110. Schritt
Ich hoffe ich bilde mir das nur ein, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß mich jemand verfolgt. Da ist so ein seltsamer Kerl, nicht schön, nicht besonders klug, höchstens etwas fremd wirkend. Er taucht überall auf wo ich bin!
Es scheint fast als könne ich ihn nicht loswerden. Ich sehe ihn sogar manchmal im Toilettenspiegel, aber ich glaube das ist nur eine Halluzination. Anscheinend sehe ich ihn überall und habe Angst, daß das schon zwanghaft ist.
Natürlich frage ich wo diese Erscheinung, dieser Mensch(?) herkommt. Von hier kann er nicht sein, dafür sieht er zu unerwachsen aus, obwohl er ungefähr in meinem Alter sein dürfte. Alle seine Bemühungen so etwas wie ein adultes Imago zu werden sind offensichtlich fehlgeschlagen – das kann ich sehen!
Was er von mir will kann ich nicht sehen! Wie also kann ich ihn loswerden? Muss ich ihn umbringen? Wie bringt man einen Schatten um? Vergisst man wer man ist? Springt man drüber? Über den Schatten – den seinen? Aber was lässt man dann zurück? Eine Leiche?
Oder kommt eine Leiche auf einen zu? Erkennt derjenige, der seinen Schatten übersprungen hat, noch sich selbst – oder ist er wenigstens in der Lage seine lebende Leiche zu erkennen? Nun, leider ändert das nichts daran, daß ich verfolgt werde!
Der mich verfolgt soll sich in Acht nehmen! Eines Tages werde ich mich ganz plötzlich umdrehen – so schnell, daß er sich nicht mehr verstecken kann. Und dann werde ich ihn vernichten…mit all seinen Fehlern!
Ob diese Fehler nun aussehen als seien es meine, ob er mir einen Spiegel vors Gesicht hält, ob er mich lobt, oder etwas völlig Unerwartetes mit mir anstellt – ich werde nicht über ihn springen! Und ich werde ihn trotzdem nicht, nein, niemals werde ich ihn anerkennen. Ich werde ihn nur vergessen können!
Im Land der Vergessenheit wird er verwünscht sein, begraben von meinen Erinnerungen, unfähig sich daraus zu befreien. Und ich werde ihn auslachen, wie ich die ganze Welt auslachen werde. Die Welt mit ihren Affengesichtern, die weder mir, noch meinem Verfolger ähneln. Und ich werde still sein!
In der Ruhe liegt die Kraft! Sammeln werde ich mich darin – nichts werde ich mehr beachten. Nur noch ruhig werde ich mich verhalten: uninteressiert!
Mein Verfolger ist da! Ebenso, wie er nicht da ist. Das werde ich ihm heimzahlen! Zeigen werde ich ihm, wie sehr ich ihn ignorieren kann. In der Straßenbahn zum Beispiel, überall wo wir uns blicken lassen, da werde ich er nicht sein!
Dann kommt die Befreiung! Ganz alleine werde ich vor oder hinter mir her gehen, nicht auf mich achten, nicht auf meinen Verfolger, den es nicht gibt. Am besten ich achte nicht einmal auf Welt. Aber „in Wirklichkeit“ bist du, dieser dämliche Verfolger, die Welt für mich: ein seltsames Nichts aus Lügen und Unfähigkeiten, die, allerdings, im Verhältnis zu dem, mich umgebenden, primitiven Wahnsinn nur scheinbar bestehen!
©Alf Glocker