zu dem bunten Weihnachtsbäumchen, das Hella Winter auf dem Tisch neben dem Geldautomaten aufgestellt hatte. Mit dem Lächeln der Bankkaufrau wartete sie hinter dem Panzerglas, während Frau Breitinger am Stehpult, das ihr etwas zu hoch war, mit zittriger Hand ein Formular ausfüllte.
Die alte Dame hatte augenscheinlich ein Problem. Hella öffnete die Tür ihres Glaskastens und fragte, ob sie helfen könne.
Frau Breitinger war schwerhörig. Eigentlich hörte sie gar nicht mehr. Weil sie aber gelernt hatte, die Worte vom Mund abzulesen, wussten dies nur ihre engsten Verwandten und Freundinnen. Hellas Angebot blieb ungehört und Frau Breitinger unverdrossen über ihrem Formular.

Eine graue Gestalt eilte aus dem Schneetreiben auf den Eingang zu. Hella zog sich in den Kassenraum zurück. Natürlich durfte sie ihr Gehäuse nicht verlassen, erst recht nicht die Tür dabei offen lassen. Kalte Luft schwallte herein. Der Mann blieb an der Tür einen Augenblick lang stehen, die Mütze in die Stirn und den Schal über Mund und Nase gezogen. Flinke Blicke prüften die Rentnerin. Mit wenigen Schritten war er am Kassenschalter, schob eine Stofftasche in die Durchreiche und hielt Hella einen Zettel an die Glasscheibe. ICH SCHIESSE SOFORT. ALLES GELD IN DIESE TASCHE! Hella bewegte die Lippen tonlos und starrte den Fremden an. Das schwarze Mündungsloch seiner Pistole war unmissverständlich auf Frau Breitinger gerichtet.
Mit flatternden Händen griff sie nach der Tasche. „Lieber Gott, hilf mir“ betete sie, und ihre Stimme fragte dünn, „da hinein?“
„Natürlich da hinein, blöde Schlampe“, schrie der Mann mit überschlagender Stimme und fasste sich an den Hals.
Vierzig Jahre lang hatte Hella Winter bei der Raiffeisenbank in Moosdorf ihren Dienst versehen und war allen Problemen, auch den Unflätigkeiten ihrer Kunden, immer mit korrekter Höflichkeit entgegen getreten. Als ihre Enkelkinder einmal fragten, was sie tun würde, wenn ein Bankräuber käme, hatte sie erklärt, dass sie sich da keine Sorgen mache, „in unserem Dorf gibt es keine Bankräuber.“ Und nun das! Noch nie war sie so unflätig angebrüllt worden.
Ihre Hände zitterten, doch dann wurde sie plötzlich ganz ruhig, nahm Geldscheine aus dem Sortenkasten und begann zu zählen: „...sieben acht, neun, zehn, tausend“, zählte sie, notierte den Betrag mit Bankkauffraulächeln auf einem Block und legte die Scheine neben die Tasche. Dem Mann fiel die Kinnlade nach unten. „... sieben, acht, jetzt noch einen Zweihunderteuroschein, gleich tausend“, zählte Frau Winter wieder, notierte den Betrag und stapelte das Geld neben dem anderen. Der Räuber rang nach Luft und gestikulierte mit dem Mündungsloch. „... neun, zehn, gleich tausend“, zählte Hella Winter.
„Du sollst das Geld nicht zählen, sondern in die Tasche tun“, brüllte er und fasste sich an den Hals, wo sich seine Stimme wieder schmerzhaft überschlagen hatte. Hella notierte und schob das Geldbündel zur ordentlichen Stapelreihe. „...sieben, acht, neun, zehn, gleich fünfhundert“, zählte sie weiter, und ihre Stimme war ganz ruhig. Wieder notierte sie den Betrag und schob das Bündel zu den anderen.
Inzwischen hatte sich Frau Breitinger in gebührendem Diskretionsabstand hinter den Räuber gestellt, ohne zu bemerken, was da gespielt wurde.
Als der Mann dies sah, zweifelte er an seinem physischen Vorhandensein. Er tastete an seinem Körper. Dass er sich spüren konnte, wunderte ihn geradezu. Frau Winter notierte einen neuen Betrag auf ihrem Block.
„Die Tasche“, brüllte er, „geben sie mir sofort die Tasche!“
„Moment“, sagte Hella mit verbindlichem Lächeln und zählte schon das nächste Bündel, sie war inzwischen bei den kleineren Scheinen angekommen, zur runden Summe, um auch diesen Betrag zu notieren.
„Die Tasche, sofort die Tasche“ brüllte der Räuber, doch dann verließ ihn seine Stimme. „Geben Sie mir sofort die Tasche“ flüsterte er heißer, fast flehend.
„Selbstverständlich, mein Herr“, sagte Hella und schob die leere Tasche in die Durchreiche.
Der Mann riss sie an sich, stieß Frau Breitinger zur Seite und stürzte zur Tür. „Keine Dummheiten", krächzte er, fasste sich an den Hals und verschwand.
„Ist das aber ein unhöflicher Mensch“, sagte Frau Breitinger, und als sie sah, dass Hella leichenblass hinter ihrer Glaswand stand, „ist Ihnen nicht gut Frau Winter?“

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