Wie ein Engel

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von Anita Zöhrer

Wie ein Engel war mein Mann. Stets zur Stelle, wenn seine Hilfe gefragt war, duldsam und liebevoll. Doch seine sensible Seite hatte ihren Preis. Dass er ausgenutzt wurde, war keine Seltenheit; dass er mit den Problemen dieser Welt überfordert war, ebenso wenig.

Ich machte mir große Sorgen um ihn. Immer mehr zerbrach er an seinem Leben. Zwar gab ich mein Bestes, ihm eine Stütze zu sein, doch es reichte nicht aus, um seine Sehnsucht nach seinem Seelenheil zu stillen. Auch wenn er es mir nie verriet, wusste ich genau, dass er sich nach seiner ewigen Heimat sehnte wie die meisten sensiblen Menschen, die ich kannte.

Die Gewissheit, dass jener schreckliche Tag irgendwann kommen würde, ließ mich viele Nächte heimlich in den Schlaf weinen. Besonders, wenn mein Mann fort war und sich länger nicht meldete, fürchtete ich das Schlimmste.

Die furchtbarsten Dinge malte ich mir aus. Alpträume, dass er sich in einem Fluss ertränkte, quälten mich häufig. Gerade das Wasser war es nämlich, von dem er sich stets angezogen fühlte. Was in ihm vorging, wenn er in Flüsse oder Seen blickte, konnte ich deutlich in seinen Augen lesen.

Mein Mann war ein Kämpfer. Er wollte leben und setzte alles daran, sich mit allerlei Beschäftigungen von seinen Problemen abzulenken. Trotzdem kam er eines Abends von einem Spaziergang nicht wieder. Ich versuchte, ihn anzurufen, doch seine Nummer existierte nicht mehr. Ich brach in Tränen aus und lief hinaus ins Freie, wollte mich auf die Suche nach ihm machen, als ich ihn in unserem Garten stehen sah. Glücklicher denn je lächelte er mich an. Ich lief zu ihm hin und umarmte ihn, flehte ihn an, mich nicht zu verlassen. Sanft küsste er mich und streichelte mir anschließend übers Haar; versprach mir, an meiner Seite zu bleiben, bis auch meine Zeit kam.

Zwei Polizisten tauchten plötzlich hinter mir auf und jagten mir einen heftigen Schrecken ein, als sie mich ansprachen. Mein Mann war weg. Verschwunden, als ob er nie da gewesen wäre. Mit Bedauern überbrachten die Polizisten mir die Nachricht, dass er sich in einem Fluss nicht weit von unserer Heimat entfernt ertränkt hatte. Ich brach zusammen; meine schlimmsten Alpträume hatten sich erfüllt.

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