Zeitungswesen in Tennessee - Page 2

Bild von Mark Twain
Bibliothek

Seiten

Von einer Schreiberei ohne Kraft und Saft wird mir's ganz übel.«

Währenddem flog ein Ziegelstein durchs Fenster, das krachend zersplitterte, und traf mich mit aller Wucht in den Rücken. Ich schob meinen Stuhl aus der Schußlinie und begann zu fühlen, daß ich im Wege sei.

Der Chef sagte: »Das muß wohl der Oberst sein, den ich schon seit zwei Tagen erwarte. Gleich wird er heraufkommen.«

Er irrte sich nicht. Schon im nächsten Augenblick erschien der Oberst mit einer Dragonerpistole an der Tür.

»Mein Herr,« sagte er, »habe ich die Ehre, mit dem Prahlhans zu reden, der diesen erbärmlichen Plunder verfaßt?«

»Jawohl, mein Herr. Nehmen Sie Platz – aber vorsichtig, der Stuhl hat ein Bein verloren. Ich habe wohl das Vergnügen, das Lügenmaul, Oberst Blatherskite Tecumseh bei mir zu sehen?«

»Ganz recht, mein Herr. Wir haben noch ein Hühnchen miteinander zu pflücken, und wenn es Ihre Zeit erlaubt, fangen wir gleich an.« »Ich bin gerade bei einem Artikel über den ›erfreulichen Fortschritt der geistigen und moralischen Entwicklung in Amerika‹ – aber das eilt nicht. Nur immer zu.«

Beide Pistolen knallten zu gleicher Zeit los. Die Kugel des Obersten raubten dem Chef eine Haarlocke und drang dann in den fleischigen Teil meines Schenkels, Dem Oberst war ein Stück der linken Schulter weggeschossen. Sie feuerten zum zweitenmal, schossen aber vorbei, nur ich erhielt meinen Anteil – einen Schuß in den Arm, Die dritte Ladung verwundete beide Herren leicht und mir ward ein Knöchel angeschossen. Hierauf äußerte ich, es käme mir unzart vor, noch länger bei dieser Privatangelegenheit zugegen zu sein; ich wolle lieber hinausgehen und einen Spaziergang machen. Aber die Herren baten mich sitzen zu bleiben, und versicherten, ich sei ihnen durchaus nicht im Wege.

Sie unterhielten sich nun über die Wahlen und den Ausfall der Ernte, während sie wieder luden, und ich begab mich daran, meine Wunden zu verbinden. Darauf fingen sie von neuem mit Eifer zu feuern an und jeder Schuß traf – doch muß ich bemerken, daß von sechs Kugeln fünf auf meine Rechnung kamen. Die sechste brachte dem Obersten eine tödliche Wunde bei, worauf er mit seinem Humor bemerkte, er wolle uns jetzt einen Guten Morgen wünschen, da er Geschäfte in der Stadt habe. Dann fragte er nach der Wohnung des Leichenbesorgers und entfernte sich.

Der Chefredakteur wendete sich nun zu mir und sagte: »Ich erwarte Gäste zu Tische und muß mich jetzt zurecht machen. Sie tun mir Wohl den Gefallen, unterdessen die Korrektur zu lesen und die Besucher zu empfangen.«

Bei dem Gedanken an die Besucher ward mir etwas bange zumute; aber mir fiel nichts ein, was ich erwidern konnte, so betäubt war ich noch von dem Knattern der Pistolenschüsse, das mir fortwährend in den Ohren klang.

Er fuhr fort: »Jones wird um drei Uhr hier sein – walken Sie ihn tüchtig durch. Gillespie kommt vielleicht noch früher – werfen Sie ihn zum Fenster hinaus. Terguson trifft wahrscheinlich gegen vier Uhr ein – schlagen Sie ihn tot. Für heute ist das alles, glaube ich. Wenn Sie Zeit übrig haben, schreiben Sie einen fulminanten Artikel gegen die Polizei; geben Sie dem Oberinspektor ein paar tüchtige Hiebe. – Die Knüttel liegen unter dem Tisch, die Pistolen in der Schublade, der Schießbedarf dort in der Ecke, Leinwand und Verbandzeug im Fach des Schreibtisches. Wenn Ihnen etwas zustoßt, gehen Sie zu Lancet, dem Wundarzt, hinunter. Er macht Anzeigen in unserm Blatt, und wir begleichen die Rechnungen tauschweise.«

Fort war er. Mir schauderte. – Nach Verlauf von drei Stunden hatte ich so entsetzliche Gefahren bestanden, daß alle Seelenruhe und Heiterkeit von mir gewichen war. Gillespie hatte sich eingefunden und mich aus dem Fenster geworfen; Jones war pünktlich gekommen, als ich mich aber anschickte, ihn durchzuwalken, nahm er mir die Arbeit ab. Bei dem Zusammenstoß mit einem Unbekannten, der nicht auf der Liste stand, hatte ich mein Haar mitsamt der Kopfhaut verloren. Ein anderer Fremder, der sich Thompson nannte, ließ mich als Trümmerhaufen und Lumpenbündel zurück. Zuletzt sah ich mich voll Verzweiflung in einen Winkel getrieben und durch eine wütende Rotte von Zeitungsschreibern, Gaunern, Politikern und Strolchen belagert, die alle in wilder Raserei tobten, fluchten und ihre Waffen über meinem Haupte schwangen, bis die ganze Luft von blitzendem Stahle flimmerte. Schon war ich im Begriff, meine Stelle bei der Zeitung aufzugeben, als der Chef eintrat, begleitet von einer Schar schwärmerischer Freunde und Anhänger. Nun entstand ein Auftritt, der jeder Beschreibung spottet, ein Blutbad und Gemetzel, das keine Federpose, keine Stahlfeder zu schildern vermag. Die Leute wurden erschossen, erdolcht, zerstückt, in die Luft gesprengt und aus dem Fenster geworfen. Auf einen kurzen Wirbelsturm von entsetzlichen Flüchen folgte noch ein wahnsinniger, wirrer Kriegstanz – und alles war vorüber. Nach fünf Minuten herrschte Totenstille; der grimme Chef und ich saßen allein da und überschauten die blutigen Trümmer, welche die Diele ringsumher bedeckten.

Er sagte: »Es wird Ihnen hier schon gefallen, wenn Sie sich erst an die Stelle gewohnt haben.«

»Sie werden mich wohl entschuldigen müssen,« entgegnete ich. »Vielleicht würde ich es nach einer Weile dahinbringen, daß Ihnen meine Schreibweise gefiele; sobald ich die Sprache gelernt hätte, könnte es mir bei einiger Übung wohl nicht fehlen. Aber, offen gestanden, hat eine so kräftige Ausdrucksweise auch allerhand Nachteile, und man wird bei der Arbeit zu häufig unterbrochen. Sie sehen das selbst. Eine kernige Schreibart mag viel zur geistigen Förderung der Leser beitragen, aber man lenkt dadurch die öffentliche Aufmerksamkeit zu sehr auf sich, und das ist mir unbehaglich. Wenn ich so oft gestört werde, wie heute, kann ich nicht mit Gemütsruhe schreiben. Die Stelle wäre mir sonst ganz angenehm, aber ich mag nicht allein im Bureau bleiben, um die Besucher zu empfangen. Ich gestehe zwar, daß die Erfahrungen, welche man dabei macht, neu und gewissermaßen recht unterhaltend sind, aber es geht doch nicht ganz nach Recht und Billigkeit zu. Ein Herr feuert nach Ihnen durch das Fenster und schießt mich zum Krüppel; eine Granate platzt zu Ihrem Vergnügen im Ofenrohr, und die Ofentür fliegt mir an den Kopf; ein Freund besucht Sie, um mit Ihnen Komplimente auszutauschen und sprenkelt mir die Haut mit so vielen Kugellöchern, daß sie kaum mehr zusammenhält. Dann, während Sie zum Mittagessen gehen, kommt Jones mit seinem Knüttel, Gillespie wirft mich aus dem Fenster, Thompson reißt mir die Kleider vom Leibe, und ein völlig Unbekannter zieht mir mit solcher Unbefangenheit die Kopfhaut ab, als wären wir längst miteinander vertraut. Gleich darauf kommen noch sämtliche Schurken der Umgegend, erschrecken mich zu Tode mit ihren gräßlichen Kriegstänzen und drohen, mir mit ihren Tomahawks vollends den Garaus zu machen. Alles in allem habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht so viele Aufregungen durchgemacht wie heute. Sonst habe ich nichts gegen Sie; im Gegenteil, die ruhige Art und Weise, mit der Sie den Besuchern Ihre Ansicht auseinandersetzen, gefällt mir; aber wie gesagt, mir ist sie ungewohnt. Das Herz der Südländer ist so ungestüm, sie sind zu freigebig in ihrer Gastfreundschaft gegen den Fremdling. Die Artikel, welche ich heute geschrieben habe und in deren kalte Sätze Ihre Meisterhand alle Glut des Zeitungsstils von Tennessee hineingegossen hat, werden abermals einen ganzen Hornissenschwarm aufstören. Die Redakteure werden sich haufenweise auf uns stürzen und vor Hunger jemand zum Frühstück verspeisen wollen. Deshalb sage ich Ihnen Lebewohl. Ich wünsche dem Festmahl nicht beizuwohnen. Meiner Gesundheit wegen habe ich mich in den Süden begeben – meiner Gesundheit wegen muß ich machen, daß ich wieder fortkomme. Das Zeitungswesen in Tennessee ist zu aufregend für mich.«

Hierauf trennten wir uns unter beiderseitigem Bedauern und ich suchte mir eine Wohnung im Hospital.

Veröffentlicht / Quelle: 
Mark Twain, Die 1.000.000 Pfundnote und andere humoristische Erzählungen und Skizzen, Max Hesse Verlag, Leipzig

Seiten