Mit Tino back from Berlino

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Altweibersommer war 's,
Schwerin – nicht mehr weit -
Was für ein Sonnenuntergang! -
Ach, schöner nie, unbeschreiblich ...
Das Buch, darin ich las, sank auf meinen
Schoß, hatte seit Berlin unentwegt Worte gefressen,
kaum aus dem Fenster geschaut –
echt lesenswert: 'Träume' von Günter Eich!

Aber dann näherten wir uns Schwerin: von Mutter
zu Lebzeiten favorisiert. Da gab es außer
Stettin, ihr 'non plus ultra', bestimmte Orte,
die sie immer wieder mit glänzenden Augen
aufgezählt hat, da müsste ich später unbedingt hin:
Warnemünde, Swinemünde, Küstrin, Schwerin ...

Supernetter Busfahrer -
umsichtig, fürsorglich, intelligent,
freundliche Worte gefunden für seine Fahrgäste -
aber Pustekuchen – sind ohne jegliche
Resonanz geblieben, sagte noch nicht mal
'Auf Wiedersehen', die ignorante, blasierte Bande.

Mir lag eine freundliche Rückmeldung
auf der Zunge, aber ich wollte mich nicht
schon wieder zum Affen machen, nicht
schon wieder aus der Reihe tanzen und
höflich sein – ist total aus der Mode.

Oder hatte ich etwa Bedenken, Tino, so
hatte er sich mir vorgestellt und sehr, sehr
lieb mich angelächelt (womit hatte ich das nun
wieder verdient) und dann noch meinen
Vornamen sich auf der Zunge zergehen
lassen, würde mich daraufhin einladen –
womöglich zum Essen? Um Himmels willen!

Kam gerade aus der Hauptstadt, Tino, Berlino.
Also, da war so ein wunderschönes Künstlercafé
in Charlottenburg. Ich rein – und eine halbe
vegetarische Torte gefr... in mich hineingestopft -
himmlisch nicht nur diese Torte, das Interieur,
auch die Cafébetreiber, jung, zwei freundliche
Griechen, blutjunge Männer, göttergleich ...

Ich hätte gern die ganze Torte … aber nichts
ging mehr. Ein Wunder und Gott sei 's gedankt,
dass der Bus sauber geblieben und die Torte
durch das Geschaukel nicht wieder herausgewollt hat ...

Früher, als Kind, während jeder Autofahrt ...
anhalten müssen wegen mir am Straßenrand
oder auf jenen öden Standstreifen neben den Autobahnen,
oder auch manchmal in die Tüte, vom Schwager etc.
in die Hand gedrückt bekommen, immer dasselbe mit ihr ...

Und schlimmer noch: auf jener Fahrt von Glückstadt
nach Hamburg, wir, die Klasse 10 B, auf dem Busweg ins
Ohnsorg-Theater – die Tüte hat kaum ausgereicht, dabei
vorsorglich so gut wie nichts gegessen – bleich und schwindelig
aus dem Bus gewankt – der Abend war total im Eimer.

Steigerung noch: Am allerschlimmsten: während der letzten
Klassenfahrt: zum ersten Mal im Leben zwei Gläser Wein
getrunken – und danach nie wieder. -
Ich wollte den gar nicht, schmeckte weder nach ihm
noch nach ihr. Die Musicbox hingegen: jene Lieder von
Connie Francis, Sammy Davis jr., Charles Aznavour:
formidable – hätten mir voll und ganz zum Schwofen ausgereicht.

Auf dem Rückweg noch fröhlich und lauthals gegrölt,
aber dann, im Bett, wie das Riesenrad im Prater hat
es sich plötzlich gedreht, immer schneller und schneller –
Gott, wurde mir schlecht, Ich lag oben – Mausi (Spitzname)
unter mir, hat auch was abgekriegt (sorry, Mausi, im Nachhinein,
war keine Absicht; mir war wirklich hundeelend zumute, kannte
ich nicht – so einen bekloppten Rausch).
Den Rest auf dem Fußboden hat Uschi aufgewischt.
Danke – und 'in memoriam', Uschilein.

„Ich kann 's, Annelie“, hast du am nächsten Morgen,
als ich wieder 'nüchtern' war, gejubelt und dich gefreut
wie ein Stint, mich umarmt und gedrückt:
„Ich kann Krankenschwester werden – mich hat 's nicht
geekelt.“ -
Bist es dann doch nicht geworden, Uschi, war auch besser so.
'Krankenschwester' – hätten wir beide nicht gepackt.
Das Sterben der Jungen und Alten hätte viel zu sehr
an unseren Herzen genagt. Wir hätten uns gegenseitig
die Hucke vollgeheult.

Danke, das war' s für heute.

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