Schnicksenpogo - Page 2

Bild von Ria Klug
Bibliothek

Seiten

und stützt sich schnaufend auf den Tresen.
»Feiaabend jroß oder kleen?« Tom kichert.
Bei ihm kann sich Swantje jeden dämlichen Witz erlauben. Sie ist eben jung, blond und langhaarig. Ich würde für so was einen Anschiss kriegen. Überflüssig zu erwähnen, dass ich weder richtig blond noch richtig jung bin.
Stirnrunzelnd beobachtet mich Tom beim Trinken.
»Die jehn mir uffn Sack, die vonner Jewerbeuffsicht. Ik dachte wenn ikn Klub uffmach, lassen die mir in Ruhe. Immer ham die wat Neues: Ick solln Feuerlöscher inner Küche uffhängen. Janz schön jroßzüjisch mit mein Jeld. Nächste Woche kommse nachkieken. Weeßte Bescheid. He, eens is jenuch.«
Ich sags ja, verdammter Geizkragen. 
     
Auf den ersten Blick wirkt der späte Besucher eigentlich ganz normal. Sofern normal für jemand gelten kann, der seinen Schädel auf einer Seite kahl rasiert und auf der anderen Seite die Haare schulterlang und schwarz gefärbt trägt. Auffallend ist seine Blässe, tagsüber ist er wohl selten unterwegs. Er kommt direkt zu uns und sieht sich nicht groß um, was eigentlich alle machen, die zum ersten Mal hier aufkreuzen.
Er tritt vor die Theke und redet. Dabei starrt er ins Leere.
»Wo ist Leonie?«
Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Tom zuckt die Achseln.
»Weeß ik nich.«
»Den ganzen Weg muss ich an Leuten vorbei mit kaputten Chakren. Habe ich die Tortur etwa auf mich genommen, nur damit du mir sagst, du weißt nicht wo sie ist?«
All das sagt er leise, fast beiläufig. Dabei stiert er auf die Biergläser.
»Ik weeß et ehm nich. Habse schon länger nich jesehn.« 
»Aber du hast sie mitgenommen. Du bist verantwortlich. Du hast sie ausgeliehen. Wo ist Leonie?«
Tom nestelt eine neue Kippe aus der Packung. Auf mich macht er einen nervösen Eindruck. Sein Blick wandert hektisch umher.
»Wer ist Leonie?«
Der Typ fixiert einen Punkt irgendwo rund um meinen Kehlkopf, bevor er mir antwortet:
»Du nicht.«
»Danke für die Aufklärung, da wäre ich so schnell nicht drauf gekommen.«
»Ich kenn die Meinung vom Mond. Damit hast du wohl nicht gerechnet, aber du hältst dich jetzt raus.«
Das kommt zwar immer noch leise, aber sehr drohend. Sieht so aus, als wäre Humor nicht seine stärkste Seite.
»Der hat dochn Rad ab«, sagt Swantje und mustert ihn. Der Typ stiert auf ihren Kehlkopf.
»Ich habe eine schizoaffektive Psychose und neige zu destruktiver Kompensation und ich will jetzt Leonie.«
Er reißt Swantje das Tablett unter den Ellenbogen weg und säbelt damit die drei Biere um, die Tom zapft. Dem fällt vor Schreck die Kippe aus dem Maul. Die Finger kann er gerade noch wegziehen, aber sein Wanst trieft.
Ein weiterer kurzer Schwenk mit dem Tablett und die Scherben spritzen. Tom bückt sich und greift nach dem Schlagstock, den er für solche Fälle immer bereit hält. Der lange Abend und die vielen Biere haben ihn aber langsam gemacht. Als er den Kopf beugt, bekommt er das Tablett auf den Zylinder.
Tom jault auf und torkelt zurück. Er scheppert gegen das Barregal, hält aber den Knüppel fest umklammert. Sein Fehler, denn jetzt knallt der Tablettrand auf sein Handgelenk. Der erneute Aufschrei ist selbst für eine SM-Kneipe zu heftig. Der Knüppel rumpelt auf seine und vor meine Füße, gefolgt von Tom selbst.
»Hör auf!«
Kreischend krallt sich Swantje in Haare und Mantel des Typs. Sicher tut es ihm weh, trotzdem verzieht er kaum eine Miene. Er keilt nach ihr aus. Sie quiekt und japst, lässt aber los, denn er erwischt sie voll. Mit dem linken Arm nimmt er Swantje in den Schwitzkasten. Das Tablett rasselt auf den Boden. Der Typ zieht ein Cuttermesser aus der Manteltasche.
»Wo ist Leonie? Sags, sonst schlitz ich die hier.«
Dies gilt Tom, der sich kahlköpfig und mit  schmerzverzerrtem Gesicht wieder nach oben gearbeitet hat. Sein Haarkranz ist zerzaust, das getroffene Handgelenk wirkt ungesund abgeknickt.
»Ik weeß doch nüscht, hör uff ...« So weinerlich habe ich Tom noch nie gehört.
Der Typ drückt den Schwitzkasten noch fester und fährt die Klinge aus.
»Dein Kronenchakra ist Dreck, ich seh hinter welchem Mond du dich versteckst. Dafür müsst ihr bluten.«
Swantje quietscht und zappelt. Die Klinge fährt unbeirrt über ihre nackte Schulter und hinterlässt eine blutige Linie.
Mir wird das endgültig zu viel. Ich weiß zwar, dass Swantje mit Tom rummacht und dafür Strafe verdient, das geht aber  zu weit. Ich raffe den Knüppel auf, beuge mich weit über die Theke und knalle ihn auf die kahle Schädelhälfte. Der Typ sackt zusammen und begräbt Swantje unter sich.
»Nel, ik brauchn Krankenwagen, ooch, meene Flosse, der hat meene Flosse jebrochen. Naila soll abhaun, los, mach schon.«
Mit bitte hat ers nicht so. Swantje ist ihm auch nicht so wichtig. Sie krabbelt unter dem Typen raus, während ich die EinsEinsNull in die Tasten haue. Über ihre linke Schulter zieht sich ein Schnitt bestimmt zwanzig Zentimeter den Oberarm herunter. Das Blut läuft, von ihren Fingern tropft es. Eine Tropfenspur zieht sich bis zu dem schwarzen Klumpen, aus dem die blanke Kopfhaut herausleuchtet. Auch dort fließt Blut und speist eine Pfütze. Mein Mageninhalt gerät ins rotieren.
Ich lenke mich ab, indem ich ein frisches Handtuch aus der Küche hole. Gar nicht so einfach, aber schließlich finde ich noch eins. Naila ist spurlos verschwunden.
»Naila, wo steckst du? Tom sagt, du musst abhauen.«
Ich presse das Handtuch auf Swantjes Wunde und sehe mich um. Den schwarzen Klumpen spare ich dabei aus.
Tom fummelt mit einer Hand und unter leisem Gejammer eine frische Kippe aus seiner Packung. Swantje zittert und schluckt krampfhaft. Sie ist bleich wie ein Fladenbrot.
»Was war das ... was wollte der?«, flüstert sie immer wieder.
Ein paar der letzten Besucher haben sich eingefunden, mit aufgerissenen Augen stehen sie im Weg rum und sabbeln dummes Zeug.
Fast zeitgleich mit dem Krankenwagen sind auch die Bullen da. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wäre sonst mit dem Gros der Gäste verschwunden. Zu viel Öffentlichkeit ist vielen nicht geheuer.
»Wer hatn hier so druffjehaun?« fragt einer der Sanitäter. »Wat wenijer wär ooch jenuch jewesen.«
War doch klar, mach ich nix, ist es verkehrt, mach ich was, auch. Woher soll ich wissen, wie fest ich draufhauen soll? Ich hab da wenig Übung.
Den Typ verladen sie auf eine Trage. Er und Tom sollen mit ins Krankenhaus zum Röntgen. Swantje wird sofort verarztet, bei ihr sieht es schlimmer aus, als es ist. Die Polizisten notieren unsere Personalien und fragen nach den Ausweisen. Das lassen sie sich nicht nehmen.
Dann dürfen die Sanitäter mit Tom und der Trage abrücken. Ich höre, wie sie im Hinausgehen darüber diskutieren, ob Tom im Krankenwagen weiterrauchen darf und ob qualmen wirklich gegen Toms Schmerzen hilft. 
Ein Cop geht mit den Ausweisen zum Streifenwagen, der andere quetscht Swantje und mich weiter aus. Er interessiert sich brennend dafür, was wir hier gemacht haben. Ihr nimmt er das Gast sein noch ab, aber bei mir stutzt er dann doch:
»Sind Sie sicher, dass Sie hier nicht arbeiten? Also das T-Shirt mit den ganzen Flecken, die Hose auch. Die anderen Gäste hier sehen aber ganz anders aus.«
»Ich hab nen Küchenfetisch, aber das muss unter uns bleiben.«
»Küchenfetisch? Das müssen Sie mir mal genauer erklären.«
Die Skepsis ist nicht zu überhören. Die Neugier auch nicht. Eigentlich hatte ich das nicht ernst gemeint. Aber vielleicht ist dies die unverhoffte Chance. Zu gerne möchte ich mich rausreden.
»Also, ein Fetisch ...«
Der andere Polizist kommt zurück und baut sich vor mir auf. Mit meinen Perso in der Pfote starrt er mich an.
»Dit ist also Ihrer? Soso. Dann sind Sie Herr Artjens. Da liegt ja Einijes jejen Sie vor. Am Besten, Sie kommen mal mit uns, für ein Protokoll. Die Kollejen von der Kripo haben bestimmt ooch Sehnsucht nach Ihnen.«
»Aber dieser Kerl hat hier randaliert und ich wollte doch nur ...«
»Wer hier wat jemacht hat, sehen wir noch und nach allem, wat ik eben jehört habe, verstehen Sie vom Randalieren ooch wat. Also, schnappen Sie mal Ihr Zeug und kommen Sie.« 
Mit offener Klappe stehe ich vor ihm und muss zusehen, wie er mit dem Perso rumwedelt. Gerade passiert genau das, was auf keinen Fall passieren durfte. So ein verdammter Mist.
»Allet Klärchen?«
Damit drängen sich zwei weitere Uniformierte in den Schankraum. Sie drehen neugierig die Köpfe.
»Ja, Kollejen, wir rücken gleich ab.«
Die Beiden machen trotzdem keine Anstalten zu gehen. Sie schleichen herum, betrachten die Ösen und Ketten, dann die SM-Pin-Ups.
»Komische Kneipe«, sagt einer.
»Das ist ein Club«, rufe ich.
»Ik weeß, wie sowat jenannt wird. Janz schön mickerichet Loch«, bemerkt der andere.
»Nee, kiekma, hier gehts noch weiter.«
Sein Kollege hat den Kellerzugang gefunden. Sie trampeln die Stahltreppe runter. Nach einer Minute kommen die letzten Perversen hastig nach oben.             
»Was ist denn hier los? Schnell, zahlen, zwei Chili, einmal Nachos, fünf große Radler, wir wollen abhauen.«
Bevor ich eingreifen kann, zückt Swantje den Geldbeutel und rechnet zusammen.
»Ach, Sie arbeiten also doch hier? Warum haben Sie uns das  nicht gleich verraten?«
Der Polizist wirkt wie ein Köter, der gerade den Knochen aufgespürt hat und ihn ausbuddeln will. Ich verdrehe die Augen und sage:
»Sie hat sicher den Sinn Ihrer Frage nicht erfasst. Versuchen Sies doch mal mit kurzen, einfachen Sätzen.«
Swantje macht runde Augen.
»Kümmer du dich lieber um deinen eigenen Mist, sonst sag ich Tom, dass er dich rausschmeißt. Hast du die Küche fertig?«
»Dit ist ja interessant. Jibet noch mehr, wat wir wissen sollten?«
Der Polizist glotzt uns abwechselnd an und macht sich Notizen.
»Reicht doch, oder?«
Mehr dazu fällt mir gerade nicht mehr ein.
»Was ist denn nu mit Bezahlen?«
»Ik will ooch ma. Zwee Mollen un zwee Wassa un ...«
Jetzt ist sowieso alles wurscht, ich gehe in die Küche und hole meine Sachen aus dem Putzmittelschrank. Das restliche dreckige Geschirr und was sonst noch so rumsteht, ignoriere ich, nur mein Bier trinke ich noch aus. Dabei überlege ich, wo Naila stecken könnte, ihre Jacke und Tasche sind noch da.
Das Küchenfenster steht immer noch einen Spalt offen. Ein verführerischer, kalter Luftzug streift mich. Ich stelle das Glas ab und räume das Geschirr weg, das sich auf der Fensterbank stapelt.
»Was machen Sie da noch?«, höre ich die Polizistenstimme in meinem Rücken. »Sie wollen doch nicht etwa abhauen?«
Ich reiße das Fenster auf, stehe mit einem Ausfallschritt auf der Fensterbank und springe hinaus. Den Weg kenne ich gut.
Mit Gebrüll verfolgt mich der Uniformierte. Über die Mauer in den zweiten Hof schaffe ich es. Sogar noch bis zur Straße. Dort renne ich dem zweiten Beamten in die Arme. Der klatscht mich gegen die Hauswand, kickt mir die Beine auseinander und tastet mich ab.
Der Kollege, der mich verfolgte, zieht Handschellen heraus.
»Das ist nicht nötig«, keuche ich, »ich habe keine Puste mehr und bin jetzt ganz folgsam.«
»Sicher ist sicher«, erwidert der Cop und fixiert meine Hände auf dem Rücken. »Wer auf so blöde Ideen kommt, dem trau ik nich. Die Personalien hamwa doch schon. Du bist jedenfalls vorläufig festgenommen. Und jetzt auf, in den Wagen.«  
Naila taucht wieder auf, als ich im Streifenwagen sitze. Diesmal am Schlafittchen gepackt von einem der neugierigen Uniformierten, die den Keller besichtigten.
»Hier hamwa noch Eene, die hat sich innem Fach unter der Theke vasteckt. Nehmtse ma ooch mit, ik jloob, dit ist ne Illejale. Wurde Zeit, det wir hier mal uffjeräumt haben, wa?«

Veröffentlicht / Quelle: 
Schnicksenpogo [Broschiert]; Fhl Verlag Leipzig; Auflage: 1 (13. Januar 2012)

Seiten

Mehr von Ria Klug lesen

Interne Verweise