Fortsetzung von "Achtlos"
Eines Tages, im Frühling, fiel mir auf, er bekam Gesellschaft. Es fiel sogar ab und zu das Wort Kumpel. Man merkt sich so etwas, wenn man in den Supermärkten regelmäßig einkauft. Das Wort benutzten auch meine ehemaligen Betreuten. Und das eine Wort sprach nicht mein Bekannter.
Vor dem Discounter Lidl steht seit vielen Jahren ein jüngerer Mann, mittlerweile hat er offene Beine. Er hält einen Becher in der Hand und grüßt fast jeden Passanten, mich inzwischen wie eine alte Bekannte. Er führt Gespräche, bietet an, Einkäufe zu tragen. Er ist das Gegenteil von dem vertrauten, schweigsamen Obdachlosen. Sein Blick nichtssagend, leer. Ich nehme an, er lebt in der Vergangenheit. Mit der lebt man oder man vergräbt sie, habe ich mal einen Spruch aufgeschnappt. Manches kann man einfach nicht vergraben.
Heute sitzen die Kumpel direkt vor dem Eingang, als ich die Einkaufshalle mit Einkäufen verlasse. Ich folge einer Frau, die auch zwei Einkaufstaschen trägt. Als sie den Ausgang passiert, höre ich meinen „Bekannten“ laut in einem klaren Bariton brüskiert abfällig sagen: „Gehen alle achtlos vorbei. Widerlich, diese Menschen!“ Im ersten Moment glaube ich mich verhört zu haben. Ganz schön fordernd, denke ich. Der nächste Gedanke ist aber, du hast vergessen, wie sensibel diese Menschen abseits der Gesellschaft sind, über welche Beobachtungsgabe sie verfügen. Und ich fasse einen Beschluss. Ich möchte nicht als widerlich bezeichnet werden. Beim nächsten Einkauf bekommt er von mir weiches Obst, ein Brötchen, auf keinen Fall Geld für Alkohol. Da bin ich gerne widerlich.