Schon als ich klein war, liebte ich es, den Autos vor unserem Haus zuzuschauen, wie sie in Richtung Süden fuhren. Später liebte ich es, an einer belebten Einkaufsstrasse zu wohnen und den Menschen zuzuschauen, wie sie von einem Geschäft herauskamen und bei einem anderen wieder hineingingen. Jetzt wohne ich mitten auf dem Land, direkt an der grossen Ameisenstrasse A1, die quer durch Europa führt. Vor einiger Zeit habe ich mit zwei langen Rohren, in die Botenstoffe gespritzt werden, die A1 mit meinem Haus verbunden. Seither geht die Ameisenstrasse quer durch mein Wohnzimmer. Stundenlang sitze ich jetzt auf dem Sofa und schaue mit dem Fernglas den Ameisen zu, wie sie zu Hunderten an der Nordseite durch eine Öffnung aus der Wand kommen. Mit schwerer Ladung marschieren sie dann in einem Glasrohr über dem geheizten Boden durch das Wohnzimmer und verschwinden an der Südseite wieder durch eine Öffnung in der Wand. Bereits habe ich begonnen, den Ameisenverkehr statistisch zu erfassen. Und wenn ich dann stundenlang den Ameisen vom Sofa aus zuschaue, habe ich manchmal Erbarmen mit ihnen. Ich überlege mir jetzt, wie ich an der A1 im Wohnzimmer eine Raststelle mit freiem Zuckerwasser anbauen kann.
© René Oberholzer