Die Besuche im botanischen Garten wurden im Laufe der Jahre immer seltener und hörten schließlich ganz auf. Das Gebäude am Ende der Main Street war in Vergessenheit geraten. Viele neue Interessen, Freunde, begeisternde sportliche Aktivitäten und zunehmend schulische Herausforderungen hatten die Kindheit verdrängt und dem D-Zug der Jugendlichkeit Platz gemacht. Die erste große Liebe bahnte sich ihren Weg. Ihr Name war Tabea. Ein Mädchen aus der Nachbarschule, von atemberaubender Schönheit.
Mein D-Zug fuhr mit fliegenden Fahnen auf höchster Geschwindigkeit. Die Funken sprühten und die Momente flogen dahin. Fast geriet der Zug ins Schlingern.
Im Frühsommer standen die Schulabschlussprüfungen an. Die rasante Fahrt musste gedrosselt werden, um diese Haltestelle nicht zu verpassen. Schließlich war ich angekommen, das Zeugnis in der Hand – Euphorie pur! Sobald der neue Fahrplan studiert war, würde ich wieder volle Fahrt aufnehmen.
Erstmal wurde aber gefeiert! Die Abschlussparty fand im Ausstellungsgebäude des botanischen Gartens statt. Das war eine fantastische Lokation für mehr als 300 Gäste, mit einer großen Außenterrasse direkt neben dem Gewächshaus. Meine Freunde, Tabea und ich tanzten ausgelassen und wie befreit zur Musik von den aktuellsten DJs, zu Rock & Roll und neu vertonten Klassikern. Wir fühlten uns jung und cool bei den neusten Scheiben und die alten Musikjuwelen zeugten davon, dass wir schon so viel mehr gesehen hatten, als die Juniorklassen unter uns.
Auf der Außenterrasse vibrierte das Glas der Gewächshäuser im Rhythmus der Bässe. Die Lightshow strich über die Glaskuppeln und die Farbkegel auf dem Schmetterlingshaus erinnerten mich an die Bilder aus meiner Kindheit.
Tabea und andere der jüngeren Mädchen wurden um zwei Uhr vom ´Fahrdienst der besorgten Eltern´ abgeholt. Das trübte meine Stimmung ein wenig, aber nur kurz. Es war schließlich meine Abschlussfeier und nach dem Zwischentief genoss ich die Nacht in vollen Zügen im Kreis meiner Freunde weiter.
Mit den ersten Lichtstrahlen versammelten sich die verbliebenen Party-Gäste zum Sit-in auf dem Tanzparkett. Kerzen wurden angezündet. Wir ließen die gemeinsame Schulhistorie, Geschichten und Personen darum herum genüsslich Revue passieren. Zusammengefasst hatten wir wohl viele Helden in unserem Jahrgang, wobei Einzelne jedoch immer wieder hervorstachen.
Schließlich wurde die letzte Kerze gelöscht und alle machten sich auf den Heimweg. Noch berauscht von der Nacht ließ ich meinen Gedanken freien Lauf und achtete nicht weiter auf den Weg. Die Sonnenstrahlen hatten sich inzwischen über den Morgennebel erhoben und tauchten die Straße vor mir in ein silbriges Licht. Es war die Main Street. Am Ende glitzerte die riesige Glaspyramide aus meiner Kindheit. Ich ging weiter, wie von einer unsichtbaren Kraft angezogen. Schließlich stand ich vor dem riesigen Portal aus schwarzem Metall. Ich musterte die Hieroglyphen in der Hoffnung im nun fortgeschrittenen Alter etwas entziffern zu können. Plötzlich öffnete sich die Tür wie von Geisterhand. Das Innere erschien wie im Nebel, schemenhaft und undeutlich. Nach einem kurzen Zögern trat ich ein…
Fortsetzung folgt...