Story XXVI: Der große Zapper - Page 2

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sich mächtig in von oben gewünschten Vorurteilen bestätigt fand. Freilich sollte sich einige Jahre später herausstellen, dass der dreiste Übeltäter in Wahrheit Karl Krause hieß und ein vom Sender angestellter Schauspieler war; aber das interessierte zu der Zeit niemanden mehr.
„Da wolln Se, dat ick auf Harst arbeiten tu. Dat is von Gelsum, wo ick wohnen tu, 2 Kilometers entfernt! Nee, nee! Un dann noch innen Pommesbude roboten für schlappe 2000 Euronens. Wenn dat aufn Bürro wäre, so als Chef oder so, können wa darübber reden. Aber vier Mille netto müssen schon drinne sein…“
Während Krause alias Grübel seinen wohl einstudierten Text weiter vortrug, wurde er allmählich ausgeblendet, und eine salbungsvolle Stimme aus dem Off eröffnete die nächste Szene.
„So philosophiert Deutschlands frechster Sozialbetrüger über die Nachteile ehrlicher Arbeit! Da ist Familie Fakenstein aber ganz anderer Ansicht!“
In einem vom Sender gepimpten Wohnzimmer befand sich die sorgfältig ausgesuchte Großfamilie, deren alleinerziehendes, weibliches Oberhaupt soeben ihren arbeitssuchenden Sohn zurechtwies.
„Junger Mann, so geht dat nicht! Wir leben auf Existenzminimum!“
Subtiler als beim vorherigen Darsteller erfolgte hier das Armen-Bashing durch das Einblenden des sauteuren 100-Zoll-Plasmafernsehers, den ‚Kabeldreck II‘ aus reiner Nächstenliebe der Familie unter der Hand für die Dauer der Dreharbeiten geliehen hatte.
„Ich möchte aber nicht mehr als Hilfskraft auf dem Bau arbeiten!“
Eindrucksvoll erfolgte nun eine Großaufnahme der Markenschuhe des ‚schwarzen Schafes‘ der Familie. Wer hat wohl die Treter dem renitenten Filius vor Drehbeginn mit der Auflage geschenkt, die auch bei jeder Aufnahme zu tragen?
„Abi will der Herr machen! Ich sag nur: Schuster bleib bei Deine Leistens. Da musse die Arschbacken zusammenkneifen und endlich malochen. Was willse auf der Schule? Dat is nix für unsereins. Nimm Dich ein Beispiel an Deine Schwester, die is hochbegabt mit nem IQ von 146, sagen se. Die geht 10 Stunden putzen zum Mindestlohn und sauft sich die interlellen Zellen abends weg, weil die aus unserem Viertel is und daher sowieso keinen anständigen Job bekommt.“
„Während Mutter Fakenstein Ihren leistungsunwilligen Sohn zurechtweist, kümmert sich Urgroßmutter Babuska liebevoll um die 10 Kinder ihrer Enkelin Baba Jaga …“
Mit einem unwilligen Seufzen bediente der gequälte Zuschauer einmal mehr seine Fernbedienung. Natürlich, ohne nicht vorher einen großen Schluck aus der Flasche zu nehmen.
„Wir haben begriffen! Bis 2040 werden wir völlig CO2-frei sein – ganz, ganz ehrlich! Als wahre Freunde der Umwelt haben wir glatt 1000000 großzügig subventionierte E-Autos bestellt, für deren Lithiumbatterien wir gerne südamerikanische Landschaften verwüsten und die dort ansässige Bevölkerung plattmachen lassen. Stromerzeugung? Kein Problem, denn der kommt ja aus der Steckdose! Außerdem hat unser innovatives Unternehmen Spezialisten für Sonnen- und Windtänze engagiert, wenn sich das Wetter den erneuerbaren Energien tatsächlich verweigern sollte. Auch hat unser megalomanisch großartiger Konzern für eine klimaneutrale Entsorgung des entstehenden Elektromülls gesorgt! Fleißige, afrikanische Kinder zerlegen in Windeseile mit Brechstangen fast umsonst die umweltschonenden Karossen und verbuddeln die lästigen Batterien im tiefen Dschungel oder werfen sie in breite Flüsse. Darum sei keine alte Umweltsau, sondern kaufe sofort unseren Sch…“
Hysterisch kichernd und trotz seines Alkoholkonsums leicht panisch, schaltete das Opfer von grünlackiertem Konsumterror den Televisor um. Ohne wirklich zu realisieren, welche Foltersequenz die Glotze jetzt für ihn bereithielt, nahm Frank bei dem Gedanken an die CO2- und wohlstandsfreie Zukunft, die ihm die Herrschenden zu bescheren gedachten, diesmal einen Riesenschluck aus der Flasche.
„ …so kommandierte Zhèng eine Armee von bis zu 600.000 Soldaten. Um hier die richtigen Maßstäbe zu verdeutlichen, haben die universalgebildeten Autoren dieser Dokumentation nach intensiver Recherche herausgefunden, dass Rom im gleichzeitig stattfindenden 2. Punischen Krieg nur insgesamt 6000 Mann aufbieten konnte…“
Der gebenedeite Zapper stieß einen leichten Fluch aus und bediente schnell die Fernbedienung, da ihm nicht der Sinn nach einer Doku stand. Das hatte allerdings nichts mit dem Bullshit zu tun, den man ihm soeben televisionär erzählte, da unser Mann bereits zu jener Generation gehörte, deren Schulbildung im Sinne der Mächtigen und der Verblödung der Massen höchst eindimensional ausgerichtet war.
Hier sollte der Autor erwähnen, dass er Ohrenzeuge von derartigem Schwachsinn im Rahmen einer Dokumentation über den ersten chinesischen Kaiser sein durfte. Vielleicht verwechselte man hier einfach die Sollstärke, die circa 120 Jahre später eine römische Legion besaß, mit der Anzahl der in diesem langjährigen Krieg kämpfenden Soldaten. Allein in der berühmten Schlacht von Cannae (216 v.u.Z.) kämpften 80000 Römer und Bundesgenossen. Was den Rest anging, so mangelte es dem Verfasser dieser zwielichtigen Zeilen an Kenntnissen der chinesischen Geschichte.
„Ein Kind muss tun, was ein Kind tun muss!“
Der amerikanische Kleinbauer sah seiner 12-jährigen Tochter vergnügt mit seinen treublauen Augen an, während die im Schweiße ihres Angesichts fröhlich lachend den verdreckten Schweinestall mit den Händen ausmistete.
„Marie-Cloe das machst Du schon sehr gut. Ich bin sehr stolz auf Dich, dass so deiner Mutter hilfst, damit sie in Scrooge’s Kornmühle 12 Stunden am Tag Doppelzentnersäcke schleppen darf! Die 2 Dollar im Monat können wir gut gebrauchen, Du braves Kind!“
„Daddy, können wir nicht in Mr. Pennypacker’s Gemischtwarenladen eine gebrauchte Mistgabel kaufen, dann könnte ich doch schneller arbeiten und den Acker damit pflügen?“
„20 Cent sind viel Geld, soviel bezahlt uns der hochehrenwerte Getreidehändler Vlad Tepec für 50 Scheffel Getreide. Außerdem müssen wir den doppelten Zehnten an Reverend Goldfinger zahlen, weil der Herr dem doch befohlen hat, sich zu Ehren der himmlischen Heerscharen eine neue Luxuskutsche zu kaufen.“
„Daddy?“
„Ja, mein herzgebobbeltes Dreckschippche?“
„Hat eigentlich George Washington eigentlich auch seine Wutzenställe ausgemistet?“
„Nein, mein Kind. Der besaß nette, farbige Angestellte, die das gerne und unentgeltlich für ihn machten. Einmal im Jahr nahm man dann zu Thanksgiving der ganzen afroamerikanischen Belegschaft die Ketten ab und gab ihnen leckere Truthahnknochen. Früher nannte man diese Leute Sklaven, aber den Begriff gibt es seit dem Bürgerkrieg nicht mehr.“
„Oh Daddy, Sklave müsste man sein! Truthahnknochen, welch ein Festessen!“
Stolz betrachtete der brave Landmann sein emsiges Töchterlein.
„Aber mein Kind, sage so etwas nicht! Wir sind freie Amerikaner und leben den amerikanischen Traum der armen Leute! Pa hat auch im großen Krieg für die Union mitgekämpft, da er keine 300 Dollar besaß, um sich vom Militärdienst freizukaufen.“
„Daddy?“
John Brown betrachtete seine Tochter leicht genervt, aber nickte ihr dennoch aufmunternd zu.
„Gibt es zu Weihnachten wieder Gurkenschalen?“
„Ach mein Kind, die Ernte war schlecht, aber vielleicht gibt es Jobs bei der ‚Lost Souls‘ Minengesellschaft. Wegen der einstürzenden Schächte suchen die immer wieder neue Hauer. Für die Gurkenschalen meiner Tochter trage ich doch gerne mein Fell zu Markte.“
„Danke, Danke! Daddy, ich liebe Dich!“
„Ich liebe Dich auch, mein Kleines! Daddy, muss jetzt ganz schnell zur Sägemühle, sonst streicht Mr. Long John Silver ihm wieder den Tageslohn, wie gestern, als er sich drei Minuten verspätete.“
Glücklich mit sich und seiner Filmwelt wandte sich John zum Gehen, drehte sich aber da
„Vergiss nie mein Kind: Dies ist das Land der Freien und Tapferen! Drum miste fleißig den Schweinestall aus und glaube fest daran, dass der Gestank von Fäkalien in Wahrheit der Odem der Freiheit ist, denn der Herr will es so, wie der Reverend es immer sagt!“
Obwohl der Zapper Frank zwischenzeitlich herzhaft lachte, wurde ihm die Sache trotz fortschreitender Trunkenheit doch allmählich unheimlich. Nach einem moderaten Schluck aus der inzwischen halbleeren Flasche, bereitete er dem bedauernswerten, knechtischen Farmer ein Ende und suchte sein Unglück auf einem anderen Kanal.
„Ein Kaptal-Regal-Lymphdrüsensyndrom mit schlumpfiner Kapillarreduktion!“
„Und das heißt Herr Doktor Messerschmitt-Schneidefreud?“
„Wir werden ihm wohl den Penis amputieren müssen!“
Der diktatorische Oberarzt, ein arrogant aussehender Mitfünfziger, betrachte das verhärmte Eheweib seines Patienten mit belustigt funkelnden Augen.
„Nein, Herr Kollege, da muss ich aufs Heftigste widersprechen. Das ist gegen die Menschenwürde, da gibt es noch eine alternative Therapie…“
„Dr. Greta Schweizer, schweigen Sie! Ich als oberster Weißkittel und Reinkarnation des Hippokrates in Macho-Gestalt habe hier die absolute Befehlsgewalt.“
Wütend funkelte der diabolische Oberarzt seine renitente Untergebene, eine attraktive Dame in der Mitte ihrer 20-er Jahre, an. Die erwiderte seinen Blick allerdings mit kühler Überlegenheit.
„Ich werde der Stimme meines Gewissens folgen. Von Ihnen lasse ich mich nicht einschüchtern, Sie alter, weißer Mann. Sie sollten jetzt den Besprechungsraum verlassen und unter Ihren kleinen Stein kriechen, sonst informiere ich Klinikleiterin Paracelsus über Ihre zwielichtigen Machenschaften!“
Entsetzt zuckte der gewissenlose Mediziner zusammen und betrachtete seine lichte Kontrahentin mit einem boshaft ängstlichen Blick.
„Diesmal haben Sie gewonnen, aber das werden Sie noch bereuen!“
Wie in den 20 vorhergehenden Szenen mit demselben Strickmuster zischte der großmäulige Serienschurke wie ein geprügelter Hund ab.
„Liebe Frau Cochon-Stupide, fürchten Sie sich nicht. Wir werden uns schon gut um Ihren Mann kümmern.“
Mit freundlich glitzernden Augen betrachtete die edle Ärztin die ärmlich gekleidete Patientengattin an.
„Wenn es nicht anders geht, oh große weiße Doktorin, dann schneiden Sie es eben halt ab. Hauptsache Robot kann bald wieder schaffen, damit wir die Hypothek für mein Haus bezahlen können.“
Dr. Schweizer warf dem besorgten Eheweib einen geradezu liebevollen Blick zu.
„Aber liebe Dame, wie ich erwähnte, gibt es da noch eine alternative Therapie, die sehr vielversprechend für mich ist. Ihr Mann ist dann alle Sorgen los und finanziell soll das nicht zu Ihrem Schaden sein.“
„Sie sind eine Heilige, Frau Doktor!“
„Naja, ich stehe erst kurz vor der Seligsprechung, aber was nicht ist, das kann noch werden. Übrigens: Ihr Mann ist doch Organspender?“
„Ja, eure Seligkeit. Warum?“
„Sie dürfen mich Greta nennen. Also, alternativ würden wir Ihrem Mann den Kopf amputieren, den braucht er ja wohl sowieso nicht so häufig. Den würden wir dann in unserer Tiefkühltruhe solange einlagern, bis ein Impfstoff gegen…Hmm, wie hieß die Krankheit noch – egal. Jedenfalls bis ein Impfstumpf gefunden wird und dann würden wir ihn nach der mythologischen Lazarus-Methode wiedererwecken. Um die Unkosten zu decken und meine 50-prozentige Provision zu zahlen, versteigern wir einfach die nun unnützen Organe Ihres geliebten Ehemannes ganz demokratisch an den Meistbietenden. Für Sie sind ganze 5% brutto drin, von denen wir nur eine kleine, 90-prozentige Bearbeitungsgebühr abziehen! Na, was sagen Sie?“
„Ach Greta, Sie sind nächstenliebender als Jesus. Ich dachte schon, Robot müsste sterben und ich würde das Haus verlieren. Vielleicht kann ich meines Mannes Haupt sogar in meinem Eisfach deponieren, das spart doch die Lagerkosten?“
„Jetzt werden Sie aber nicht gierig! Denn, wie manch korrupter Minister seinen steuerzahlenden Schäfchen immer predigt, Geben ist seliger denn Nehmen. Aber, werte Dame, ein Einmalzahlung von 50 Euro kann ich Ihnen für die Selbstlagerung schon anbieten!“
„Gott segne Sie!“
„Dann ist es abgemacht?“
„Natürlich, könnte ich einen kleinen Vorschuss haben, damit ich shoppen kann, um die Seelenpein zu lindern?“
„Leider nicht! Liebe Frau Cochon-Stupide, ich habe mir erlaubt, den lästigen Papierkram bereits vor einigen Tagen für Sie vorzubereiten. Unterzeichnen Sie doch einfach hier…“
Wie bei vielen Produktionen des Staatsfunks, fühlte der zwangsgebührenbehaftete Zuschauer auch hier äußerst gelangweilt; da half auch ein satter Alkoholpegel nichts. Zugegebenermaßen waren die medizinischen Heldensagen bei weitem nicht so schlimm wie die endlosen Krimiserien, dennoch nahm unser Mann einen Schluck aus der Flasche und vertraute sich erneut der Fernbedienung an.
„…und Prinz John feierte die Party mit großem Aufwand. Seine royale Herrlichkeit vergnügte sich gar köstlich bei der Einkerkerung und Auspeitschung renitenter Steuerzahler in den königlichen Verliesen. Aber warum fehlte König Richard bei solch exquisiten Vergnügungen? Gerüchte zufolge befindet sich seine Majestät auf Geschäftsreise in Palästina. Unsere Adelsexpertin, Eleonore von Aquitanien, sieht hier im Hintergrund eher eine gewisse Rivalität unter Brüdern. Oder sind gar die Hämorrhoiden, die seine Majestät nach Aussage seines Kammerdieners plagen, an der royalen Unpässlichkeit Schuld? Am Hofe munkelt man ebenfalls etwas von einer Affäre mit einem französischen Schauspieler…“
Das namenlose Grauen erfasste den großen Zapper. War es gar eine göttliche Strafe, die durch den Fernseher vollstreckt wurde? Entschlossen setzte Frank die Flasche an, kam aber nicht mehr dazu zu trinken, da er wie der Rest der Menschheit von der Anomalie im Raum-Zeit-Kontinuum betroffen wurde…
Völlig verkatert erhob sich Frank und schaltete nach einem angeekelten Blick auf die Innereien seiner verwahrlosten 2-Zimmer-Wohnung beschlossen, seine Sorgen auf die übliche Weise zu bewältigen. Also köpfte das Opfer konfuser Seuchenbekämpfungsmaßnahmen eine billige Flasche ‚Old Moonshine‘ aus dem Discounter und schaltete seinen einzigen Freund ein, um sich mit den in großen Teilen weit von jeglicher Qualität entfernten Sendungen ablenkend vollzudröhnen.
Konzentriert lauschte das Geisterjägerteam den undefinierbaren Geräuschen, die aus dem EVP-Rekorder drangen.
„Holy shit, hast Du das gehört?“
(…)
Das tückische bei Zeitschleifen ist natürlich, dass der Betroffene nichts davon merkt. Fragen wir uns also, ob es überhaupt ein Morgen gibt?

Wie immer möchte ich betonen, dass Bezüge zu aktuellen Ereignissen und existierenden Personen in meiner Geschichte rein zufällig sind. Ansonsten folge man einfach nur ‚der Spur des Geldes‘ und so manch neue Erkenntnis mag sich einstellen.

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Interne Verweise

Kommentare

15. Nov 2020

Da Krause meine Fernbedienung hat,
Findet bei mir bloß Fußball statt ...

LG Axel

15. Nov 2020

...unsagbar gut!

LG Alf

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