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immer weiter verfällt und die Hochschulen aus allen Nähten platzen. Eine Selektion über angemessene Studiengebühren würde hier schon Abhilfe schaffen. Denis, mein Freund, einmal ehrlich: Deine einfältige Schwester mit ihrem billigen NRW-Abitur gehört eigentlich eher hauptberuflich bei ALDI hinter die Kasse! Das ist doch wahr, oder?‘
Ebenso süffisant grinsend wie erwartungsvoll betrachtete der große Sozialexperte den geschätzten Freund, voller Vorfreude auf dessen voraussichtlich ernsthafte und ungeschickte Verteidigung. Genau genommen verzichtete Perseus nach dem Restaurantbesuch auf das standesgemäße Taxi und bestand auf den 20 minütigen Fußmarsch zum angesagten Pub der schlecht kreierten Promiabziehbilder, um seinen mittellosen Mitschüler so richtig zu verarschen – er liebte derartiges und fühlte sich dann in seiner ganzen Mickrigkeit ganz groß. Jedoch fiel dieses Mal die Reaktion ganz anders aus als erwartet, da Denis ein geeignetes Objekt zur Ablenkung gefunden hatte.
‚Was ist denn das da?‘
Jetzt befand sich auf einem kleinen Hügel nordöstlich unserer beiden Helden ein hell erleuchtetes, frisch renoviertes – man hatte sich endlich dazu entschlossen, die alten Flakscheinwerfer durch eine moderne Flutlichtanlage zu ersetzen - Freizeitrelikt der tausendjährigen Herrschaft. Einst entwarfen gar arische Kommunalgrößen hier eine Art Holzfestung mit Wehrtürmen, Laufgräben und sonstigen Ertüchtigungsinstrumenten an denen muntere Hitlerjungen den Endsieg proben konnten. Obwohl dabei der eine oder andere Nazi-Junge draufging, erfreute sich die Anlage doch großer Beliebtheit. Spätere Generationen der städtischen Nomenklatura ließen die Laufgräben zuschütten und führten dann einige Umbauten durch, sodass die unbedarfte ‚jeunesse dorée‘ sich auch weiterhin hier weniger martialisch vergnügen konnte. Jetzt befand sich vor einem der Wachtürme eine alte Krüppeleiche, die in heroischen Zeiten das außerordentliche Pech hatte, für schrumpfgermanische Pseudorituale herhalten zu müssen, die eine braune Laienspielschar mit steter Regelmäßigkeit veranstaltete; nach 1945 litten die Protagonisten dann unter ebenso schlecht inszenierter Amnesie. Offensichtlich gab dem arg gebeutelten Baum vor kurzem ein böses Missgeschick sozusagen den Rest, sodass dieses traurige Stück Flora halb entwurzelt hart gegen den Hügelrand lag.
Überrascht und unangenehm berührt betrachtete der vor-nehme Akademikersohn den Fragesteller mit dem vorwurfsvollen Blick eines Sechsjährigen, dem man seinen Dauerlutscher entwendet hatte, an.
‚Wie bitte? Was ist was?‘
Der wenig begüterte Gefährte deute mit dem rechten Zeigefinger auf den armseligen Baumkadaver.
‚Na der umgestürzte Baum da!‘
‚Der Hellste bist Du wahrlich nicht, mein Lieber. Wie Du schon sagtest: Ein umgestürzter Baum eben!‘
Entsetzt über so viel Stupidität auf einen Schlag schüttelte der verhinderte Schönheitskönig sein attraktives Haupt.
‚Ich finde, wir sollten uns den genauer ansehen!‘
Bevor sein Kumpan darauf reagieren konnte, bewegte sich Marius zielstrebig auf den Gegenstand der sich anbahnende Kontroverse zu.
‚Warum sollen wir uns dieses dreckige, tote Stück Holz ansehen? Hey Du Simpel, warte! Also gut, betrachten wir das Teil einmal von der Nähe, wenn es Dein einfaches Gemüt denn glücklich macht!‘
Mit einem tiefen Seufzer machte sich Perseus daran, seinem Faktotum zu folgen.
Nach einigen Minuten und ohne allzu große Erwartungen erreichte Denis die verunfallte Eiche. Es blieb nur zu hoffen, dass das Ablenkungsmanöver ausreichte und sein Gönner nun den Spott auf dem restlichen Weg zum spießigen Treffpunkt halbwegs vermögender Möchtegerns nicht über seine Familie ergoss, sondern sich auf den idiotischen Gang zum Baum konzentrierte. Eher gelangweilt blickt der Bettelstudent in die Grube, die der halbwegs entwurzelte Baum hinterließ und erlebte eine unheimliche Überraschung der dritten Art.
‚Marius, Du alter Prim, uff, was starrst Du denn so in dieses Drecksloch? Hast Du da etwa einen Verwandten entdeckt?‘
Derweil erreichte auch der durchgestylte Abkömmling sich für gehobenen haltender Gesellschaftsschichten leicht schnaufend den Ort des Geschehens.
‚Da ist eine Kiste drin!‘
‚Wärst Du nicht so ein einfältiges Gemüt, dann würde ich fast wagen zu sagen, Du verscheißerst mich jetzt. Geh mal weg da!‘
Unsanft schob der ultimativ kultivierte Antigonide den treuen Gefährten zur Seite.
‚Tatsächlich, mein unbedarfter Freund, da ist ja wirklich so ein Teil drin.‘
Eine rote, antik aussehende Truhe mittlerer Größe blinkte dem Betrachter verführerisch entgegen.
‚Also hopp Marius, Du springst jetzt da rein und bringst mir das Teil! An Deinem billigen Outfit fällt ein bisschen mehr oder weniger Dreck gar nicht auf; los geht’s‘
Wortlos stieg der so Angeleitete in die hüfthohe Grube und bot nach handgemachter Buddelarbeit das gewünschte Objekt der Begierde seinem Mitschüler dar.
‚Idiot! Stell das Dingen gefälligst auf den Boden und komme aus diesem lächerlichen Loch heraus!‘
‚Die ist wirklich ganz leicht, die kannst Du ruhig nehmen!‘
‚Du Kretin glaubst doch wohl nicht, dass ich mir an dem Dingen die Hände schmutzig mache. Ich bin doch kein stinkender Arbeiter - lächerlich diese Asozialen!‘
Mit ausdruckloser Miene tat der nachdrücklich Gescholtene wie ihm geheißen.
‚Das arme Leute immer so dreckig sein müssen! Denis, mein Freund, Du siehst völlig unmöglich aus mit all dem Schmutz. Jetzt komm, öffne die Truhe, aber sei vorsichtig, vielleicht ist die mit einer Falle gesichert, die Du noch vorher entschärfen musst. Ich habe keine Lust, Dein Blut noch hinterher auf meinem Anzug zu haben: Der ist schließlich von Giorgio Armani!‘
Für einen kurzen Augenblick flammte in des Werktätigen Gehirn der Gedanke auf, ob man die Truhe nicht auch unter Zuhilfenahme des blondgelockten Hauptes seines Gönners – etwa durch einen kräftigen Schlag mit dem Behältnis auf das selbige – zu öffnen vermochte.
‚Was immer du wünschst! Moment, das lässt sich leicht öffnen. Merkwürdig? Da sind doch tatsächlich eine Schatulle, ein Dolch und wohl ein Brief drin.‘
‚Geh mal weg! Cool, das ist ja ein Flammdolch und wie es aussieht auch noch aus Silber! Kein bisschen oxidiert – wo wohl die Scheide abgeblieben ist?‘
Bewundernd hielt Perseus den Kunstvoll gefertigten Dolch und der Hand und maß ihn mit vermeintlichem Kennerblick, obwohl seine Expertise hinsichtlich des exquisiten Objekts eher gegen null tendierte. Die helfende Hand wiederum beschäftigte sich mit dem Brief, der unschwer zu öffnen war. Kurze Zeit las er das alt aussehende Papier, während sein Mienenspiel zwischen Erstaunen und Unglauben driftete. Schließlich hielt es der verunsicherte Leser – nein Freunde, ich meine jetzt nicht euch – es für ratsam, seinem verzückten Mäzen die irritierenden Zeilen vorzulesen.
‚Perseus, hör Dir mal das an!‘
‚Nicht jetzt Du Simpel! Siehst Du nicht, dass ich beschäftigt bin!‘
‚Aber das ist wichtig, Du solltest Dir das anhören!‘
Mit einem genervten Seufzen nach Gutsherrenart ließ der unwissende Kunstexperte von weiteren Betrachtungen des Kleinods ab und schenkte dem Störenfried einen Blick, mit dem wohl in früheren Zeiten ostelbische Junker besonders