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Gekonnt desinteressiert ließ John den Blick durch das Halbdunkel streifen. Sein Beuteschema ließ keine Mittelmäßigkeit zu, es galt einen Ruf und den anerkennenden Neid seiner Freunde zu wahren. Das Dröhnen der Boxen ließ den Boden vibrieren, kroch in seine Lenden, machte ihn gierig auf heißen Sex. Die verspiegelte Säule vor ihm bestätigte, was er ohnehin wusste: 'Ich bin ein verdammt geiler Typ ... in jeder Hinsicht." Ein leichter Stoß in die Rippen machte ihn auf eine Brünette aufmerksam. "Wow, John, die ist das Heißeste, was hier rumläuft!"
Paul fehlte nie, immer in der Hoffnung, dass die Auserwählte seines besten Kumpels eine Freundin im Schlepptau hatte. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass die hübschesten Mädels sehr selten in eben so gut aussehender Begleitung waren. Er selbst konnte John nicht ansatzweise das Wasser reichen. 1,74m, ausgestattet mit schmalen Schultern und einem Bauchansatz. Ging es dann ans Eingemachte, erzählte er vor Aufregung so viel Unsinn, dass ihn nur ein entsprechender Alkoholpegel seines Gegenübers vor einem Korb bewahren konnte. Oft genug klappte es.
John hingegen war durchtrainiert und hoch gewachsen, hatte scharf geschnittene Gesichtszüge und dunkle Augen, in denen die Mädels reihenweise ertranken. Dazu einen umwerfenden Charme. Jedenfalls bis er hatte, was er wollte.
Die Brünette verschwand in einem langen Flur, der zu den Toiletten führte. John gab Paul mit einer Geste zu verstehen, die Augen auch weiterhin offen zu halten und folgte ihr lässig. "Appetit holen" nannte er es, und dazu gehörten nicht nur ein hübsches Gesicht und ein wohlgeformter Körper. Die gab es haufenweise. Nein, das i-Tüpfelchen war für ihn der Gang einer Frau. Nichts törnte ihn mehr ab, als bauerntrampliges Geschlurfe, oder wackeliges Gestakse auf hohen Hacken. Der Flur hatte die richtige Länge, um seine Beute auf Platz 1 der heutigen Liste zu setzen. Alle Achtung, bei dem gekonnten Hüftschwung müsste sie eigentlich ein Schild um den Hals tragen, "Vorsicht, Lebensgefahr im Schwenkbereich". Er grinste zufrieden, während eines seiner Körperteile vor Ungeduld zappelig wurde.
John hatte genug gesehen und wollte gerade wieder an die Bar, als die Tür der Damentoilette krachend aufflog. Die Brünette sprang vor Schreck zur Seite, gerade rechtzeitig, um nicht mit der jungen Frau zusammenzustoßen, welche herausgestürmt kam. Sie war groß, schlank, unscheinbar, und John hätte sie nicht beachtet, hätten sich ihre Blicke nicht getroffen. Sie schaute ihm direkt in die Augen, und mit einem spöttischen Grinsen rauschte Sie an ihm vorbei.
Im selben Moment hatte sich seine Beute von ihrem Schreck erholt, machte einen Schritt nach Vorne, knickte mit dem linken Fuß um und ging mit einem Aufschrei zu Boden. Heulend schrie sie, "mein Fuß, mein Fuß!"
Von einer Sekunde zur anderen, war aus Johns Sünden- ein Pflegefall geworden. Er überlegte trotz Enttäuschung ob er helfen sollte, doch die Schreie hatten schon einige Samariter aus den Toiletten auf den Plan gerufen. So bedauerte er nur kurz den wochenlangen Ausfall dieses göttlichen Hüftschwunges, und ging frustriert zurück zu seinem Freund Paul.
Dessen Mitleid hielt sich in Grenzen, da der Qualitätsunterschied nun etwas weniger krass ausfallen würde. Gleichwertiges hatte er nicht entdecken können, und wenn John auf Teufel komm raus eine abschleppen wollte, käme Paul erstmals in den Genuss annähernder Chancengleichheit. Er konnte nicht wissen, dass er heute leer ausgehen würde.
John fixierte die sich verbiegenden Leiber auf der Tanzfläche. Nichts, was er sah, versprach eine heiße Nacht. In der Mitte hatte sich eine wogende Masse gebildet. Irgend ein Pärchen zog scheinbar eine Show ab. Er reckte sich, um etwas sehen zu können, als die Traube sich teilte. In der Mitte stand die Unscheinbare. Hoch aufgerichtet, den Kopf zur Seite geneigt, die Augen geschlossen, wiegte sich sich anmutig, aber wenig synchron zum harten Rhythmus, der aus den Boxen geschleudert wurde. Die zur Seite ausgestreckten Arme bewegten sich schlangengleich. John dachte unwillkürlich an eine indische Tempeltänzerin. Je länger er sie beobachtete, desto weniger verstand er, dass er sie auf dem Flur in die Kategorie "Uninteressant" geschoben hatte. Vielleicht waren es die irrlichternden Scheinwerfer, aber wie sie da stand, ging von ihr eine Art Faszination auf John über.
Die Konturen ihres Gesichtes waren scharf gezeichnet. Hohe Wangenknochen lenkten den Blick auf den fast zu schmalen Nasenrücken, ein leichte Wölbung desselben lenkte Johns Augen Richtung Mund. Die ebenfalls schmalen Lippen gaben dem Gesicht etwas Hartes, passten nicht zur Anmut der Gesamterscheinung. Er konzentrierte sich auf die geschlossenen Augen und zuckte heftig zusammen, als diese sich plötzlich weit öffneten und direkt in seine starrten. Wieder glaubte er, dieses spöttische Lächeln zu erkennen und sich ertappt fühlend, schlug er Paul verärgert auf den Schenkel und brüllte: " Vergiss den Laden, wir gehen!"
Paul widersprach nicht. Paul widersprach seinem Freund nie. John drehte sich zum Barkeeper, um zu bezahlen, als sein rechtes Ohr ein warmer Hauch streifte: "Du willst gehen? Ich dachte, wir lernen uns kennen." Ein unbeschuhter Fuß glitt für einen Moment spielerisch in sein Hosenbein. Die Handflächen auf die kalten Fliesen gepresst, stand John mit gesenktem Kopf und beobachtete, wie das Wasser sich gurgelnd in den Abfluss drehte. Sein ganzer Körper fühlte sich wund an, ihm war schwindlig und seine Kniegelenke hatte jemand gegen Götterspeise ausgetauscht. Er fühlte sich elend, ausgelaugt, krank. "Was für eine Nacht", murmelte er und versuchte, den Abend noch einmal Revue passieren zu lassen.
Bilder waberten durch den Nebel seiner Gehirnwindungen, die wenigsten hielten an, um Auskunft zu geben. 'Die Tempeltänzerin', schoss es ihm durch den Kopf. 'Wieso habe ich die eigentlich mit zu mir genommen?'
Hatte er nicht. Nicht wirklich. Sie hatte IHN abgeschleppt. Ihn angesprochen, angemacht und ehe er sich versah, lag sie in seinem Bett. Er sah seine Sachen durchs Zimmer fliegen. Glaubte sich zu erinnern, dass sein Hemd zerrissen auf dem Boden landete. Das war so nicht richtig. ER riss Klamotten vom Leib. Was noch durch den Nebel schimmerte war, dass er sich benutzt gefühlt hatte. Auch das war verkehrt. ER benutzte.
Sie hatte eine sexuelle Gier an ihm ausgetobt, wie er sie noch nie erlebt hatte und die ihn zum hilflosen Sexspielzeug einer irren Nymphomanin degradierte. Eine männliche Gummipuppe.
'Wieso habe ich die Schlampe nicht rausgeschmissen?' John wusste es nicht. John wusste im Moment erstaunlich viel nicht. Nur