Wegen der feuchten Nebelluft knistern die Stromkabel über dem Gleis.
Dieses Geräusch hallt bis zum Bahnsteig und hinterlässt ein Gefühl in mir,
dessen Echo in der Stille immer wieder nachklingt.
Montag 8.30 Uhr
Der Zug in die Stadt ist fast leer. Ein paar Menschen fahren zur Arbeit, ein
paar Schüler gehen zur Schule. An den Fenstern läuft eine Dia-Show,
bestehend aus immer schneller wechselnden Landschaftsbildern und nur
die Brandlöcher bleiben im Gedächtnis. Das Mädchen gegenüber hat
dunkles Haar und grüne Augen, in welchen noch die letzte Müdigkeit des
Wochenendes liegt.
Dienstag 8.30 Uhr
Jeden Morgen sind wir fast allein im Zug. Sie hat weiche, volle Lippen
und blättert in einem Buch von Sartre. Der Ekel. Aber sie liest nicht. Man
sieht es in ihren Augen. Sie ist mit ihren Gedanken ganz wo anders. Der
Kaffee in ihrem Becher dampft noch. Ich mag keinen Kaffee, aber sie hat
wunderschöne, unglaublich traurige, grüne Augen.
Mittwoch 8.35 Uhr
Sie schaut nervös auf ihre Uhr. Der Zug hat Verspätung und ihre Haare
sind noch feucht vom Herbstnebel. Eine einzige, einsame Träne tropft auf
das Glas ihrer Armbanduhr und wäre es nicht da, dann würde die Zeit ihre
Tränen verwischen.
Donnerstag 8.30 Uhr
Ich denke mir etwas Neues aus, will die Trauer mit einem Lächeln
vertreiben. Als sie zurück lächelt, sehe ich für einen kurzen Augenblick
nur das klare, ungetrübte Grün ihrer Regenbogenhaut, das jetzt noch viel
schöner ist als jemals zuvor. Getragen von einer Welle der Euphorie, will
ich ihr sagen wie wunderschön sie ist. Morgen werde ich es tun, werde
versuchen für immer ihre Tränen zu trocknen.
Freitag 9.00 Uhr
Der Zug wird nicht fahren. Personenschaden am Gleis. Sie sagen es sei ein
junges Mädchen. Mit dunklen Haaren und wunderschönen, grünen Augen,
in den bis zuletzt eine stille, unüberwindbare Trauer lag. Ich stehe hier am
Bahnsteig. Bitte komm. Ich will die Trauer von dir nehmen, dir tief in
deine grünen Augen sehen und dir sagen, dass du das wunderschönste bist,
das ich jemals gesehen habe. Wegen der feuchten Nebelluft knistern die
Stromkabel über dem Gleis. Dieses Geräusch hallt bis zum Bahnsteig und
hinterlässt ein Gefühl in mir, dessen Echo in der Stille immer wieder
nachklingt.