Das Tal des Flüßchens Salagou, gelegen im südfranzösischen Languedoc zwischen Clermont l’Hlt. und Lodève, hat die Form einer knapp 20 km langen und bis zu 3 km breiten Wanne zwischen zwei Bergketten mit einem extrem schmalen Durchlaß im Osten. Bedingt durch diese natürliche Einengung wurden bei den in der Region nicht seltenen schweren Regenfällen nicht nur die Weinfelder im Tal überschwemmt. Das Wasser strömte von den Berghängen und überforderte auch das Fassungsvermögen der Lergue, in die der Salagou nach wenigen Kilometern mündet. Nur 4 km weiter erreicht die Lergue den Hérault, und das geballte Volumen aus zwei kleinen Flüssen ließ auch den Hauptfluß der Region so anschwellen, daß großräumige Überschwemmungen die Folge waren. So entstand Mitte der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Idee, die Talenge im Osten durch einen Staudamm zu schließen, mit dem entstandenen See die dringend notwendige Bewässerung der tiefer gelegenen Ebenen zu verbessern und bei der Gelegenheit auch eine Möglichkeit zur Wasseraufnahme für die zur Waldbrandbekämpfung eingesetzten Löschflugzeuge der Canadair zu schaffen. Befürwortet wurde der Plan aber auch von Meteorologen, die vermuteten, daß sich eine größere geschlossene Wasserfläche auf die Wetterlage in der Region beruhigend auswirken könnte.
Gegen den großen Widerstand der von diesem Vorhaben betroffenen Bevölkerung, Weinbauern und die Bewohner des Dorfes Celles, das wegen des geplanten Stausees geräumt werden mußte, beschloß die politische Führung, der Conseil Général des Departement Hérault im Jahre 1959 den Bau des 70 Millionen neue Franc teuren Staudamms. Im gleichen Jahr ereignete sich der folgenschwere Bruch des Staudamms von Malpasset am Reyran oberhalb der Stadt Fréjus in Südostfrankreich. Dort forderte eine 5 Meter hohe Flutwelle mehr als 400 Todesopfer. Aufwendige geologische Untersuchungen, die nach dem Unglück am Salagou durchgeführt wurden, ergaben, daß ein ähnliches Desaster auch hier nicht völlig auszuschließen war. So entschloß man sich, den geplanten Stausee nur bis zu dreiviertel der vorgesehenen Höhe zu füllen und auch nach der Inbetriebnahme laufend geologische und bautechnische Untersuchungen am Staudamm durchzuführen. Das Dorf Celles hätte angesichts des niedrigeren Pegels möglicherweise erhalten werden können. Doch die Umsiedlung war abgeschlossen, zudem wären kostenträchtige neue Straßen- und Versorgungsanbindungen nötig gewesen, da alle bisherigen Zugangswege auch bei reduziertem Pegelstand unter der Wasseroberfläche liegen würden.
Dem letzten Bürgermeister von Celles, Henri Goudal, genannt „Riri“, gelang es schließlich nach jahrelangem Behördenkampf, daß Celles den Status einer selbständigen Gemeinde zurückerhielt. Die ehemaligen Bewohner des Dorfes hatten sich allerdings inzwischen anderswo etabliert und legten, auch weil ihre Weinfelder schließlich unter Wasser standen, keinen Wert auf eine Rückkehr. Lediglich das Rathaus wurde wieder instand gesetzt und diente längere Zeit dem Beauftragten des Gewässerschutzes als Unterkunft. Den Posten versah ein gebürtiger Spanier, Joseph Bienvenido, der von seinen Freunden nur Bichettes genannt wurde. Lange Zeit war er der einzige Bewohner des Geisterdorfes. Doch als er Ende der neunziger Jahre starb, hinterließ er zwar ein größtenteils noch aus Ruinen bestehendes Dorf, das aber nicht mehr dem Verfall preisgegeben war. Die Mauern aller Häuser sind konserviert und umzäunt, um unerwünschte Benutzer fernzuhalten und Unglücksfälle durch herabstürzende Mauer- oder Dachteile zu verhindern. Das weitere Schicksal des Dorfes selbst steht noch heute in den Sternen. Kaufangebote von Kapitalanlegern wurden stets abgelehnt, um eine nicht gewünschte Nutzung für Hotelanlagen oder damit in Verbindung stehende Spekulationen zu verhindern. Die Idee einer ökologisch ausgerichteten Oase für Künstler und Biologen mit Ateliers, Vortragsräumen und Möglichkeiten für Ausstellungen wurde lange verfolgt, scheiterte aber sowohl an realisierbaren Vorstellungen, wie auch daran, daß die notwendigen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung standen.
Fünfundzwanzig Jahre nach dem Beschluß des Conseil Général, den Stausee einzurichten, zieht Henri Goudal Bilanz: „Vieles von dem, was man wollte, ist nicht erreicht worden. Die Bewässerung im großen Stil ist nicht zu verwirklichen, weil der Wasserzufluß zu gering ist. Aber auch das Geld für die notwendigen großvolumigen Pumpwerke hätte nicht zur Verfügung gestanden. Der Einfluß der 750 ha großen Wasserfläche auf das regionale Klima ist kaum meßbar. Immerhin, die Überschwemmungsschäden sind etwas zurückgegangen. Es kann geschehen, daß der Wasserspiegel des Stausees nach einem starken Regen innerhalb von zwölf Stunden um fünfundsiebzig Zentimeter steigt. Das entspricht einer Zunahme um mehr als 5,6 Mill. Kubikmeter Wasser innerhalb eines halben Tages, was dem Hérault in einem solchen Fall erspart bleibt. Und eines darf nicht vergessen werden: Im Kampf gegen die Waldbrände ist der Lac du Salagou nicht mehr wegzudenken. Er dient als Löschteich für die ganze Region. Die Löschflugzeuge der Canadair aus Marseille finden hier beste Voraussetzungen für den An- und Abflug.“
Doch es ist noch mehr, was dieser See, dessen Gestade nicht im Entferntesten an einen Stausee erinnern, zu bieten hat. Inzwischen ist er fünfundvierzig Jahre alt. Eine vor einigen Jahren durchgeführte große Inspektion des Staudammes und seiner Verankerung verlief zufriedenstellend. Flora und Fauna haben sich an den Ufern und im Wasser so entwickelt, daß der See als ein Geschenk an die umgebende Natur angesprochen werden kann. Dank konsequent durchgezogener Nutzungsvorschriften zieren weder Hotels und andere „Ferienanlagen“ großen Stils seine Ufer, noch durchpflügen Motorboote seine Wellen. Als Anglerparadies ist er bekannt, Feriengäste aus aller Welt nutzen sechs kommunale und private Campingplätze, die strengen Naturschutzauflagen unterliegen. Die gesamte Ufergestaltung ist beispielhaft dafür, wie sowohl dem konsequenten Naturschutz wie auch den berechtigten Wünschen der Besucher Rechnung getragen werden kann. Vor diesem Hintergrund sind schließlich auch die seit 2010 laufenden Bemühungen zu sehen, für den schon 2003 als Naturschutzgebiet ausgewiesenen Bereich um den Cirque de Mourèze und den Lac du Salagou die Klassifikation als „Grand Site de France“ feststellen zu lassen.
Mit seinen 28 km Ufer, den an Miniatur-Fjorde erinnernden, von Schilf und knorrigen Bäumen gesäumten Buchten und vorgelagerten bizarren, teils flachen teils steilen Inselchen, die je nach Wasserstand auftauchen und wieder verschwinden, begeistert der See seine Besucher. Die Tatsache, daß die gesamte Flora und Fauna um und in diesem letztendlich doch „künstlichen“ See natürlichen Ursprungs ist, grenzt da schon an ein Wunder. Eingebettet in die allgegenwärtigen rotbraunen Ruffes, ein Sedimentgestein, das vor 120 bis 40 Mill. Jahren, ausgelöst durch Kontinentalverschiebungen und die damit verbundene Hebung des Jurameeresbodens an die Oberfläche gebracht wurde, ist der Lac du Salagou auch für Geologen ein lohnenswertes Ziel. Und selbst der erdkundliche Laie wird durch zahlreiche erloschene Vulkane, von denen einige noch vor 20 000 Jahren tätig waren, deren Basaltsäulen wie Skulpturen an den Ufern stehen oder gleich erstarrten Wasserfällen aus den Felswänden treten, an die Ursprünge dieser Landschaft erinnert. Es ist keine Frage, der Lac du Salagou ist zu jeder Tages- und Jahreszeit, ob Sonne oder Sturm und Regen einen Besuch wert. Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur unpassende Bekleidung…
Der Lac du Salagou - wie er wurde was er ist
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von Dieter J Baumgart
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